
„Der revolutionäre Präsident“ heißt im Untertitel das Buch des Schweizer Historikers und Politologen Joseph de Weck, der sich zum Ziel gesetzt hat en même temps (gleichzeitig) – um eines der Lieblingswörter des französischen Präsidenten zu benutzen – Macrons Politikverständnis, die Haltung der Franzosen zu ihren Regierenden im Allgemeinen und zu diesem im Speziellen und zudem die Macron‘sche Vorstellung einer Politik des so genannten Dritten Weges zu analysieren. Natürlich versehen mit der Erklärung, wie Frankreich tickt.
Das gelingt dem Autor vortrefflich. Bei politischen Büchern zu aktuellen Themen und Personen eher selten, sind die Analysen nicht nur faktenkundig zusammengetragen und sehr sorgfältig belegt, sondern vor allem auch in jeder Hinsicht vorurteilsfrei analysiert. Mindestens ebenso wichtig: Der Text ist vergnüglich geschrieben und daher sehr gut lesbar. Fast ist man versucht zu sagen, was will man auch anderes erwarten von einem Mann, der an einem 14. Juli – dem französischen Nationalfeiertag – in Paris geboren wurde und als Sohn des ehemaligen Chefredakteurs der Zeit Roger de Weck umfassend gebildet ist.
Der Autor kennt Frankreich – von innen und außen
Der Autor kennt die Befindlichkeiten und Politikvorstellungen unseres Nachbarlandes sowohl aus der französischen Binnensicht als auch aus dem Blickwinkel von außen. Er weiß um die Bildungs- und Theorieverliebtheit der Franzosen, um den überbordenden Idealismus, der nicht selten (folgt man dem Schriftsteller Michel Houellebecq) in Depression endet. Diese Ansichten zusammenzubringen schärft seine Analyse, zumal sie nicht ideologisch dadurch verstellt wird, Macron entweder vorschnell zum „Präsidenten der Reichen“ abgestempelt zu haben oder ihm andersherum den Nimbus des „Großen Erneuerers“ zuzuschreiben. Das Wort „revolutionäre(r)“ Präsident ist zunächst einmal Anspielung auf den Titel von Macrons eigenem Buch „Révolution“, veröffentlich im November 2016 zur inhaltlichen, politiktheoretischen Begründung seiner damaligen ersten Kandidatur.
De Weck ist kein überzeugter Macron-Fan, schreibt Sätze wie: „Der Wahlmonarch (gemeint ist Macron) umgibt sich zwar mit den Insignien der Populärkultur, aber rasch wirkt es peinlich, so wenn er sich das T-Shirt seines Lieblingsfußballvereins Olympique Marseille überzieht. (…) Er möchte über dem politischen Klein-Klein schweben als Jupiter, der römische Gott der Götter. Das ‚normale Leben‘ liebt er sowieso nicht, wie er unumwunden zugibt.“
Macron war wirtschaftspolitisch erfolgreich
Aber er klärt anhand unverdächtiger statistischer Daten, dass die erste fünfjährige Amtsperiode Macrons ökonomisch erfolgreich war: Nicht nur die Produktivität ist deutlich gestiegen, sämtliche Wirtschaftsdaten sehen besser aus als vor fünf Jahren. Und das gilt in besonderem Maße für die Löhne und die Beschäftigungsquote gerade bei jungen Leuten, aber auch z.B. für Sozialleistungen, die von Macron stärker erhöht wurden als von seinen beiden Vorgängern Sarkozy und Hollande zusammen.
De Weck zeigt gleichzeitig auf, wie und wo sich Macrons ideologische Konzeption eines Dritten Wegs von denen von Tony Blair und Gerhard Schröder unterscheidet, weil er a) aus deren Fehlern hat lernen können und, weil er b) trotz kurzer Mitgliedschaft in der PS, nie wirklich Sozialist gewesen ist. Macron, so de Weck, verbindet sozialdemokratische Ideen mit neoliberalen, bedient reaktionäre wie fortschrittliche und aufklärerische Vorstellungen.
