Was ist Pokemon-Go? Die richtige Frage ist eher: Warum ist dies plötzlich ein politisches Thema? Weil ja ach so viele Menschen dabei umkommen und man es dringend reglementieren muss? Wie an anderer Stelle schon treffend geschrieben: Der Hype-Zyklus wird von einem Hate-Zyklus gefolgt: „Als würden das Internet, der Datenschutz, die Gesellschaft, ach, einfach alles auf einmal den Bach runtergehen.“
Früher war es cool, von Zimmer zu Zimmer zu chatten
Eigentlich wurde schon genug darüber geschrieben – sicher. Aber zu wenig lese ich die Erklärung, die ich vor kurzem gegeben habe. Meine Freundin hatte Junggesellinenabschied und ich hatte mich gefreut, am Veranstaltungsort so viele Elektro-Pokemon fangen zu können (musste das Smartphone aber natürlich später wegstecken). Neben einem einführenden: „Nein, das ist nur langweilig, wenn man sich nicht bewegt!“ und der Erklärung des Spielprinzips „Du hast hier so ne Karte wie bei deinem Navi aber da sind noch zusätzliche virtuelle Inhalte drin, da kannst du hinlaufen und wenn du in der Nähe bist, werden die aktiviert“, kam ich zu meinem Grundgedanken: „Das ist halt jetzt so ein Sprung wie damals von Internetforen zu sozialen Netzwerken – plötzlich machen alle das, was vorher nur wir Nerds gemacht haben“.
Und tatsächlich sind gab es „Location Based Games“ (ortsabhängige Spiele) vorher – fragt einfach mal die Geocaching-Community oder die Community des direkten Pokemon-Vorgängers Ingress. Das sind die Menschen, die jetzt interessanterweise zu einem Gutteil jetzt auf den „blöden Kindern“ mit dem „unanspruchsvollen Spiel“ rumhacken. Klassische Sozialdynamik von „Ich mochte das ja schon bevor es cool war, aber jetzt ist es ja scheiß Mainstream.“ Aber früher war es auch mal nerdy und uncool sich von einem Zimmer zum anderen per IRC zu unterhalten und heute haben wir Whats App. Times are changing.
Nutzergenerierte Inhalte sind eine Menge Geld wert
Tatsächlich nutzt die Firma hinter Pokémon-Go, Niantic (eine Google-Tochter), die Datenbasis ihrer im Vorgänger-Spiels „Ingress“ erstellten „Points of interest“, die eifrige und erfahrungspunktehungrige Spieler wie ich eingepflegt haben. Bei Ingress hießen die „Portale“ und jetzt sind es halt „Pokestopps“ und „Pokemon Arenas“. Wir haben uns bei Ingress schon immer gefragt, wie genau hiermit Geld verdient wird und sicher: nutzergenerierte Inhalte wie eine weltumspannende Karte beliebter Laufwege und Sehenswürdigkeiten ist ordentlich was wert. Natürlich nur, wenn man einen Käufer findet. Nintendo und sein Teilunternehmen „The Pokémon Company“ passen wirklich super dazu. Während der bekannteste Werbedeal von Ingress sicher mit Vodaphone war (hier wurden an allen Vodaphone Shops Portale errichtet), hat sich McDonald's Japan jetzt an vielen Restaurant eine „Pokemon Arena“ gegönnt.
Aber als breit aufgestelltes Unternehmen wie Google hat man sicher noch mehr davon – man kann sicher einiges über Server-Lasttests oder Fußgängernavigation lernen. Klar sind auch hier wie in sämtlichen webgestützten „kostenlosen“ Angeboten die Daten das eigentliche Zahlungsmittel. Es ist wichtig, dass man das realisiert hat – aber das ist keine spezielle Fragestellung für Pokémon-Go.
Der Pokémon-Hype könnte schnell wieder vorbei sein
Eine weitere Geldquelle ist sicher In-App-Purchase (Candycrush und Konsorten leben schließlich ausschließlich davon!) – im Pokemonland wirkt dies allerdings bislang noch etwas unausgegoren. Man vermisst auch einige Interaktions-Features, die es beispielsweise bei Ingress schon gab – aber schließlich sollen bislang nur zehn Prozent des geplanten Spielumfangs ausgerollt sein. Ich hoffe mal, sie beeilen sich, denn sonst ist der Hype natürlich auch schnell wieder vorbei.
Aber worin liegt denn jetzt eigentlich wirklich der Reiz? Wir sind einem weiteren technologischen break-even Punkt. Er bringt uns endlich, endlich den Traum von Augmented Reality in greifbare Nähe, der schon lang im Kino versprochen wird (z.B. in Iron Man) und zu denen es bislang viel Forschung aber leider nur wenig massentaugliche Anwendungen gibt. Klar: So richtig „angereicherte Realität“ (wörtliche Übersetzung von AR) ist es nicht, und wenn ich im Spiegel-Artikel lesen muss, der Autor hätte „Eier auf der Fensterbank des Nachbarn liegend“ gefunden, dann glaube ich ihm nicht, dass er das Spiel wirklich gespielt hat.
Die Digitalisierung ist gekommen um zu bleiben
Die aktuelle ortsbasierten Spiele und die zaghaften AR-Implementierung ist aber ein klarer Schritt in diese Richtung. By the way: Auch im Virtual-Reality-Bereich tut sich gerade sehr viel Interessantes. Es gibt also eine echte neue technische Innovation – und genauso wie das Internet, Laptops, Smartphones oder Wearables zerreiben sich die Gemüter zwischen Verteufelung und Glorifizierung. Langsam sollte man das Muster echt mal erkennen.
So und was soll man da jetzt „machen“ also so „politisch“? Mit offenen Augen durch die Welt gehen, beobachten, klar auch darüber lesen, aber vor allem: selbst ausprobieren. Manche unserer Kollegen aus den Parlamenten scheinen ja hier mit gutem Vorbild voran zu gehen. Die Auseinandersetzung zu „Killerspielen“ von Leuten, die es nie mal selbst ausprobiert haben ist ähnlich schwierig wie die Diskussion mit Jugendpflegern, die Lasertag zwar verteufeln, es aber noch nie gespielt haben. Aber hey, schaut euch doch mal draußen um! Ein Snapshot im Juli in einer Kleinstadt in Franken: Menschen im Biergarten unterhalten sich über Facebook während vorbeilaufende Kinder Pokemon jagen. Der digitale Wandel ist ein Stück mehr angekommen. Vielleicht nicht so, wie wir uns das gedacht hätten. Aber morgen kommt sicher der nächste Hype, über den wir uns aufregen können. Aber: Die Digitalisierung ist gekommen um zu bleiben.