Rezension

Buchtipp „Inkassiopeia“: zwischen Wirecard und Corona

Eva Haase-Aschoff27. Dezember 2020
Was passiert, wenn das Geld die Macht über den Menschen übernimmt? Dieser Frage geht Oskar Cöster in seinem Roman „Inkassiopeia“ nach – und stellt dabei die Auswüchse unseres Wirtschaftslebens mit viel Witz und sarkastischer Ironie dar.
Buchcover Inkassiopeia

In dieser krisengeschüttelten Zeit, in der ein Virus die Welt beherrscht und Rettung außer von der Medizin vor allem vom Geld erwartet wird (der heilsame „Wumms“ aus der „Bazooka“), sind Gutgläubige vielleicht geneigt, die dunkle Seite des „Money makes the world go around“ für überwunden zu halten. Dabei lehrt der Fall Wirecard das Gegenteil. Und, wir ahnen es alle, er ist nur die Spitze des Eisbergs. Dem Autor Oskar Cöster ist es in seinem Buch „Inkassiopeia“ gelungen, die Auswüchse unseres Wirtschaftslebens in all ihrer Vielschichtigkeit – und mit viel Witz, sarkastischer Ironie und großem Spektakel darzustellen.

Das „große Inkasso“ in der Kathedrale des Finanzkapitals

Wie auf dem Titelbild eindrucksvoll gestaltet – einem Gemälde der Künstlerin Marion Drechsler –, ist der Ort des Geschehens eine Kathedrale des Finanzkapitals. Und mit den vier Figuren, die sich klammheimlich davonstehlen, sind die vier Hauptakteure angedeutet, die als betrügerisches Banker-Quartett einen tollkühnen Coup, das „große Inkasso“, in der eigenen Bank durchziehen. Es handelt sich um den Vize-Direktor (im Wortsinn der „Bauch“ des Projekts mit entsprechenden Boss-Allüren), den wendigen Innenrevisor, den dienstfertigen, etwas hilflos erscheinenden Kassierer und die Geliebte des Vize, ein Luxusgeschöpf par excellence! Alle sind der Verführungsmacht des Geldes erlegen und sich einig in ihrer dunklen kriminellen Absicht – so wie es auch bei den Verantwortlichen von Wirecard gewesen sein mag.

Der Autor hat ein Händchen dafür, die individuellen Lebensschicksale seiner Protagonist*innen mit psychologischem Raffinement darzustellen, um gleichzeitig – und das ist das Besondere an diesem Buch – das Exemplarische sichtbar werden zu lassen. So erkennt der aufmerksame Leser mit einem Schmunzeln hinter den oft witzig überzeichneten Charakteren sehr wohl bekannte typische Verhaltensweisen aus seinem eigenen Lebensumfeld. Dodo zum Beispiel, Assistentin und Geliebte des Vize, eine Ausgeburt von Luxusfrau, ist durch und durch berechnend und oberflächlich zugleich. Und wer kennt nicht den – in dem Vize verkörperten – Typ Wichtigtuer mit blendender Fassade, stets bereit, alle Vorteile seiner gesellschaftlichen Stellung frech und fordernd auszunutzen?

Tiefenbohrung in das Wesen des Kapitalismus

Oskar Cöster ist aber mehr als ein Schriftsteller – er ist auch Philosoph. Das 44. Kapitel ist eine äußerst lehrreiche, funkensprühende philosophische Abhandlung in Dialogform über das „liebe Geld“, den „Gegengott“ unserer Zeit. Hier ist besondere Konzentration des Lesers gefragt – aber die Mühe lohnt sich, denn dieses Kapitel, ein Gelenkstück gleichsam, ist gekonnt und geistreich in den Gesamtkontext der Handlung eingebettet. Für den aufmerksamen Leser, auch ohne philosophische Vorkenntnisse, ein Gewinn! Denn es ist eine Art Tiefenbohrung in das Wesen einer kapitalistischen Wirtschaft, in der das Geld „die Welt im Innersten zusammenhält“.

Am Ende scheitern alle Figuren nach teils bizarren Abenteuern und ebenso überraschenden wie spannenden Wendungen; sie scheitern grandios an sich selbst und ihrer maßlosen Geldgier – die aber letztlich befeuert wird durch ihre unerfüllte Liebessehnsucht, das eigentliche Motiv ihres Handelns. Das kann allerdings unter verderbten Bedingungen nur pervertiert zur Wirkung gelangen: indem das Geld erst zum Mittel der Erfüllung und dann zum Selbstzweck wird.

Fulminanter Abgesang auf eine überlebte Zeit

Nach den Erfahrungen mit Corona bekommt dieser Roman, wie eingangs angedeutet, eine über die unmittelbare Handlung hinausgehende Bedeutung: die eines Weckrufs. Er wirkt wie ein fulminanter Abgesang auf eine überlebte Zeit, den Turbokapitalismus, der den Menschen gern mit Haut und Haaren vereinnahmt, ihn verführt, nur noch zu funktionieren und rastlos dem Geld hinterherzurennen.

Vielleicht sind die wirtschaftlichen Krisen weltweit und die vielfältigen persönlichen Erfahrungen, die uns Corona beschert hat, eine Chance für uns, wieder die Balance zu finden, eine Balance, die es uns erlaubt, den Fokus mehr auf Werte wie Familie, Freunde, Umwelt und unser Überleben auf diesem Planeten zu legen.

Wie auch immer: Dieser Roman ist anspruchsvoll und ungeahnt aktuell, ein erstklassiges Leseerlebnis.

Oskar Cöster: Inkassiopeia. Der Mammon von Sankt Nimmerlein, ISBN 978-3-9802597-3-6, 24,50 Euro

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