Geschichte

Erich Ohser/e.o.plauen (1903 - 1944)

Haben Sie die Geschichten von "Vater und Sohn", jene bis heute vielfach verlegten Bilderstrips aus der Mitte der 1930er Jahre tatsächlich schon einmal genau betrachtet? Denn bis auf wenige plakative Beispiele verschwindet in den noch heute erscheinenden Buchausgaben Wesentliches: Jener spannende Respons zwischen den figurativen Erfinungen Ohsers und der Zeitgeschichte.
von Detlef Manfred Müller · 1. Juni 2009
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Mit "Vater und Sohn" wurde e.o.plauen regelrecht berühmt und zeichnete zugleich den ersten Comic des deutschsprachigen Raumes. Dessen unterhaltsame Folgen erscheinen bis Dezember 1937 in der großen "Berliner Illustrirten Zeitung" (BIZ). Mit ihrem frankophilen Esprit stehen sie geradezu diametral zum atmosphärischen Umfeld der Veröffentlichung, jenem kruden "Dritten Reich" des Adolf Hitler. Der enorme zeitgenössische Erfolg erklärt sich vielleicht ein Stück weit von daher, nicht jedoch die bis heute anhaltende Popularität. Der, der solches zuwege brachte, war seit 1928 auch Mitglied der SPD: Kurt Erich Ohser, alias e.o.plauen.

Sozialdemokrat und unvollendeter Meister der deutschen Karikatur

Geboren im vogtländischen Untergettengrün, wächst Ohser in P l a u e n auf, arbeitet und lebt jedoch bis zum Freitod in der Untersuchungshaft des Freislerschen "Volksgerichthofes", vor allem in der deutschen Metropole Berlin. Dort gelingt ihm auch das reichliche Tausend veröffentlichter Pressekarikaturen. In kaum mehr als anderthalb Jahrzehnten, den letzten Jahren des "Weimarer" Säkulums bis zum vorletzten Jahr des NS-Regimes entsteht dieses kaum zu überschätzende Konvolut. Dessen Essenz dürften dabei, die einzigen mit karikierender Absicht im "Dritten Reich" veröffentlichten Hitler-Darstellungen bilden.

Reproduziert mit den Millionenauflagen der Wochenschriften BIZ und "Das Reich" - beide "Deutscher Verlag"/vormals "Ullstein" - sind sie bisher ohne Beispiel in der deutschen Presse nach 1933. Ohser steht insofern als Zeichner singulär. Naturgemäß bleiben die wenigen subtilen Zeugnisse der zeitgenössischen Wahrnehmung solcher Satire schmal. Der deutsche Nachkrieg jedoch scheint den subversiven Geist von Ohsers "Vater und Sohn", wie der ab 1940 folgenden "Kriegs-Capriccios", nahezu vollständig übersehen zu haben. Nun hat die Plauener Ohser-Forschung sie entdeckt, erstmals regelrecht erschlossen und gewürdigt. Es sind brisante Dokumente der Publizistik-Geschichte des "Dritten Reiches"

Der Zeichner im Deutschen Reichstag

Im Jahr 1928 konterfeit Ohser bekannte sozialdemokratische Politiker der Regierungsbank. Es sind Rudolf Wissel, SPD-Reichsarbeitsminister, Carl Severing, SPD-Reichsinnenminister und Rudolf Hilferding, SPD-Reichsfinanzminister. Außerdem entstehen Skizzen der sozialdemokratischen Reichstagsmitglieder Otto Landsberg, Dr. Rudolf Breitscheid, Artur Crispien und des Vorsitzenden der SPD Otto Wels. Besonders die beiden Portraits von Dr. Rudolf Breitscheid, preußischer Innenministers und außenpolitischer Sprecher der SPD Reichstags-Fraktion, imponieren uns.