Europa als Dreh- und Angelpunkt
Was ihn wirklich einzigartig mache, sei der grundsätzliche Zugang zu Europa. Macron sei der Politiker, der erstmals das Thema Europa zum Dreh- und Angelpunkt einer Kandidatur gemacht habe – und das in einem nicht besonders EU-freundlichen Land. De Weck räumt dabei auch mit der in Deutschland weit verbreiteten These auf, Macrons EU-Pläne zielten einzig darauf ab, deutsches Geld und deutsche Kredite zu erhalten. In Deutschland werde zu gerne übersehen, dass Frankreich seit langem selbst Netto-Beitragszahler sei, was bedeutet, dass Frankreich bei Budget-Erhöhung ebenfalls zur Kasse gebeten wird.
Überhaupt hilft das Buch, Frankreich in all seiner Widersprüchlichkeit besser zu verstehen, weil es permanent das französische Selbstbild - nicht die von außen angelegten Vorurteile, seien sie positiv oder negativ besetzt – mit der Realität abgleicht. Als Leser lernt man nicht nur die Denkungsart des Präsidenten und die Traditionslinien kennen, in denen er sich subjektiv sieht und/oder objektiv befindet, sondern eben auch, was das mit zentralen Idealen Frankreichs zu tun hat. Das Land der Aufklärung will mit aller Macht Vorbild sein und überfordert sich dabei mit schöner Regelmäßigkeit selbst. Die Leser*innen lernen ebenso zu verstehen, worin die Probleme der französischen Linken wurzeln, was ihre Wahlniederlagen verursacht.
Lektüre ist Genuss und Gewinn
Das Buch ist ein knappes Jahr vor der nun anstehenden Stichwahl Macron gegen Le Pen geschrieben. Insofern konnte es weder den Ukraine-Krieg noch alle Einzelheiten des Wahlkampfes im Detail voraussagen. Die analytische Genauigkeit der Beschreibungen de Wecks zeigt sich aber (auch) darin, alle wesentlichen Weichenstellungen bis hin zum finalen Duell korrekt und präzise vorausgesagt, weil aus Fakten abgeleitet, zu haben.
Die Analyse liest sich mit großem Genuss und Gewinn, ob nun vor oder nach der Stichwahl am kommenden Sonntag. – Zweifelsfrei allerdings entspannter, sollte Frankreich und Europa eine rechtsradikale Hausherrin im Élysée erspart bleiben.
Joseph de Weck, Emmanuel Macron, Der revolutionäre Präsident, 201 Seiten, Weltkiosk, 20,- Euro
Kommentare
Macron
Er mag das geringfügig kleinere Übel sein, aber als Franzose mit sozialdemokratischen Überzeugungen hätte ich großes politisches Bauchweh ihn zu wählen.
"Revolutionär" oder doch eher reaktionär?
Wenn ein bekennender Anhänger von Emmanuel Macron ein Buch schreibt, dann kommt eben kein besseres Ergebnis heraus als dieses Propagandabuch zum Wahlkampf.
Die Rezension einer erklärten Hagiographie des rechtliberalen Präsidenten sollte - sofern sie aufklären wollte - ein kritischer Verriss sein, keine sich anschmiegende Lobpreisung!
Emmanuel Macron besitzt die raffinierte Eigenschaft, sich sogar das, was den Französinnen und Franzosen gegen ihn zu erhalten gelungen ist, noch zugute zu halten.
Dabei darf Macron berechtigt verächtlich auf seine Vorgängern Sarkozy und Hollande zurück blicken, denn besser als diese zu wirken, fällt gar nicht schwer. Nicht zufällig musste nach der Abwahl des rechten Sozialisten Hollande sogar das Parteigebäude verkauft werden und die Partei versank in die Bedeutungslosigkeit.
Ein großes Kompliment haben die Bürgerinnen und Bürger Frankreichs durchaus verdient:
Sie blieben aufmerksam und haben sich weit weniger nehmen lassen als die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland unter Gerhard Schröder!
Dazu Gratulation und viel Kampfesmut in den nächsten Jahren!