Ausbildung

Warum Wertschätzung nicht vom Studienabschluss abhängen sollte

Alice Greschkow30. September 2020
Häufig ist die gesellschaftliche Wertschätzung für Berufe, die einen Hochschulabschluss voraussetzen, höher. Dabei hat die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig Kassierer*innen, Pfleger*innen und andere systemrelevante Berufsgruppen sind.

Eine Gesellschaft brauche die Balance zwischen intellektuellen, handwerklichen und fürsorglichen Berufen, um zu funktionieren. Allerdings seien kognitive Fähigkeiten mittlerweile zum Goldstandard geworden – meint zumindest der britische Autor David Goodhart. Er fasst zusammen: Die Klugen sind zu einflussreich geworden. Doch gerade für Deutschland hat er die Hoffnung, dass es diesem Trend nicht folgt.

Höhere Wertschätzung für Hochschulabsolvent*innen

David Goodhart ist keine unbekannte Figur. In Großbritannien gehört der Autor und Publizist zu den scharfsinnigsten Beobachter*innen seiner Zeit. Er beschreibt sich als Sozialdemokrat, kritisiert den Umgang der britischen globalisierten Elite mit den „einfachen Leuten“ und fordert eine moderate Globalisierung im Gegensatz zu einer Hyper-Globalisierung. In seinem neuen Buch „Head, Hand, Heart – The Struggle for Dignity and Status in the 21st Century“ (die deutsche Version erscheint Anfang 2021) widmet er sich der Arbeitswelt – oder vielmehr den Problemen der Arbeitswelt.

Seiner Auffassung nach, ist die Wertschätzung für Berufe immer stärker in Richtung Jobs gekippt, die oft einen Hochschulabschluss voraussetzen und bei denen das Hauptwerkzeug der Menschen ihr Kopf ist. Arbeitnehmer*innen aus dem Bereich des Handwerks haben genauso eine gesellschaftliche Entwertung wie Personen, die in der Sorgearbeit tätig sind. Die Wertschätzung ist hierbei nicht nur und vornehmlich mit dem Gehalt gleichzusetzen – es geht dabei um Respekt und soziale Anerkennung.

In Deutschland liegen Feuerwehrleute vorn

Wenn man den Daten des „Monitors öffentlicher Dienst“ des Deutschen Beamtenbundes (dbb) glauben möchte, trifft diese Analyse für Deutschland nicht zu. Darin wurde nämlich die Anerkennung verschiedener Berufsgruppen abgefragt. Feuerwehrleute, Kranken- und Arzthelfer*innen und sind in den Top 4 der Rangliste. Zwar genießen auch Ärzt*innen sowie Universitätsprofessor*innen und ein hohes Ansehen, allerdings finden sich im unteren Drittel Berufe wie Manager*innen und Beamte. Das Bild ist hierzulande also gemischt.

Allerdings kann man auch in Deutschland gewisse Trends beobachten, die darauf hinweisen, dass das Kognitive immer wichtiger wird: Trotz eines guten beruflichen Ausbildungssystems steigt die Quote der Akademiker*innen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat Deutschland in der Vergangenheit wegen der verhältnismäßig geringen Quote an Hochschulabsolvent*innen gerügt. Der Grund: Akademische Qualifikation galt lange als Garant für Innovation und Produktivität. Während Fabriken im Zuge der Globalisierung in Niedriglohnländer verlagert wurden, blieben viele Dienstleistungsberufe, die eine Hochschulbildung voraussetzten.

Auch die Akademisierung des Hebammenberufs unterstreicht den Trend. Deutschland war das letzte Land in der EU, bei dem der Beruf noch nicht auf Hochschulniveau gelehrt wurde – was auch daran liegt, dass es in wenigen Staaten ein Äquivalent zur deutschen Berufsausbildung gibt. Die WHO hat die Akademisierung lange empfohlen und auch der Hebammenverband forderte lange, dass die Ausbildung akademisch verläuft. Ein Grund dafür ist, dass es zunehmend schwieriger werde, die steigende Zahl der Abiturient*innen für Ausbildungsberufe zu begeistern.

Es gibt keine Jobgarantie für Wissensarbeitende

Goodhart argumentiert, dass das Ungleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Berufskategorien für eine Gesellschaft schädlich sei. Wir merken insbesondere in der Corona-Krise, dass es problematisch ist, wenn wichtige Güter wie Medikamente oder medizinische Schutzausrüstung vornehmlich im Ausland produziert werden oder Lieferketten zusammenbrechen, weil die Fertigung sich über mehrere Länder erstreckt. Die Effekte der Internationalisierung sind bis heute spürbar – Menschen, die ihren Job infolge einer Werksschließung verloren haben, bleiben in ihrem Frust oft allein zurück. Sie verlieren den Glauben an die soziale Marktwirtschaft und ihre demokratischen Vertreter*innen.

In den ersten Wochen der Corona-Pandemie wurde zwar für das Gesundheitspersonal in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auf Balkons applaudiert, doch viele Pfleger*innen empfanden die Geste als unpassend. Jahrelange Personalkürzungen und harte Arbeitsbedingungen können nicht mit einem Applaus relativiert werden. Arbeitsminister Hubertus Heil hat schnell reagiert und arbeitet an neuen Tarifverträgen für die Pflegebranche, allerdings wird es dauern bis flächendeckend neue Standards gesetzt sind. Angesichts der Überalterung ist eine nachhaltige Aufwertung der Pflegeberufe dringend nötig.

Harte Arbeitsbedingungen und unsichere Beschäftigung haben den Trend zu kognitiver Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten vorangetrieben. Der neue Typus des*der Wissensarbeiters*in sollte es besser haben und einen gut vergüteten Beruf mit zuverlässigen Zukunftsperspektiven finden. Goodhart argumentiert nun, dass mit dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz auch die Wissensarbeit langfristig nicht unbedingt sicher ist – Berufsbilder können sich nämlich rasend schnell verändern.  

Ein Balanceakt zwischen internationalen Standards und Reform der Berufsausbildungen

Deutschland hat mit seinem beruflichen Ausbildungssystem über Jahrzehnte eine Grundlage für stabile Beschäftigung geschaffen, die sich lange bewährt hat. Sowohl während der Wirtschaftskrise 2008/2009 als auch in der aktuellen Corona-Krise ist die Zahl der Entlassungen im weltweiten Vergleich geringer – auch weil gut ausgebildete Kräfte gut in Unternehmen verankert sind.

Der internationale Druck, Standards vergleichbar zu gestalten, macht allerdings auch vor dem deutschen System nicht Halt. Es ist wichtig, berufliche Qualifikationen in der EU anzugleichen, gleichzeitig sollte die berufliche Ausbildung nicht zu einer Option B verkommen. Goodhart kritisiert, dass Reformen bei Ausbildungsinhalten und neuen Berufsbildern zu lange dauern – aber, dass sie ultimativ Möglichkeiten für Menschen eröffnen, die selbst kein Interesse an der Hochschulbildung haben.

Millionen von Menschen leisten in Deutschland einen Beitrag dazu, dass Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren. Auch wenn im Zuge der Corona-Krise das medizinische Personal, Kassierer*innen, Logistiker*innen und weitere systemrelevante Berufe sichtbar geworden sind, heißt dies noch lange nicht, dass sich die Mentalität der Wertschätzung auch langfristig ändern wird. Denn selbst wenn in der Theorie die Anerkennung für diese Menschen da ist, so berichten in der Praxis viele über mangelnden Respekt – auch von ihren Mitmenschen.

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