Rezension: Lilian Loke, „Gold in den Strassen“

Glück in Zeiten des Neoliberalismus

Melanie Hudler28. Mai 2015
Ein Roman so gnadenlos wie sein Protagonist: Jungautorin Loke beschreibt in ihrem Debütroman den rasanten Aufstieg und Fall des Frankfurter Luxus-Immobilienmaklers Thomas Meyer.
Lilian Loke, „Gold in den Strassen“

Thomas Meyer, 31, ist Makler für Luxusimmobilien in Frankfurt. Der Sohn eines Schuhmachers hat die Karriereleiter ziemlich schnell erklommen. Zuerst eine Lehre zum Bankkaufmann, dann Privatkundenberater, schließlich Immobilienwirt. Im Laufe von Lilian Lokes Debütroman „Gold in den Strassen“, der jetzt bei Hoffmann und Campe erschienen ist, wird er sich bis zur Position des Büroleiters seines Arbeitgebers Falber Immobilien hocharbeiten.

Verkaufen ist Meyers Leben: „Verkaufen heißt, die Welt verschlingen und mit jedem Wort wieder ausspucken. Aber nur die besten Schlinger taugen zu Spuckern, so gut, dass die Leute das Zeug noch vom Boden auflecken.“ Meyer ist so jemand, der genau spürt, was seine reichen Kunden wollen. Ein aalglatter Makler, manipulativ und süchtig nach dem Gefühl eines erfolgreichen Abschlusses.

Das Buch der Münchnerin Loke geht der Frage nach, was Geld für den Menschen bedeutet und was es aus ihm machen kann. Für ihren Protagonisten Meyer bedeutet Geld vor allem die Bestätigung für seinen Erfolg, der ihm einen luxuriösen Lebensstil ermöglicht. Schickes Appartement in Frankfurter Bestlage, schnittiger Wagen, Maß-Anzüge, teure Uhren, Lunch und Dinner in den besten Restaurants der Stadt: für Meyer sind diese Dinge Zeichen seines Erfolgs. Geld zelebriert er richtiggehend.

Nach jedem großen Abschluss hebt Meyer 1000 Euro in bar bei der Bank ab, um sich zu belohnen und selbst zu bestätigen. Banknoten sind Magie für ihn, Geld die neue Religion. Eine mögliche Erklärung für diese Fixierung liegt in Meyers Kindheit: Der Vater war krankhaft geizig und gönnte der Familie wenig. Sein Taschengeld musste sich Meyer als Schuhputzer in der Werkstatt des Vaters hart verdienen. Für ihn hat Geld etwas mit Verboten und Schuld zu tun, gleichzeitig fasziniert es ihn gerade deswegen umso mehr.  

Sozialdemokratische Erfolgsgeschichte

Meyers Lebensaufgabe scheint darin zu bestehen, Geld und Erfolg mit allen Mitteln nachzujagen. Lokes Romans erzählt aber auch von einem Aufstieg aus einfachsten Verhältnissen. Sozusagen eine sozialdemokratische Erfolgsgeschichte. Meyer kann diesen Aufstieg jedoch nicht genießen, ist ein Getriebener. Ständig spornt er sich zu neuen Höchstleistungen an, betreibt gnadenlose Selbstoptimierung. Top Performance. In seinem Beruf ist neben der zu verkaufenden Immobilie er selbst das Produkt. Der teure Anzug, die Maßschuhe, das Lächeln müssen sitzen. Der Kunde muss beeindruckt, das Luxus-Haus verkauft werden. Meyer ist ein Emporkömmling, ein Speichellecker, angetrieben von der Sucht nach Erfolg und Geld. Er ist auch einer, der nach unten tritt, denn sein Geschäft ist knallhart und die Konkurrenz groß. Für ihn ist Geld Lebenselixier, Religion, Kick und die Eintrittskarte zu besseren gesellschaftlichen Kreisen.

Seine Freundin Nadja kommt aus ebendiesen Kreisen. Ihrer Familie gehört eine Bank. Mit Nadja führt Meyer ein Luxus-Leben und geht „Assis gucken“ im Frankfurter Bahnhofsviertel. Obwohl sich er bei diesem klassistischen Verhalten nicht immer gut fühlt, passt er sich seiner Freundin an. Doch bald kommen ihm Zweifel. Die Beziehung erfüllt Meyer nicht, ist unecht und künstlich. Nadja macht ihm zwar Luxus-Geschenke, richtet seine Wohnung neu ein. Aber für Meyer fühlt sich das an, als nähme sie Besitz von ihm. Die Beziehung gleicht eher einer Performance, seine Leistung wird mit ihren Liebesbekundungen belohnt.

Verändert sich die Liebe also in Zeiten des Neoliberalismus? Meyer selbst bringt es auf den Punkt: „Gefühl ist nur deshalb keine Ware, weil es sich nicht produzieren lässt wie eine Ware, deshalb werden Waren, die Gefühle produzieren, produziert, alle Waren, die nicht für die Grundbedürfnisse produziert werden, werden für die Produktion von Gefühlen produziert, der Mensch will fühlen, fühlen, fühlen.“ Ist Geld ein Ersatz für wahre Gefühle?

