Update 12. November, 14 Uhr: Offenbar war der Protest gegen das geplante niederländische Atomkraftwerk erfolgreich. Laut dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies (SPD), der sich von Anfang an deutlich gegen das Projekt gestellt hatte, sind die Pläne für den Atommeiler auf der niederländischen Seite der Grenze wohl auf Eis gelegt. Das berichtet die Nordwest Zeitung.
Als Vorstand der Jusos im Landkreis Aurich wehren wir uns gegen den Bau eines Atomkraftwerks im niederländischen Eemshaven, auf der anderen Seite der Dollart-Meeresbucht, die an die Kreise Aurich und Leer sowie die Stadt Emden grenzt: Gemeinsam mit den Jusos Emden haben wir gegen das geplante AKW am Dollart protestiert. Denn für viele fühlt sich die Entwicklung wie ein Déjà-Vu an: Vor Jahren konnte der Bau eines Kohlekraftwerks auf der deutschen Seite des Nationalparks Wattenmeer verhindert werden, nur, um dann in Sichtweite der Borkumfähre in der Provinz Groningen 2015 durch RWE realisiert zu werden.
Hanne Modder, Leeraner SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende schreibt zu den jetzt ausgeweiteten Kraftwerksplänen: „Unsere niederländischen Freunde wollen ihre Klimaschutzziele erreichen. Das ist gut. Was gar nicht gut ist: Sie ziehen dafür den Bau von Kernkraftwerken in Erwägung.“ Auch Hansi Kleen, Vorsitzender der Auricher SPD-Kreistagsfraktion und Experte für grenzüberschreitende Energieleitungen, ist gegen den Bau eines AKW in Eemshaven. Er sagt: „Es ist gut, dass die Jusos etwas dagegen tun!“
Wie kann die Küstenregion gegensteuern?
Sustainable Innovation heißt die Zauberformel, die nicht nur im wirtschaftswissenschaftlichen Netzwerk Greentech Ostfriesland eine große Rolle spielt, sondern auch stellvertretend für eine nachhaltige Tradition der Entwicklung zur Heimat- und Wirtschaftsregion Ostfriesland steht. Es ist immer auch die Aufgabe der Kommunalpolitik, die Chancen nach der Krise der Windenergie und der durch Corona bedingten Wirtschaftsflaute zu nutzen, um einen umfassenden Ausblick auf die Zukunft zu geben. Rückwärtsgewandte Technologien wie die Atomenergie können im europäischen Multilevel Governance-System am effektivsten durch die Gestaltung innovativer Zukunftsmodelle überwunden werden.
Ökonomische, institutionelle und strukturelle Stärken, die Basis für eine positive Entwicklung der Region sein können, müssen nun gemeinsam mit kleinen und mittleren Unternehmen vorangetrieben werden. Dabei kommt es darauf an, die Themenfelder der Ems-Achse, die heute schon den ostfriesischen Gebietskörperschaften zugeordnet sind, zu Kompetenz-Clustern zu entwickeln – unter besonderer Berücksichtigung regenerativer Energien im Zeitalter der Digitalisierung. Denn die Energiewende kann ehrlicherweise nur grenzüberschreitend gemeistert werden, eine Strategie ostfriesischen Strukturwandels sollte also über Schlagbäume hinweg gedacht werden. Der Green New Deal ist dafür die Blaupause der Europäischen Union.
Natürlich drängt sich dabei die Frage auf, welchen Einfluss wir Kommunalpolitiker*innen auf solche Entscheidungen europaweiter Tragweite haben. Zumal Ostfriesland zwar historisch politisch verfasst war, heute aber eher eine Geschichtslandschaft betrachtet ist. Trotzdem ist es dem Landstrich immer wieder gelungen, Einfluss auf EU-Politik geltend zu machen. Ostfriesland hat sich Zugang zu konkreten Policy-Making-Prozessen verschafft, indem Agenda-Setting besonders im Bereich der Energie- und Umweltpolitik betrieben wurde: Das Spektrum reichte von europäischen Richtlinien für friesische Müllverbrennungsanlagen bis zur CO2-Bepreisung. Eine solche Graswurzel-Einflussnahme muss auch im Falle des kommunalen AKW-Widerstands das Ziel sein.
Dreh- und Angelpunkt ist die europäische Regionalpolitik
Dabei geht es um aktive Eingriffe in regionales Wirtschaftsgeschehen. Hierfür bilden die Theorien des Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes aus den 1920er-Jahren die Grundlage der europäischen Regionalpolitik: Keynes ging davon aus, dass schwächere Regionen durch einen starken Staat gestärkt werden müssten. Auch daher werden die Begriffe Regionalpolitik und Strukturpolitik oft synonym als Grundsatz kommunaler Sozialdemokratie gebraucht.
Allerdings stellten die Politikwissenschaftler Conzelmann und Knodt schon 2002 fest, dass Entscheidungen meist national- und europäisch-zentral gesteuert werden, Implementierungskosten aber von den Regionen selbst getragen werden müssen. Das merkte auch die Ems-Dollart-Region, die zum Spielball energiepolitischer Interessen wurde: Nach der Achterbahnfahrt regenerativer Energien soll es nach dem deutschen Atomenergie-Ausstieg nun einen AKW-Einstieg auf der anderen Seite der Grenze geben.
Atomkraft für den Klimaschutz?
Laut dem Wirtschaftsexperten Bernhard Fokken will die niederländische Regierung Atomkraft neu beleben, da sie fürchtet, ansonsten langfristig ihre Klimaziele nicht erreichen zu können. Atomkraft für Klimaschutz? Das klingt für mich nicht überzeugend. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die grenznahen Kommunen dieses Mal auf die jeweilige Lesart europäischer Energiepolitik nehmen können. Wir Jusos geben jedenfalls nicht auf!
Um das Thema „Ostfriesland zwischen Tradition und Innovation“ geht es am Donnerstagabend ab 19 Uhr im Instagram Live der Jusos Aurich mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Johann Saathoff. Steffen Haake liefert dafür einen Impuls.
Kommentare
Kommune nwehren sich gegen ein holländisches Atomkraftwerk
Man kann den Kommunen in Ostfriesland nur viel Erfolg gegen diese längst überholte und wissenschaftlich widerlegte Energiepolitik wünschen.
Wenn auf den Slogan "Atomkraft? Nein Danke!“ verwiesen wird, erinnere ich mich gerne an den Widerstand in Whyl am Kaiserstuhl, wo ein AKW erfolgreich verhindert wurde, obwohl seine Scheinheiligkeit, der damalige Ministerpräsident und ehemalige Marinerichter, Filbinger, prophezeite, die Lichter würden ausgehen, wenn das AKW nicht gebaut würde.
Da wir seit Jahren im Kaiserstuhl unseren Urlaub verbringen, hätten wir bei Realisierung dieses AKW keinen Genuss mehr von dieser schönen Region.
Ganz zu schweigen von den schweren Unfällen durch AKW's, die Niederländer scheinen wohl die Katastrophen von Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima vergessen zu haben.
Ja, sicher. Aber Frankreich
Ja, sicher. Aber Frankreich bezieht meines Wissens nach gut 70% seines Stroms aus der Atomkraft. Sind wir hierzulande klüger als die Franzosen oder sind wir mit unserer German Angst vielleicht etwas zu "irrational"?