Ein wenig zweifelte ich an meinem Gesprächspartner am Telefon. Wollte der Redakteur jetzt bei mir einen Text über den „starken Start“ bestellen? Wollte er mich verhöhnen? Der BVB war zwar am Wochenende gegen Bayern München stark gestartet, hatte dann aber doch verloren. Kennt man, aber was geht diesen brutalen Bayerndusel jetzt eine sozialdemokratische Zeitung ohne Sportteil an? Es stellte sich heraus, es war wieder dieses Regionaldings. Wir haben es hier in der Gegend um Herne nicht so mit dem harten „r“ in den Wörtern. Arbeit wird zu Aabeit, der Markt zum Makt, klingt dann wie Magd und Magdwirtschaft, und Karl ist kahl, trotz Vokuhila. Es stellte sich heraus, es ging gar nicht um den starken Start, sondern um den starken Staat.
Unversteuerter Tabak mit Apfelaroma sichergestellt
Reflexhaft bin ich da raus. „Starker Staat“ klingt für mich mit einer jugendlichen Vergangenheit, die mancher hat, der nicht vom Schlager kommt, erst mal nach Stress und unangenehm und Polizeistaat. Keine Sorge, zum Glück kann ich mittlerweile Luft holen, den Punk mal Punk sein lassen und dann mit dem Denken anfangen.
Ein starker Staat kann was Feines sein. Man muss ihn ja nicht so wie NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) inszenieren. Dabei kommt nur irgendwas kirmeshaftes heraus, zwischen dem stärksten Mann der Welt aus der Boxbude und „Hau den Lukas“. Dazu stürmt Reul gerne am Wochenende mit dem SEK in die örtlichen Shisha-Bars. In Kampfmontur wird da dann unversteuerter Tabak mit Apfelaroma gleich grammweise sichergestellt. Stark sind die Bilder – Bahnhofsviertel nachts, Blaulichtreflektionen in Regenpfütze – allein für diejenigen, denen die Rosenheim-Cops im ZDF noch schlaflose Nächte bereiten.
Ein Liberaler im Feinripp-Unterhemd
Das kann nicht der starke Staat der Sozialdemokratie sein. Den erkennt man am besten in seiner Negation, im schwachen Staat. Den besingt jetzt gerade wieder dieser Liberale, der gerne Politik im Feinripp-Unterhemd betreibt. Und viele stimmen ein. Natürlich klappt gerade vieles nicht in Corona-Zeiten. Genauer gesagt klappt gerade gefühlt herzlich wenig.
Das ist deshalb so peinlich, weil wir bislang so selbstergriffen auf die funktionierende deutsche Staatsorganisation blickten. Da hat alles seine Ordnung, von der DIN-genormten Büroklammer über den TÜV bis zum jährlichen TÜV für Büroklammern.
„Der Staat bin ich!“
Vielleicht sollten wir in dem großen Staatsdesaster einfach rufen: „Der Staat bin ich!“ Wenn 80 Millionen das tun, hat es was von Solidarität, das ist dann schon wieder ursozialdemokratisch. Außerdem erinnert es an den alten Theaterspruch: „Den König spielen immer die anderen!“ Warum sollte das nicht auch für einen ganzen Staat gelten, die monarchenfreie Republik? Die wird ja erst dann was, wenn die anderen oder vielen sie wollen.
Wenn die Akutkrise vorbei ist, dann ist Zeit für den Neustart, im Ruhrpott auch ausgesprochen als „Neu-Staat“.