Übermächtige Angst vor dem Abstieg

Meyers einziger Freund ist sein ehemaliger Bank-Kollege Koll, ein Blinder, mit dem er regelmäßig in Kunst-Ausstellungen geht und ihm Bilder erklärt. Während sich die anderen Kollegen nicht mit einem „Krüppel“ abgeben wollten, mochte Meyer Koll schon immer. Meyer ist also nicht nur ein knallharter Geschäftsmann, er offenbart an manchen Stellen auch seine menschliche Seite. Als Leser fragt man sich bei dieser ambivalenten Figur deshalb ständig, ob er nun nur ein Opfer des Systems ist oder tatsächlich ein skrupelloser Profiteur.

Loke gibt eine Erklärung für Meyers Getriebenheit. Das Schreckensszenario des Maklers ist der soziale Abstieg. Die Angst wurde ihm eingeimpft vom geizigen Vater, dessen Mantra „Sparsamkeit und Fleiß machen Häuser groß“ war. Das Symbol für Meyers paranoide Angst ist der „Vogelmann“, ein verwahrloster Obdachloser, der mit Zeitungsstreifen statt Schuhen an den Füßen tagein, tagaus vor Meyers Büro die Tauben füttert. Obwohl er es ja offensichtlich geschafft hat, schwebt gefühlt ständig dieses Damoklesschwert über ihm. Meyers schlimmster Albtraum wäre gewesen, die Schuhmacher-Werkstatt seines Vaters zu übernehmen, im „Dreck zu arbeiten“, wie er es ausdrückt.

Gier über Moral

Meyers skrupelloser Charakterzug kommt klar zum Ausdruck, als sein Vater stirbt. Kai Wiesmann, der Geselle des Vaters, will den Laden unbedingt weiterführen, da die Schuhmacherei das Lebenswerk des Vaters war. Meyer lehnt dies brüsk ab und will das Haus  abreißen lassen. Auf dem lukrativen Baugrund soll ein neues Luxus-Appartement für die globalisierte Elite gebaut werden. Ist Meyer wirklich so skrupellos oder ist dieses Verhalten nur ein Ausdruck der Rache am Vater, für den nur Leistung wichtig war und der ihm keine Liebe geben konnte? Der Vater, der ihn nie wirklich akzeptiert hat, aber auch Respekt hatte vor seinem gesellschaftlichen Aufstieg.   ´

Meyer, ein Mann ohne Gewissen also? Der Prototyp eines neuen neoliberalen Menschen? So einseitig wird Meyer von Loke nicht dargestellt. Der Anti-Held denkt kritisch, hinterfragt das Luxus-Leben seiner Kunden und sein eigenes auch teilweise. Seinen Gedanken kann er aber nie Taten folgen lassen. Ab der Hälfte des Buches beginnt dann auch sein Abstieg. Er erkennt, dass er letztendlich auch nur ein Rädchen im System ist, wird zunehmend unzufrieden in seinem Job und findet für seine akquirierten Immobilien keine passenden Kunden mehr. Seine chronischen Magenschmerzen werden täglich schlimmer.

Zudem verschwären sich seine Kollegen gegen den karrierebewussten Makler. Zunehmend wendet er sich auch von seiner Freundin Nadja und ihrer oberflächlichen Luxus-Welt ab. Grund dafür ist sein schlechtes Gewissen, weil er den letzten Wunsch seines Vaters, die Schusterei weiterzuführen, ignoriert hat. Als Leser beobachtet man diesen Abstieg fast mit Mitleid, es kommt einem aber auch der Gedanke, dass so jemand wie Meyer diesen doch eigentlich verdient hätte. Dabei will er doch von seinen Mitmenschen nur nicht „wie Dreck“ behandelt werden. Geld ist für ihn ein Schutz vor sozialer Ächtung. Auf der anderen Seite sehnt er sich nach Freiheit und einem Neuanfang, weit weg von der glitzernden Bankenstadt. Kann Meyer sich letztendlich befreien, auch von seinen eigenen Glaubenssätzen?

Schneller, aggressives Tempo  

Lokes konsequentes Ende überrascht und lässt den Leser ziemlich konsterniert mit einigen offenen Fragen zurück. Insgesamt hat die Münchnerin ein sehr kluges Buch über die Auswirkungen des Neoliberalismus auf den Menschen geschrieben. Gleichzeitig hat sie es geschafft, ein treffendes Psychogramm eines Getriebenen zu erstellen und liefert Erklärungsversuche für Meyers ambivalentes Verhalten.

Der Leser ist ständig mit der Frage konfrontiert, wie er wohl selbst in Meyers Situation reagieren würde. Angewidert und gleichzeitig fasziniert verfolgt man den Aufstieg und Fall des Thomas Meyer. An manchen Stellen wird der Protagonist vielleicht etwas zu klischeehaft dargestellt, sein Verhalten scheint überzeichnet, seine Sprache zu künstlich. Gleichzeitig schafft es Loke damit aber auch genau, die Künstlichkeit der Makler- und Finanzwelt darzustellen.

Die Sprache des Buches ist durchsetzt mit englischsprachigen Makler-Begriffen wie top performance, global investment, high potential, die für eine schnelllebige neue Zeit stehen. Das Leben auf der Überholspur drückt sich auch in Lokes Sprache aus: sie ist gewaltvoll, schnell und aggressiv. Fast schon banal erscheint im Gegensatz dazu der Allerweltsname des Protagonisten. Thomas Meyer: eine Schablone für jeden beliebigen Menschen.

Insgesamt ist „Gold auf den Strassen“ ein kluges Buch über menschliche Sehnsüchte und Abgründe und das Glück in Zeiten des Neoliberalismus.

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