„Dunkelnacht“ von Kirsten Boie

Zwei Tage vor Kriegsende: Wie ein mutiger SPD-Bürgermeister sein Leben ließ

Jonas Jordan22. März 2021
In der Penzberger Mordnacht wurden im April 1945 ein mutiger SPD-Bürgermeister und 15 weitere Einwohner*innen der oberbayerischen Kleinstadt ermordet. Die Schriftstellerin Kirsten Boie erzählt die Geschichte in ihrem Roman „Dunkelnacht“. Sie ist zugleich Mahnung, Ehrung und Erinnerung.
In ihrem Roman „Dunkelnacht“ erzählt Kirsten Boie die Geschichte der Penzberger Mordnacht.
In ihrem Roman „Dunkelnacht“ erzählt Kirsten Boie die Geschichte der Penzberger Mordnacht.

Wer Otto Wels ehrt, sollte auch an Hans Rummer erinnern. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Wels hielt am 23. März 1933 die letzte freie Rede im Reichstag. In diesen Tagen jährt sie sich zum 88. Mal. Der bekannteste Satz aus Wels‘ Rede ist: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“

Ein Satz, der Stolz ausdrückt. Stolz, Sozialdemokrat zu sein. Stolz, sich für die Demokratie einzusetzen und nicht für Hitlers NS-Diktatur zu stimmen. Er war aber rückblickend betrachtet auch eine bittere Ankündigung für das, was vielen Sozialdemokrat*innen in den folgenden zwölf Jahren widerfahren sollte. Einer der letzten war Hans Rummer, der am 28. April 1945 im oberbayerischen Penzberg von Nationalsozialisten ermordet wurde.

Ein klassisch sozialdemokratischer Lebenslauf

Hans Rummers Lebenslauf war klassisch sozialdemokratisch. Sechs Jahre Volksschule, anschließend wurde er Bergmann, im Ersten Weltkrieg zwei Jahre Soldat an der Westfront. In der Weimarer Republik wurde er ab 1919 der erste sozialdemokratische Bürgermeister der jungen Stadt Penzberg und blieb es bis 1933, ehe die Nazis ihn gewaltsam aus dem Amt entfernten und zeitweise ins Konzentrationslager Dachau bringen.

Am Morgen des 28. April 1945 hört Rummer im Radio, wie die Freheitsaktion Bayern im Radio verkündete, dass der Krieg vorbei sei. Die 1933 von den Nationalsozialisten abgesetzten ehemaligen Bürgermeister wurden aufgefordert, ihre Positionen wieder einzunehmen.

Rummer machte sich auf den Weg, verhinderte die Sprengung des Bergwerkes, rettete hunderte Zwangsarbeiter*innen vor der Ermordung und setzte den nationalsozialistischen Bürgermeister ab. Doch der Krieg war noch nicht vorbei. Rummers Mut wurde nicht belohnt. Stattdessen wurde er noch am selben Tag von Werwolf-Einheiten erschossen. Zwei Tage bevor die Amerikaner Penzberg tatsächlich befreiten.

Liebe in Zeiten des Mordens

Von dieser Geschichte erzählt Kirsten Boie in ihrem neuesten Roman „Dunkelnacht“. Der bekannten Kinderbuchautorin war es ein Bedürfnis, sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, wie sie selbst im Nachwort des Buches schreibt: „Als ich vor kurzer Zeit zum ersten Mal von der Penzberger Mordnacht erfahren habe, war ich erschüttert. Nicht nur über das, was dort passiert ist. Auch darüber, dass ich vorher nie davon gehört hatte – und auch sonst niemand, den ich fragte.“

Boie erzählt die Geschehnisse vor allem aus dem Blickwinkel dreier Jugendlicher aus Penzberg. Marie, Schorsch und Gustl gab es nie. Sie sind Erfindungen der Autorin. Gustl ist ein fanatischer Werwolfkämpfer, der an der Ermordung von Menschen beteiligt ist, die er seit Kindestagen kennt, und in der Nacht danach seinen ersten Rausch erlebt. Marie und Schorsch verbindet eine Liebesgeschichte, die just an diesem ohnehin so ereignisreichen Tag ins Rollen kommt.

Das wirkt bisweilen seltsam kitschig, aber trotzdem nicht unpassend. Denn diese Erzählweise führt den Leser*innen die Geschehnisse plastisch vor Augen. Zum Beispiel, wenn Marie und Schorsch aus einem nahegelegenen Waldstück mitansehen müssen, wie Rummer und seine Mitstreiter einer nach dem anderen erschossen werden. Es ist der Schrecken, der die beiden plötzlich verbindet und einander näherbringt.

Erinnerung und Mahnung zugleich

Der Schrecken ist zwei Tage später vorbei, als die Amerikaner Penzberg befreien. Doch nach Kriegsende müssen die Einwohner*innen der oberbayerischen Kleinstadt damit leben, dass 16 Menschen aus ihrer Mitte fehlen. Ermordet in der „Dunkelnacht“. Die Täter werden letztlich alle frei gesprochen oder vorzeitig aus der Haft entlassen.

Heute erinnert in Penzberg die „Bürgermeister-Rummer-Straße“, die direkt an der Stadthalle entlangführt, an den mutigen Sozialdemokraten. Unweit davon verläuft die Straße des 28. April 1945, die allen Opfern der Penzberger Mordnacht gewidmet ist. „Der 28. April hat sich ins kollektive Gedächtnis von Penzberg eingebrannt“, sagte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende und Stadtrat Bayram Yerli vor knapp einem Jahr im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Seit 75 Jahren erinnern die Sozialdemokrat*innen vor Ort an die Opfer des 28. April 1945, alle fünf Jahre mit einem großen Festakt. Dieses Datum ist Erinnerung und Mahnung zugleich. Nicht für Sozialdemokrat*innen, sondern für alle Demokrat*innen. Denn: „Wenn man Penzberg sagt, denkt man sofort an den 28. April und daran, dass die Nazis ihr Morden und ihr verbrecherisches Tun bis zuletzt weiter verfolgt haben“, sagte Yerli. Auch noch zehn Tage vor dem Ende des Krieges.

Diese Geschichte zu erzählen bedeutet aber auch, einen Mann zu ehren, der sich als vorbildlicher Kommunalpolitiker hervor getan hat. Hans Rummer hat das Allgemeinwohl seiner Stadt, aller Penzberger Mitbürger*innen, über sein eigenes gestellt. Er hat Mut bewiesen und dafür mit dem Leben bezahlt, aber Penzberg viel Leid erspart.

Info: Kirsten Boie: „Dunkelnacht“, Oettinger Verlag, empfohlen ab 15 Jahren, 13 Euro.

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