
Wer dieses Buch ohne Tränen lesen kann, der hat kein Mitgefühl: „Mein über alles geliebtes Herzelein! Deinen Brief bekam ich gestern. Ich habe ihn – ach, wie oft! – sicherlich 10 mal gelesen. Eine unendliche Sehnsucht nach Dir stieg in mir auf, ich meine manchmal, sie sollte mir die Brust zersprengen.“ Es kann nicht leicht gewesen sein für die Familie, die sehr privaten, sehr berührenden Liebesbriefe des Vaters an seine Frau zur Veröffentlichung freizugeben.
Hans von Dohnanyi lebte für diese Briefe
Es ist einer von zahllosen sehnsüchtigen Briefen voller Liebe, die Hans von Dohnanyi aus Militärgefängnis und Gestapohaft an seine Frau Christine schrieb. Der Mitarbeiter von Wilhelm Canaris im Amt Ausland/Abwehr stand im Zentrum des Widerstands gegen Hitler, sammelte Dokumente, die die Verbrechen des Regimes bewiesen, half Juden in die Schweiz und war an Attentatsversuchen – die fehl schlugen, beteiligt. Im April 1943 wurde er wegen angeblicher Devisenvergehen im Zusammenhang mit der Fluchthilfe verhaftet. Da rechnete er nicht mit einer langen Gefängniszeit, doch als in der Folge des Attentats vom 20. Juli 1944 seine wirkliche Rolle im Widerstand bekannt wurde, da endete wohl die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben mit seiner Frau und den Kindern Barbara, Klaus und Christoph.
Es sind ganz private, herzzerreißende Liebesbriefe an seine Frau, der Schwester des ebenfalls ermordeten Theologen Dietrich Bonhoeffer. Der Zensor las ja stets mit, also verbot sich jedes Wort zur politischen Lage oder zur Sorge um die Mitverschwörer. Hans von Dohnanyi lebte für diese Briefe, die seltenen Begegnungen mit seiner Frau, die Briefe der Kinder, denen er warmherzig und aufmunternd antwortete.
Geistiges Haupt des 20.VII.
Sein Sohn Klaus von Dohnanyi, später ein SPD-Politiker, der die Nachkriegsrepublik mitgeprägt hat, schreibt in einem Nachwort: „Die Gestapo hatte ihn ….als das ‚geistige Haupt des 20.VII. bezeichnet, obwohl er am Tag des Attentats schon seit über einem Jahr in Haft gewesen war. Mag sein, dass man mit diesen dramatischen Worten auch die Verlegung des schwer kranken Mannes in ein Konzentrationslager ‚moralisch‘ zu rechtfertigen suchte, aber manches an der Einschätzung war auch richtig.“
Die in den Briefen spürbare wachsende Verzweiflung des Vaters erklärt der Sohn so: „Man muss beim Lesen der Briefe aus der Haft diesen Riss im Leben meines Vaters in Erinnerung haben. Was wird aus einem Mann der Tat, dem man die Hände bindet, um ihn nur noch zuschauen zu lassen, wie sich ein vorhersehbares Unglück vollendet?“
Und darüber durfte er weder sprechen noch schreiben, deshalb, so der Sohn, geben diese Briefe nur die eine Seite der Ehe dieser außergewöhnlichen Menschen wieder: „Die andere, ihre moralische und eben auch politisch verantwortliche Kameradschaft, durften Briefe aus der Gestapo-Haft nicht einmal ahnen lassen.“
Zwangsläufiger Gang eines anständigen Menschen
Der letzte Brief ist vom 15. März 1945: „Mir geht es ganz gut, darum brauchst Du Dir keine Sorgen zu machen. Schreib mir, wie es im Haus aussieht, was ihr so treibt, es ist für Dich eine so schwere Zeit, für alle. … Umarme die Kinder. Ich drücke Dich an mein Herz! Dein Mann“
Winfried Meyer, der Herausgeber der Briefe, Wissenschaftler am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin, hat sich intensiv mit der Rolle Dohnanyis im Widerstand beschäftigt. Er beschreibt die letzten Tage des schwer kranken Mannes: Am 6. April 1945 wird der fast bewusstlose Verschwörer gegen Hitler in das Konzentrationslager Sachsenhausen geschafft. Ohne ein legales Gerichtsverfahren wird das Todesurteil eines dazu nicht befugten SS-Gerichts vollstreckt. Von der Bahre aus wird Hans von Dohnanyi erhängt. Sein Tod wird weder beurkundet noch der Familie mitgeteilt. Bis Ende 1945 sucht Christine von Dohnanyi verzweifelt nach ihrem Mann, dann gibt sie die Hoffnung auf.
In seiner Einleitung schreibt Winfried Meyer: „Hans von Dohnanyi war nach dem Urteil seiner Frau kein ‚geborener Revolutionär‘. Es waren tiefe politische Überzeugung und – in seinen eigenen Worten – 'einfach der zwangsläufige Gang eines anständigen Menschen‘, die ihn zu einer der zentralen Persönlichkeiten in den Bestrebungen militärischer und ziviler Oppositionskreise zum Sturz Hitlers und seines Regimes werden ließen.“
Hans von Dohnanyi: „Mir hat Gott keinen Panzer ums Herz gelegt“, 352 Seiten, DVA, 24,99 EuroInfos zum Buch