Buchtipp

Mut und Melancholie - Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD

Renate Faerber-Husemann01. November 2017
Sie stehen für das Ende der spießbürgerlichen Nachkriegszeit und konnten kaum unterschiedlicher sein: In „Mut und Melancholie - Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD“ beschreibt Journalist Norbert Bicher die von Respekt getragene Freundschaft dieser beiden Ausnahmemenschen.
Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD
Norbert Bicher: Mut und Melancholie. Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD. ERschienen im Verlag J.H.W. Dietz

Unterschiedlicher konnten zwei Männer kaum sein: Willy Brandt, der Emigrant und Weltbürger und Heinrich Böll, der katholische Dichter, tief verwurzelt im Rheinland. Doch die beiden verband dennoch weitaus mehr als eine grundsätzliche politische Übereinstimmung: Sie waren Humanisten von einer fast grenzenlosen Toleranz. Auf sie konzentrierte sich in den 60er und frühen 70er Jahren der Hass von Springerkonzern und Rechtsaußen-Politikern vor allem aus der CSU.

Humanisten von fast grenzenloser Toleranz

Willy Brandt bekam 1971 den Friedensnobelpreis verliehen, Heinrich Böll 1972 den Literaturnobelpreis. Und eine traurige weitere Gemeinsamkeit war: Statt das Land im Stolz auf diese ehrenvollen Auszeichnungen zu einen, schäumte die rechte Hetzpresse Hand in Hand mit rechten Politikern.

Der Journalist Norbert Bicher hat nun ein unbedingt zu empfehlendes Buch geschrieben über die von Respekt getragene Freundschaft zwischen diesen beiden Ausnahmemenschen. Der Titel gibt den Ton an: „Mut und Melancholie -Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD“. Glücklicherweise waren beide große Briefeschreiber. Und es ist anrührend, fast ein halbes Jahrhundert später nachlesen zu können, wie besorgt um den jeweils anderen der Politiker und der Schriftsteller waren. Sie hatten ja keine dicke Haut, die sie geschützt hätte vor den heute unvorstellbaren hasserfüllten Vorwürfen:

Gegen Brandt wurde wegen seiner uneheliche Geburt gehetzt und weil er aus der norwegischen Emigration heraus Nazideutschland bekämpft hatte. Böll wurde in die Terroristenecke gedrängt, nur weil er nach Erklärungen suchte für den RAF-Terrorismus. Beide wehrten sich in zahlreichen Prozessen gegen die Verunglimpfungen, unter denen sie litten – wie sehr, wird beim Lesen ihrer Briefe deutlich. Sie machten sich gegenseitig Mut und sorgten sich um die seelische Verfassung dess jeweils anderen.

Von der rechten Presse und Politikern gehasst

Trotz der deutlich spürbaren Zuneigung zu Brandt hielt Böll Abstand zur SPD, ließ sich nicht vereinnahmen. Nur ein einziges Mal, im Wahlkampf 1972 nach dem gescheiterten Misstrauensvotum, mischte er sich ein und warb für den Freund. In einem Essay schrieb er damals wütend: „Offenbar verletzt der Verletzliche nicht gern, und das macht ihn den sporenklirrenden, gelegentlich die Peitsche schwingenden Herren von der Herrenpartei so verdächtig.“

Der SPD-Vorsitzende hat Bölls Zurückhaltung vor und nach jenem legendären 1972er Wahlkampf stets akzeptiert und schrieb nach dessen Tod 1985: Mit aller Milde, mit aller Höflichkeit habe Böll sich jeden Versuch, ihn zu vereinnahmen, verbeten: „Heinrich Böll gehört keiner Fraktion, sondern Deutschland, der deutschen Kultur und der Weltliteratur.“

Bei aller Verschiedenheit von Herkunft, Lebenszielen und politisch-beruflichem Alltag verband Brandt und Böll erstaunlich viel, vor allem ihr Zugang zu den damals jungen Menschen. Willy Brandt hatte schon früh auf die Jugend gesetzt, die den Mief der Adenauerzeit nicht mehr ertragen wollte. Sie fühlten sich von ihm verstanden, ebenso wie vom Schriftsteller Heinrich Böll, der ihre Rebellion mit Sympathie begleitete. Norbert Bicher hat das sehr schön beschrieben in einem langen Essay, den er den Briefen und Dokumenten vorausgestellt hat: „Willy Brandt war für die bundesrepublikanische Jugend der sechziger Jahre eine Identifikationsfigur. Hunderttausende wurden durch ihn politisiert, entschieden sich seinetwegen, der Sozialdemokratie beizutreten oder deren Politik zu unterstützen. Er wurde zum Idol, zu einem politischen Heroen der Nachkriegszeit.“

Brandt und Böll: das Ende der spießbürgerlichen Nachkriegszeit

Heinrich Böll wurde etwas später zum Helden der friedensbewegten Jugend. Er war an ihrer Seite, stellte sich (schon ein alter Herr damals) den Pershings in Mutlangen entgegen, ließ sich als Blockierer von der Straße tragen und sprach im Bonner Hofgarten bei den Friedensdemonstrationen der frühen 80er Jahre.

Für dieses Buch werden wohl viele politisch engagierte Bürger, die damals jung waren, dankbar sein. Es erinnert an die eigene Biografie, daran, dass es in jenen politisch aufregenden Zeiten eine Lust war, sich politisch zu engagieren. Die  Freund-Feind-Linien waren klar. „Willy wählen“ und Böll lesen, das gehörte zusammen. Brandt und Böll, sie stehen für das Ende der spießbürgerlichen Nachkriegszeit, für den Beginn toleranterer Zeiten, was nicht nur die „große Politik“, sondern den Alltag fast jedes Bürgers veränderte.

Infos zum Buch

Norbert Bicher: Heinrich Böll, Willy Brandt und die SPD. Eine Beziehung in Briefen, Texten, Dokumenten. 248 Seiten, 22 Euro, Verlag J.H.W. Dietz

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