
Spätestens durch die beiden Präsidentschaftskandidaturen-Kandidaturen von Bernie Sanders ist öffentlich breiter bekannt, dass es auch Akteur*innen eines demokratischen Sozialismus in den USA gibt. Dazu besteht dort eine längere historische Tradition. Mangels bedeutsamer politischer Erfolge fand das damit gemeinte Phänomen weniger öffentlich wahrgenommen. Politisch Interessierte können dazu jetzt in eine voluminöse Monographie blicken: Gary Dorriens „American Democratic Socialism. History, Politics, Religion, and Theory“, ein über 700 Seiten umfassendes Werk.
Es behandelt ausführlich die Entwicklung vom Beginn des 20. Jahrhunderts an, wobei der Autor eine besondere Perspektive einnimmt. Dorrien ist Professor für Sozialethik am Union Theological Seminary und Professor für Religion an der Columbia University. Außerdem betätigt er sich bei den „Democratic Socialists of America“ (DSA) in der „Religion and Socialism Commission“. Demnach schreibt auch ein politischer Aktivist mit besonderer Orientierung, was freimütig auf den ersten Seiten eingeräumt wird.
Ein Buch mit einigen Besonderheiten
Der Autor betont dort, dass er bereits seit jungen Jahren entsprechend gesellschaftlich und politisch engagiert ist. Dies muss nicht notwendigerweise gegen ein solches Buch sprechen, es gilt aber diesen Gesichtspunkt dabei zu berücksichtigen. Dorrien betont darüber hinaus für seine historische Darstellung, er wolle insbesondere die Bedeutung eines christlichen Sozialismus hervorheben. Und genau in diesem Punkt unterscheidet sich seine Studie auch von anderen themenbezogenen Werken.
Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass Dorrien die gemeinten Ereignisse wie ein Historiker erzählt. Dabei erweist er sich als ausgezeichneter Kenner der Materie. Nur bei Ausführungen zur Entwicklung in anderen Ländern finden sich gelegentlich Schiefen. Der Autor ist darüber hinaus auf einzelne Personen fixiert und behandelt den präsentierten Stoff um diese herum. So sind Eugene V. Debs und Norman Thomas, Michael Harrington und Bernie Sanders jeweils ausführlich ein Thema, während die relevanten Organisationen weniger im Zentrum stehen.
Welcher demokratische Sozialismus ist gemeint?
Auch verzichtet die gewählte Darstellungsweise, die eben an die eines Historikers erinnert, auf eine klare Strukturierung und Systematisierung. Die Chronologie prägt den Inhalt. Damit bleibt aber bezogen auf Dorrien ein wenig unklar, was er genau mit demokratischem Sozialismus meint. Bezogen auf die Socialist Party der USA heißt es, deren Gründer hätten geglaubt, zu einer ökonomischen Demokratie gegen den bestehenden Kapitalismus durch Mehrheiten bei Wahlen zu kommen.
Meint der Autor das mit demokratischem Sozialismus? Während er die einschlägigen Deutungen von Sanders oder Thomas thematisiert, fehlt ein entwickelter Arbeitsbegriff für seine Darstellung. Dies wäre aber durchaus für Auswahl und Einordnung interessant: Müsste nicht auch Franklin Delano Roosevelt als demokratischer Sozialist gelten? Und warum rechnet Dorrien dann Martin Luther King dem zu? Für die jeweiligen Einordnungen könnten durchaus Gründe angeführt werden, sie setzen aber die konkrete Benennung der relevanten Kriterien voraus.
Nur eine Frau wird näher thematisiert
Diese kritischen Anmerkungen entwerten aber nicht die Gesamtdarstellung, die allein schon aufgrund des hohen Informationsgehalts und der kleinteiligen Strukturierung einen hohen Wert hat. Dorrien verweist auch durchgehend bei den US-Sozialisten darauf, dass es immer Konflikte um die Schwerpunktsetzung gab. Anfänglich interessierten sie sich primär für die soziale Gleichheit, aber dann doch eher für die der weißen Männer. Der schwarzen Bürgerrechtsbewegung stand man zunächst etwas skeptisch gegenüber, diesbezügliche Änderungen erfolgten erst langsam mit der Zeit.
Ähnlich verhielt es sich bezüglich der Auffassung zur Frauengleichstellung. Interessant ist auch bei Dorriens doch so umfangreicher Gesamtdarstellung, dass mit Nancy Fraser lediglich eine Frau näher thematisiert wird. Selbst die durch das Green-Deal-Konzept bekannte Alexandria Ocasio-Cortez ist nur auf drei Seiten ein gesondertes Thema. Trotz dieser Einwände handelt es sich um eine informative Gesamtdarstellung, die auch mit ihren Einseitigkeiten bestehende Lücken schließt.
Gary Dorrien: American Democratic Socialism. History, Politics, Religion, and Theory, New Haven – London 2021 (Yale University Press), ISBN 978-0300253764