
Der Zerschlagung der Gewerkschaften durch das NS-Regime am 2. Mai 1933 folgten für die Arbeiterbewegung Jahre der Illegalität und des Widerstands. In der Erinnerungskultur dominieren Männer wie Wilhelm Leuschner, Alwin Brandes, Hans Gottfurcht. Bis auf sehr wenige Ausnahmen ist von Frauen nicht die Rede. Umso verdienstvoller ist es einer Gruppe von Historikerinnen und Historikern um den emeritierten Professor Siegfried Mielke zu verdanken, dass diese Leerstelle in ihrem gerade erschienenen Buch „Gewerkschafterinnen im NS-Staat“ gefüllt wird.
Einzelschicksale mutiger Frauen
Mit Kurzbiografien verweisen sie darin auf 90 Gewerkschafterinnen in der Weimarer Republik und ihr Schicksal während der NS-Diktatur. Es zeigt ein breites Spektrum an Einzelschicksalen. Es waren Frauen mit unterschiedlicher Politikorientierung: von den christlichen, über die liberalen und sozialdemokratischen bis zu den kommunistischen gewerkschaftlichen Bewegungen. Sie knüpften Kontakte und hielten als Kuriere Verbindungslinien, versteckten Verfolgte – unter Lebensgefahr in dieser Diktatur. Oder sie beteiligten sich an der Widerstandsarbeit im Exil.
Die Biografien dieser Frauen skizzieren Lebenswege, unter welchen Bedingungen sie sich im Kaiserreich wie in der Weimarer Republik beruflich wie politisch positionieren konnten. So lässt sich auch erklären, dass ein Großteil dieser gewerkschaftlich engagierten Frauen aus eher frauentypischen Berufsfeldern kommt: Lehrerinnen, Krankenschwestern, Textilarbeiterinnen. Prägend ist deren familiärer Hintergrund: Die meisten Frauen kamen aus einem Facharbeiterhaushalt, in denen bereits frühere Generationen Bindungen zur Arbeiterbewegung hatten. Ein Traditionselement also.
Unterstützte jüdische Zwangsarbeiter*innen: Margarete Daene
Margarete Daene zählt dazu. Sie stammte aus einer Arbeiterfamilie, schloss sich während ihrer Handelsschulzeit dem Zentralverband der Angestellten (ZdA) an, übernahm 1930 eine Stelle als Verwaltungsangestellte beim Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) und wertete im volkswirtschaftlichen Archiv Zeitungen und Zeitschriften aus. 1933 verlor sie ihre Arbeitsstelle. Sie schloss sich dem gewerkschaftlichen Widerstand um den Metaller Alwin Brandes an, unterstützte diesen Widerstandskreis beim Herstellen und Verteilen von Flugblättern, organisierte u. a. den Fluchtweg des Gewerkschafters Heinrich Schliestedt.
Nach 1937 beteiligte sie sich am Widerstandskreis in den Teves-Werken in Berlin-Wittenau und unterstützte jüdische Zwangsarbeiter*innen im Betrieb. „Während nach 1945 das Engagement von Margarete und Wilhelm Daene im DMV-Widerstandsnetzwerk und ihre Unterstützung der Widerstandsgruppe im Teves-Werk in Vergessenheit geriet, fanden ihre Hilfe und Rettung von mehreren Jüdinnen vor der Deportation und der Vernichtung eine späte Anerkennung“, schreibt Siegfried Mielke mit Blick auf die Ehrung der Daenes durch den Staat Israel 1978.
Aus der christlichen Arbeiterbewegung stammt Elfriede Nebgen. „Sie hatte bis 1933 bereits eine ungewöhnliche Karriere hinter sich und war aufgrund ihrer langjährigen Gewerkschaftstätigkeit eine erfahrene Netzwerkerin mit Verbindungen zu führenden Akteuren des Widerstandes“, charakterisiert sie Autor Matthias Frese. Genannt werden Jakob Kaiser, wie auch Wilhelm Leuschner und Max Habermann. Sie war an vielen Gesprächsrunden und Planungen beteiligt, war Botin und hatte ihre Wohnung auch als zentrale Anlaufstelle eingebracht. Sie war an der Abfassung der Denkschrift des Gewerkschaftskreises dieser Akteure beteiligt, blieb aber in der „zweiten Reihe“, wie Frese feststellt.
In der Haftzeit gesundheitlich ruiniert: Grete Sehner
Aus der sozialdemokratischen Angestelltenbewegung kommt Grete Sehner, einst Handlungsgehilfin und im ZdA seit 1911 aktiv. Ab 1923 arbeitete sie im Werkmeisterverband, war für Sozialpolitik zuständig und betätigte sich als Referentin in der SPD. Ab 1933 beteiligte sie sich an der Widerstandsgruppe um Bernhard Göring und Hans Gottfurcht, bis sie 1937 aufflog. Sehner war kurzzeitig verhaftet. Die Haftzeit hat sie gesundheitlich ruiniert. Ihr Lebensweg in der Nachkriegszeit verlor sich bis auf einen Ausweis als Opfer des Faschismus, der 1951 ungültig gestempelt wurde, resümiert Autorin Marion Goers.
Herta Gotthelf wiederum war während der Weimarer Republik als Gewerkschafterin und Sozialdemokratin aktiv, hatte bis 1933 die SPD-Frauenzeitschrift „Genossin“ redigiert. Sie floh 1934 nach Großbritannien und war Mitglied im Arbeitsausschuss der „Landesgruppe deutscher Gewerkschaften in Großbritannien“. Viele dieser Widerständlerinnen fanden eher im Osten Nachkriegsdeutschlands eine neue Heimat, während im Westen Deutschlands Frauen noch lange Zeit in der zweiten Reihe der Gewerkschaftsgremien zu finden waren. „Gewerkschafterinnen im NS-Staat“ beleuchtet einen bislang unbeachteten Teil der Gewerkschaftsgeschichte, zeigt bildungsbewusste, willensstarke Frauen aus dem Arbeitermilieu und korrigiert das Rollenbild der unpolitischen Frau.