Die Abendausgaben des "Vorwärts"

Schon ab Mitte der zwanziger Jahre kann Ohser in der sozialdemokratischen "Volkszeitung für das Vogtland", einer USPD-Gründung, und deren Pendant, dem benachbarten "Zwickauer Volksblatt", seine Arbeiten unterbringen. Die eigentliche Karriere des politischen Zeichners Erich Ohser beginnt allerdings erst im September 1929. Der Sechsundzwanzigjährige persifliert im "Vorwärts" schonungslos die totalitäre Linke und die marodierende Rechte, karikiert stalinistische Kommunisten, wie das NS-Mordgesindel mitsamt deren deutschnationalen Steigbügelhaltern. Die Interessenverwandtschaft der NS-Schlägerbanden mit der totalitären Linken wird genauso schonungslos aufgedeckt, wie die Affinität der Nationalkonservativen zur völkischen Bewegungen vorgeführt.

Wir finden die Ergebnisse seiner spröden, hart aufsetzenden Feder in 170 "Vorwärts"-Abendausgaben. Seismisch skizziert Ohser das aufgehetzte Klima kurz vor dem Absturz der Demokratie, fokussiert mit seinen umrisshaften Zeichnungen den sozialdemokratischen Blick auf das Ende der "Weimarer Republik" und deckt die kriminellen Umtriebe der politischen Dunkelmänner dieser Jahre auf. Etwa wie Hitler die Hugenbergpartei politisch gegen die "Weimarer" Demokratie zu instrumentalisieren weiß. Die Arbeiten besitzen dabei kaum Schatten, haben wenig räumliche Tiefe, wirken nahezu hölzern, zuweilen sogar atavistisch und entsprechen formal der politischen Grobschlächtigkeit, mit der die Auseinandersetzungen vor der nationalsozialistischen "Machtergreifung" geführt werden. Noch in den ersten Monat des Schicksalsjahrs 1933 erscheinen Ohsers mutige Sottisen.

Die Nazis sind da...

Etwa der "Tag von Potsdam", die Inszenierung der Nationalsozialisten vom 21. März 1933 anlässlich der Einberufung des Reichstages, bildet die Zäsur: Verfolgung erwartend, verbrennt der Karikaturist die Originale seiner politischen Zeichnungen und verlässt Berlin fürs Erste. Doch wieder erwarten geschieht nichts Dramatisches, ja Ohser kann sogar in der "Neuen Leipziger Zeitung" (NLZ) relativ kontinuierlich weiter veröffentlichen. Schließlich geschieht sogar ein kleines Wunder. Anfang 1934 äußert der Ullstein-Verlag eine Bitte an den Zeichner: "Stehende Figuren" für die BIZ. Ohser entwirft "Vater und Sohn" und folgt der Auflage des NS-Propagandaministers Goebbels: Unter Pseudonym wird der erste deutsche Langzeitcomic publiziert.

"Vater und Sohn" - ein Idyll mit doppeltem Boden?

Haben Sie sich die Geschichten schon einmal genau angesehen? Falls Ihre Antwort "Selbstverständlich!" lautet, müssen wir Sie fragen, ob Sie sich da auch sicher sind? Begeistert aufgenommen, verstärken die Figuren noch die enorme Resonanz der damals auflagenstärksten deutschen Zeitschrift. In der Folge werden sie zu Imageträgern und Objekten eines bis dato so nicht gekannten Merchandising. Fast synchron mit dem Illustrirten-Abdruck bringt das Verlagshaus die Strips außerdem in drei Buchausgaben heraus. Ein Klassiker der Branche ist geboren.

Noch heute erscheinen die gelben, roten, blauen Bände beim Südverlag Konstanz. Doch in den Sammlungen verliert sich fast zwangsläufig Wesentliches: Der politische Hintergrund. Bis auf wenige Beispiele, verschwindet jener spannende Dialog zwischen den figurativen Erfindungen Ohsers und der Zeitgeschichte fast vollständig. Übrig bleibt die vermeintliche Idyllik e.o.plauens. Bis heute wird der Verlust solch historischer Grundierung nicht eigentlich als Defizit empfunden. Der Betrachter kommt anscheinend gut ohne die fragwürdigen Staffagen, die nahezu ausgeblendete NS-Totale aus. Das Ergebnis allerdings ist fehlende Tiefenschärfe bei Betrachtern und Interpreten.

