„Der Feind in meiner Hand“ – wer könnte das sein? Natürlich, das Smartphone – so die Überschrift der aktuellen SPIEGEL-Titelstory. Das Smartphone ist ein Feind, weil es uns alle und vor allem unsere Kinder süchtig macht. Genau so wie früher Bücher (im 18. Jahrhundert), das Fernsehen (im 20. Jahrhundert) und Computer (um die letzte Jahrhundertwende) uns alle (und vor allem unsere Kinder!) süchtig, krank und asozial machten, muss nun das Smartphone das neue Feindbild der alten Intellektuellen herhalten.
Kampf um die Deutungshoheit des digitalen Wandels
Die SPIEGEL-Story ist nur das neueste Beispiel des Kampfes um die kulturelle Deutungshoheit über den digitalen Wandel. Immer wieder fordern Bestseller-Autoren wie Manfred Spitzer, Harald Welzer oder Hans Magnus Enzensberger, das Smartphone wegzuwerfen und der digitalen Gesellschaftszerstörung endlich Einhalt zu gebieten.
Audi oder Tesa verständlicher als Spotify und Instagram?
Erst kürzlich etwa hatte der Star-Intellektuelle Enzensberger im SPIEGEL einen „Wutausbruch“ veröffentlicht, indem er die „Elektronik als Massenbetrug“ aufdeckt (scheinbar in Anspielung auf das Kapitel „Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug“ von Horkheimer und Adorno, ohne darauf jedoch Bezug zu nehmen). Darin beschwert sich Enzensberger über die vielen neumodischen Wörter wie beispielsweise „Spotify, Instagram, Snapchat, Matse, Bot, Iversity, Moocs, d!conomy und EyeEm“, wobei diese Beispiele nicht viel miteinander zu tun haben, außer dass sie irgendwie online stattfinden. Ob Herrn Enzensberger auch Begriffe wie Audi, Tesa oder RWE geläufig sind, darüber lässt er den Leser im Unklaren. „Was einen Bitkom von einem Bitcoin und einer Blockchain unterscheidet, soll sich nur dem Fachmann erschließen“, echauffiert er sich. Ob sich auch der Unterschied zwischen BMW, BRD und BSE nur dem Fachmann erschließen soll, dazu nimmt er nicht Stellung. Insgesamt sei die deutsche Sprache durch diese unverständliche „Geheimsprache, deren Grundlage eine Art Pidginenglisch ist“ (was Pidginenglisch ist, darüber informiert er nicht) bereits stark versaut. Beispiel: „Ein Update könnte in der Umgangssprache auch ein Rendezvous bedeuten, das hoch hinauswill, während es bei Computerleuten für eine Optimierung oder Aktualisierung der Software steht.“ Richtig, der Begriff Update ist natürlich nur für „Computerleute“ zu verstehen.
Antidigitale Wortführer
Selbst in der Diskursreihe „AusZeit“, zu der das Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation regelmäßig ins edle Politbüro des Soho House lädt, geben die antidigitalen Maschinenstürmer den Ton an – obwohl man doch vermuten dürfte, dass ausgerechnet das Vodafone Institut eine gewisse Affinität zu Mobiltelefonen haben sollte.
Schuld hat immer das Internet
So beschäftigte sich im Februar 2016 die Professorin Susan Neiman, Autorin des Buches „Warum erwachsen werden?“ und angeblich eine der herausragendsten Denkerinnen unserer Zeit, mit der Frage, ob man im digitalen Zeitalter überhaupt noch erwachsen werden kann (und die Antwort war natürlich: Nein!). Schuld sind – wer hätte das gedacht? – die Smartphones und das Internet, wodurch wir alle verblöden. (Als ich kommentierte, dass mein Leben mit dem Internet besser geworden sei, hatte sie zum Glück etwas Mitleid mit mir übrig.)
Sklaven der Smartphones?
In derselben Runde gab Peer Steinbrück vier Monate später Auskunft zur Frage „Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalen Welt“. Und die gibt es natürlich auch nicht mehr, diese Freiheit und Selbstbestimmung, denn wir sind alle Sklaven des Smartphones und dieses Internets geworden. Wichtigste Erkenntnis des Abends: Die Smartphone-Zombies sind derart süchtig und narzisstisch, dass sie selbst beim Einsteigen ins Flugzeug noch telefonieren müssen. Mir liegen zwar keine wissenschaftlichen Studien dazu vor, aber in meiner eigenen Stichprobe telefonieren nur sehr wenige Menschen während des Boardens.
Bei einer Diskussionsveranstaltung im Mai 2015 wurde Steinbrück von einem Studenten gefragt, was er denn von Fintechs halte. „Fin-was?“, fragte der irritiert zurück. „Fintechs, also Start-ups, die im Finanzbereich tätig sind und den Banken ihr Geschäft streitig machen wollen“, erklärte der Student. „Davon halte ich gar nichts! Die im Internet bekommen keinen Pfennig von mir!“, schmetterte Steinbrück. Der ehemalige Bundesfinanzminister wusste nicht, was Fintechs sind? Ausgerechnet er, der sich in seinem neuesten Buch anschickte, „neue Regeln für das Internet-Zeitalter“ zu fordern? Nein, dieser neumodische Internet-Krams, dem könne man nicht vertrauen. Dumm nur, dass genau dieser Internet-Krams inzwischen den traditionellen Banken- und Versicherungssektor unter Druck setzt und jeden vierten Versicherer-Job gefährdet. Da hätte man vielleicht einmal früher darüber nachdenken können. Aber wer die Zeichen der Zeit nicht kommen sehen will, der kann auch die Augen verschließen.
Blase einer gealterten Intellektuellen-Clique
Woher kommt diese anti-digitale Ignoranz? Vielleicht ist es die Filterblase einer gealterten Intellektuellen-Clique, in der Internet und Smartphones nicht zur gewohnten Lebensnormalität gehören – einem Leben, in dem man immer noch „online“ geht, aber eigentlich „offline“ ist, während jüngere Menschen zwischen beiden Welten gar keinen großen Unterschied mehr machen und ständig sozusagen „onlife“ sind.
Wir brauchen wieder Intellektuelle, die den Wandel gestalten wollen. Fragt sich nur, ob unsere traditionellen Meinungsführer hier wirklich die richtigen Ratgeber sind.