9-Euro-Ticket: Wovor die Bahn-Betriebsräte warnen
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Eigentlich halten alle das Neun-Euro-Ticket für eine gute Sache. „Wir wollen alles dafür tun, dass das Ticket ein Erfolg wird“, sagt etwa der Vorsitzende des Konzernbetriebsrates der Bahn, Jens Schwarz. „Die Grundidee der Bundesregierung, mit dem Neun-Euro-Ticket auch die Bürgerinnen und Bürger in den aktuellen Krisenzeiten zu entlasten, die dringend auf den ÖPNV angewiesen sind, halten alle Bundesländer für richtig und wichtig“, erklärt die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz, Bremens Mobilitätssenatorin Maike Schaefer.
Verkehrsverbünde fürchten Fahrgast-Ansturm
Im Juni, Juli und August sollen Busse und Bahnen im Regionalverkehr für nur neun Euro pro Monat genutzt werden können – und das deutschlandweit. Das ist die Grundidee des Neun-Euro-Tickets, das Teil des zweiten Entlastungspaket der Bundesregierung gegen die hohen Energiepreise ist. Das Problem dabei: Der Vorschlag kam über Nacht, viele Verkehrsverbünde, die die Idee des Tickets vor Ort in die Tat umsetzen müssen, fühlen sich überrumpelt. Viele fürchten zudem einen Ansturm von Fahrgästen, vor allem in schon jetzt beliebten Regionen, zumal der Aktionszeitraum mitten in die Sommerurlaubszeit fällt.
Schwierig könne es werden, „wenn ein erhöhtes Reisendenaufkommen auf andere Probleme trifft, wie z.B. verspätete oder zu kurze Züge, defekte Toiletten, fehlende Informationen“, befürchtet Gerd Galdirs, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrat der DB Sicherheit. Sie kümmert sich um die Sicherheit in Zügen und Bahnhöfen. „Wir brauchen zusätzliches Personal für Service, Ein- und Ausstieg und für die Reisendenlenkung“, sagt Galdirs. Ähnlich sieht es Heike Moll, die Gesamtbetriebsratsvorsitzende von „DB Station&Service“. „Wir wollen nicht beschimpft werden, weil uns hier eine Situation überrollt, für die vorher die Rahmenbedingungen nicht geklärt worden sind“, sagt Moll. Gleichzeitig versichert sie: „Jede einzelne Eisenbahnerin, jeder einzelne Eisenbahner wird alles dafür tun, dass sich die Kunden bei uns wohlfühlen.“
30 Millionen Fahrgäste mit Neun-Euro-Ticket erwartet
„Wir wollen Teil der Lösung sein und nicht des Problems“, sagt auch Ralf Damde, der stellvertretende Gesambetriebsratsvorsitzende der DB Regio AG, die für den Betrieb der Regionalzüge zuständig ist, die besonders von Fahrgästen mit Neun-Euro-Ticket benutzt werden dürften. Prognosen gehen davon aus, dass sich rund 30 Millionen Menschen zumindest für einen Monat das Ticket kaufen könnten. Das würde ein deutlich erhöhtes Fahrgastaufkommen bedeuten, zu Deutsch: deutlich vollere Züge. „Wir erwarten, dass die Arbeitgeber diese Szenarien ernst nehmen und wir brauchen einen robusten Fahrplan für diese drei Monate, und dazu gehören Personal und Fahrzeuge“, fordert Damde.
Beides ist jedoch nicht unendlich vorhanden. Auch die Bahn leidet unter dem Fachkräftemangel. Lokführer*innen und Zubegleiter*innen fehlen. Und auch Waggons stehen nicht ungenutzt im Depot und können einfach von einem Tag zum anderen zusätzlich eingesetzt werden. „Das, was in den vergangenen Jahren versäumt worden ist, kann jetzt nicht über Nacht nachgeholt werden“, sagt der Konzernbetriebsratsvorsitzend der Bahn Jens Schwarz. Eine Woche nach Start des Neun-Euro-Tickets im Juni wolle der Vorstand deshalb eine erste Zwischenbilanz ziehen und in den Bereichen nachsteuern, wo es Probleme gibt.
Verkehrsminister*innen fordern mehr Geld
Die Verkehrsminister*innen der Länder fordern deshalb mehr Geld, „um den ÖPNV dauerhaft attraktiver und nachhaltiger ausbauen zu können“. So beschlossen sie es bei ihrem Treffen Anfang Mai. Zwar trägt der Bund die Kosten von 2,5 Milliarden Euro für das Neun-Euro-Ticket komplett, doch müsse er auch die sogenannten Regionalisierungsmittel für Ausbau und Unterhalt von Bussen und Bahnen dauerhaft aufstocken. Für 2022 fordern die Landesminister*innen 1,5 Milliarden Euro zusätzlich. „Nur so kann die Bundesregierung ihre Klimaziele erreichen und die Verkehrswende umsetzen“, ist die Vorsitzende der Verkehrsministerkonferenz Maike Schaefer überzeugt.
Das sieht auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG) so. „Das Neun-Euro-Ticket muss über diesen Feldversuch hinaus ein Erfolg werden“, fordert der stellvertretende EVG-Vorsitzende Martin Burkert. Wenn das Spezialangebot Menschen, die bisher das Auto benutzen, animiere, dauerhaft auf Bus und Bahn umzusteigen, könne dies der „Einstieg in den dauerhaften Umstieg werden“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.