Dabei illustriert die BIZ das nationalsozialistische Jahrzwölft überaus eindringlich. Als große Bilder-Bühne der monströs überformte NS-Presselandschaft zeigt die Berliner Illustrirte das zum tieferen Verständnis der Strips an sich unverzichtbare Zeitgeschehen. Doch nicht nur allein das! Ullstein-Redakteure stellen e.o.plauens papierne Attentate in den Kontext von Fotografien, Titel- und Textarrangements. Diverse politische Aufnahmen stehen in kompositorischem Bezug zu den Bildgeschichten. Redaktion und Zeichner setzen dabei auf sensibles und genaues Betrachten, auf Nachdenken. Nicht selten wandeln sich auf diesem Wege die skurrilen Abenteuer in verblüffende Satiren: Ohser & Co. opponieren "zwischen den Zeilen". Und dieses Vabanquespiel geht auf, lädt zum Feixen über den Führer und sein Gefolge ein und bleibt zugleich doch ungeahndet. Das Wagnis wird nicht justiziabel. Es gelingt den Beteiligten ungeschoren, ironische Kommentare über die Nazi-Clique und den brandigen Zeitgeist abzugeben.

Konnten wir Ihr Interesse am ersten deutschen Langzeit-Comic, erneut wecken? Wenn ja, folgen Sie uns in das inzwischen vorliegende Katalogbuch "Vater und Sohn & die Berliner Illustrirte Zeitung", folgen Sie uns in die Kulissen der historischen Berliner Illustrirten. Wir haben aufschlussreiche Szenen noch einmal aufgebaut und bieten eine Lesart an, die auch Erich Ohsers eigentlichen Intentionen entsprechen dürften.

 

Weitere Informationen:

Die Galerie e. o. plauen wurde am 3. Oktober 1993 eröffnet. Gleichzeitig konnte die e.o.plauen-Gesellschaft gegründet werden. Deren erster Vorsitzender war Prof. Dr. h.c. Willi Daume. Seit 1996 vergibt die Stadt Plauen mit der e.o.plauen-Gesellschaft den e.o.plauen-Preis, einen Preis für Karikaturisten. Preisträger waren bisher u. a.: F. K. Waechter, Robert Gernhardt, Paul Flora, Tomi Ungerer und Jean-Jacques Sempé. 2004 ging der Ohsers-Nachlass in die dafüretablierte e.o.plauen-Stiftung ein. Die e.o.plauen-Galerie präsentiert im ständigen Wechsel Arbeiten aus dem künstlerischen Gesamtwerk. Zu sehen sind außerdem Fotografien, Dokumente und Mobiliar, wie etwa der Zeichentisch e.o.plauens.

Galerie e.o.plauen

Bahnhofstr. 36, 08523 Plauen
Telefon 03741 - 2912344 · Fax 03741 - 2912349
E-Mail: galerie-e.o.plauen(at)freenet.de
Ansprechpartnerin: Karin Müller
www.galerie.e.o.plauen.de

Öffnungszeiten:
Montag geschlossen
Dienstag bis Sonntag und Feiertag 13.00 Uhr - 17.00 Uhr und nach tel. Vereinbarung

 

Detlef Manfred Müller: Erich Ohser - e.o.plauen (1903-1944) "Der politische Zeichner - Annäherung an eine Künstlerexistenz in Weimarer Republik und Drittem Reich". Vogtlandmuseum Plauen 2004, 28 x 21 cm, 64 Seiten, 50 teilweise ganzseitige Duoton-Abbildungen, Paperback, Preis 10 EUR (Kommissionsrabatt 30 Prozent) Außerdem erschienen:
Detlef Manfred Müller: Erich Ohser - e.o.plauen (1903-1944) "Vater und Sohn & die Berliner Illustrirte Zeitung", Galerie e.o.plauen 2009, 28 x 21 cm, 160 Seiten, 210 teilweise ganzseitige Duoton- und 11 farbige Abbildungen, Paperback, Preis 16 EUR (Kommissionsrabatt 30 Prozent). Hg. Friedrich Reichel, Direktor des Kulturbetriebes der Stadt Plauen & Erich Ohser - e.o. plauen Stiftung Kulturbetrieb Stadt Plauen, 2009

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