
Jedes Schnitzel auf dem Mittagstisch hat eine Vorgeschichte. Das Fleisch stammt von einem Schwein, seine Lebens- und Leidensgeschichte ist aber allzu häufig für Menschen ein Tabuthema. Denn die Folgen industrieller Massentierhaltung ignoriert man gern, was durch die aus dem öffentlichen Bewusstsein erfolgte örtliche Verlagerung einfacher möglich wurde. Darauf verweist die Historikerin Veronika Settele, die an der Universität Bremen arbeitet und ihre Promotion zum Thema schrieb.
Für ein breiteres Lesepublikum legte sie eine inhaltliche Zusammenfassung vor. Sie erschien als Buch mit „Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfängen bis heute“ als Titel. Darin geht die Autorin nicht näher auf das Leiden der Tiere ein, was ihr angesichts einer anderen Problemstellung und Schwerpunktsetzung gar nicht vorgeworfen werden kann. Settele beschreibt dafür in nüchternem Tonfall einen historischen Wandel, der die gegenwärtige Aufmerksamkeit für dieses heikle Thema prägt.
Schweine als Wirtschaftsfaktor
Bereits die ersten Sätze formulieren dabei eine Zusammenfassung: „Die Geschichte der Massentierhaltung begann mit allgegenwärtigen Tieren und mangelndem Fleisch – heute haben wir unsichtbar gewordene Tiere und ein überreichliches Fleischangebot. Sie erzählt davon, dass sich die Menschen und die Tiere, von denen sie sich ernähren, immer stärker voneinander entfremdeten, während dieselben Menschen die Tiere immer passgenauer ihren Bedürfnissen unterwarfen.“ Denn die Haltung und Schlachtung sind nicht mehr so einfach wahrnehmbar. Doch wie kam es zu der damit gemeinten Massentierhaltung?
Berechtigt macht die Autorin darauf aufmerksam, dass diese nicht die Folge einer Konspiration dunkler Mächte war, sondern einer Folge gesellschaftlicher Nachfragen. Denn mit dem Fleischkonsum verband man Glück und Luxus für Menschen, was auch im internationalen Kontext zur Massentierhaltung führte. Kühe wurden dabei zu normierten Leistungsmaschinen, Schweine zu bloßen Wirtschaftsfaktoren.
Aufschlussreiche Vergleiche
Bemerkenswerte Daten dazu findet man immer wieder: So gaben durchschnittlich in der Bundesrepublik 1950 Kühe 2480 Kilogramm Milch, in der DDR waren es 1935 Kilogramm und 2000 dann 6208 Kilogramm. Das quantitative Ausmaß lässt den Ausnutzungsgrad erkennen, wobei Settele derartige Zusammenhänge nicht dezidiert thematisiert. Beachtenswert ist gleichwohl ihre nüchterne Darstellung von der Kaiserzeit bis in die Gegenwart, wo gerade der Bundesrepublik-DDR-Vergleich immer wieder interessant ist.
Deutlich wird dabei etwa, dass die Ausnutzung „keine Frage des Kapitalismus“ war. Betriebswirtschaftliche Kostenrechnungen prägten demnach sowohl die ost- wie westdeutschen Hühnerställe. Zwar habe sich dazu in der Gegenwart etwas im Meinungsbild geändert, aber nicht an den Zuständen, meint die Autorin. Gleichwohl stelle sich als neue „Gretchenfrage der Überflussgesellschaft“: „Wie legitim ist die Nutzung von Tieren zur Lebensmittelgewinnung, wenn man sich auch anders ernähren kann?“
Interessant geschriebenes Geschichtsbuch
Zwar schreibt die Autorin als nüchterne Historikerin, geht aber doch immer wieder auf analytische Aspekte wie die menschliche Widersprüchlichkeit ein. Es heißt etwa bezogen auf die Gegenwart, dass Massentierhaltung mit einem öffentlichen Schreckensbild einhergehe, gleichzeitig sollten aber noch mehr Produkte von den Tieren geliefert werden. Zurückgeführt wird diese Ambivalenz darauf, dass erstens die außer- und innerlandwirtschaftliche Öffentlichkeit auseinanderdrifte und zweitens eben die ökonomische Organisation der Tierhaltung unverändert geblieben sei. Einschlägige Debatten kreisten um verschiedene Sonnen.
Derartige Ausführungen hätte man gern mehr gelesen, gleichwohl liegt hier ein gut und interessant geschriebenes Geschichtsbuch vor. Es macht auch mit vielen Bildern und in anschaulicher Sprache deutlich, wie sich die Entstehungsbedingungen für die Produkte auf unseren Tellern geändert haben. Am Ende wird auf das Laborfleisch als Lösung verwiesen, es gibt aber auch andere Optionen des menschlichen Willens.
Veronika Settele, Deutsche Fleischarbeit. Geschichte der Massentierhaltung von den Anfängen bis heute, C. H. Beck-Verlag 2022, 240 S., 18 Euro, ISBN 978-3-406-79092-8
Kommentare
Fleischkonsum war Ausdruck steigenden Wohlstands
Durch paläoanthropologische Untersuchungen wissen wir seit mehr als 30 Jahren, dass bspw. Schweine bereits vor gut 6000 Jahren im europäische Raum getötet, verarbeitet/gegart und gegessen wurde. Es wurden vorwiegend Tierarten genutzt, die der Mensch unterwerfen (domestizieren) konnte. Mit dem Fleischkonsum von Tieren ging übrigens der einst verbreitete Kanibalismus zurück.
Durch die industrielle Revolution wuchs einerseits der Wohlstand und andererseits auch die Bevölkerung. Da die Landwirtschaft noch vor 80 Jahren nicht so hoch entwickelt war wie heute, war Tierfleisch das beste hochkonzentrierte Nahrungsmittel, das den Bürgern zur Verfügung stand. Folge der Industrialisierung und der Bevölkerungszunahme war eine industrialisierte Tierhaltung.
Über die Jahre hinweg wurden Tierhalter einerseits gesetzlich zur besseren Haltung der Tiere gezwungen andererseits wuchs und wächst das naturwissenschaftliche Wissen über Tiere und technische Verbesserungen halfen und helfen auch, üble Verhältnisse abzuschaffen.
Lebten wir alle wie Bürger Kanadas [durchschnittliche Bevölkerungsdichte 3 Personen/km²] das können, dann würde man unter Umständen kleinere Tierhaltungen haben.
Danke
daß ihr mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht habt. Ich werde es mir anschaffen und lesen.
In der Vorstellung des Buches fehlt mir allerdings die Rolle des Futtermittelimports und des Fleischexports. Außerdem ist die These, daß in früheren Zeiten der Fleischkonsum niedriger gewesen sein soll als heute nicht immer für das europäische Mittelalter belegbar. Zur römischen Kaiserzeit schrieb z.B. ein Tacitus: Sie ernähren sich von Fleisch und Milch. Zahlen von 1817 nach dem Ausbruch des Toba sind nicht representativ, denn damls gab es horrende Missernten und es musste gar das Fahrrad erfunden werden weil es kaum noch Pferde gab.