Rezension: In der Kriegsgesellschaft

Arbeiter in der Kriegsgesellschaft

06. November 2014
Die 1.500 Seiten starke Studie „In der Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1939 bis 1945“ kann als Standardwerk bezeichnet werden. Der Historiker Michael Schneider liefert damit einen Beitrag zur Geschichte der nationalsozialistischen Politik und zu jener der Arbeiterbewegung.

Der Wissenschaftler vermittelt mit seiner gut lesbaren Studie tiefe Einblicke in die Kriegsgesellschaft. Schneiders politische Sozialgeschichte des „Dritten Reiches“ in der Kriegszeit ist in drei große Kapitel gegliedert und lässt sich durch mehrere Register leicht erschließen und erlaubt tiefe Einblicke in die Kriegsgesellschaft.

Mit dem Band knüpft Schneider, ehemals Leiter des Archivs der sozialen Demokratie bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und Honorarprofessor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn, an seine 1999 erschienene Studie „Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939“ an.

Viel stille Duldung, wenig überzeugte Unterstützung

Schneider weist nach, dass der überwiegende Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter den NS-Staat nicht als Fremdherrschaft empfand, sondern – aus unterschiedlichster Motivation – die Kriegsführung unterstützte. Nicht wenige Arbeiter wurden zu aktiven Trägern des Regimes, die Mehrheit arrangierte sich mit dem NS-Staat – auch um zu überleben.

Denn die innere Stabilität des Regimes und die Dauerhaftigkeit der Kriegsführung basierten maßgeblich auf dem Mitmachen der Arbeiterschaft. Um diese zu sichern, setzte die NS-Politik keineswegs ausschließlich aufs Umwerben. Sie nutze immer auch Terror: Drohungen, Strafen und Gewalt, so Schneider. So relativiere sich die Bedeutung der mannigfachen Zeichen von Zustimmung und Gefolgschaftstreue der Arbeiterschaft.

Die NS-Führung konnte sich, wie Schneider darlegt, der Gefolgstreue der Arbeiterschaft nie ganz sicher sein. Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter beteiligten sich am politischen Widerstand. Die Nationalsozialisten konnten die Arbeiterbewegung nicht dauerhaft zerschlagen. Das zeigt auch das sofortige Wiederaufleben der 1933 zerstörten politischen und gewerkschaftlichen Arbeiterorganisationen nach dem Ende der Diktatur.

Keine Überwindung von Klassengrenzen

Schneider behandelt im ersten Teil seiner Studie die Einbindung der Arbeiter in Krieg und Kriegswirtschaft, eingebettet in eine Darstellung von Vernichtungskrieg, rassistischem Massenmord und Terrorsystem. Der Autor legt dar, dass die Deutsche Arbeitsfront (DAF), als Nachfolgeorganisation der zerschlagenen Gewerkschaften, ein Janusgesicht hatte. Einerseits setzte sie sich – mit wenig Erfolg – für die materiellen Interessen der Arbeitnehmer ein; andererseits diente sie vor allem als Vermittlerin der NS-Ideologie und setzte auf die Ausbeutung der Arbeitskraft zur Steigerung der Rüstungsproduktion.

Die von manchen Forschern behauptete egalitäre Modernisierung der deutschen Gesellschaft widerlegt Schneider. Die Überwindung von Klassen- und Ständegrenzen angesichts erfolgte angesichts der dominierenden reaktionären Bestandteile der NS-Ideologie und ihrer Umsetzung in der Praxis nicht.

Ausbeutung und Vernichtung von Fremdarbeitern

Im zweiten Teil befasst Schneider sich mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterschaft. Zudem schildert er die elende Situation der Zwangsarbeiterinnen und sowjetischen Kriegsgefangenen. Bis Ende 1944 wuchs die Zahl der ausländischen Zivilarbeiterinnen und -arbeiter und Kriegsgefangenen auf 8,2 Millionen an; hinzu kamen rund 700.000 ausländische KZ-Häftlinge.

Damit machte der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte Ende 1944 mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen aus. Millionen von ihnen überlebten die Gefangenschaft aufgrund von Ausbeutung, Hunger, Misshandlung und Vernichtung nicht. Die Arbeitsverhältnisse der Zwangsarbeiter bezeichnet Schneider als einen Rückschritt in die Zeit der Frühindustrialisierung. Für das Selbstverständnis der deutschen Arbeiterschaft spielte das Schicksal der Fremdarbeiter, der Juden und der „Zigeuner“ jedoch keine große Rolle, konstatiert Schneider.  

Arbeiterbewegung in Exil und Illegalität

Im dritten und letzten Teil der Studie geht es um die Politik der Arbeiterbewegung in Exil und Illegalität, die Bemühungen zur Neuformierung der Organisationen im Untergrund, zur programmatisch-politischen Erneuerung und zur Mobilisierung von Widerstandsaktionen. Schneider schildert, dass die unterschiedlichen Kräfte der Opposition auch im Exil nur selten zu gemeinsamen Aktionen zusammenfanden. Die Darstellungen von Einzelschicksalen illustrieren beispielhaft, wie viel Mut und Opferbereitschaft der Kampf gegen das NS-Regime erforderte.

Michael Schneider: „In der Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1939 bis 1945“ Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GmbH, Bonn 2014, 1.512 Seiten, 98 Euro, ISBN 978-3-8012-5038-6