sozial-ökologische Transformation

Vom Mond auf die Erde: Die Idee hinter den SPD-Zukunftsmissionen

Felix Wagner27. April 2021
Wer Innovationen will, braucht einen aktiven Staat, der sie fördert. Das ist eine der Ideen hinter den Zukunftsmissionen von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Sie gehen zurück auf die Mondmissionen der NASA – und auf eine italienische Ökonomin.

„Zukunftsmissionen“. Das klingt fast nach Science-Fiction! Wer an Space Shuttles, Raumfahrt oder die Mondlandung denkt, liegt richtig: Olaf Scholz greift zur sozial-ökologischen Transformation im SPD-Wahlprogramm auf das neue Konzept der italienischen Ökonomin Mariana Mazzucato zurück. Vom Erfolg der Apollo-Mission, der ersten Mondlandung, schließt sie auf erfolgreiche Industriepolitik. Insgesamt hat Mazzucato mit ihren Forschungen zur Industrie- und Innovationspolitik einen gesellschaftlichen Umbruch vorbereitet.

Ohne einen aktiven Staat keine Innovationen

Steuersenkungen für Reiche und Großkonzerne, Privatisierung öffentlicher Güter und möglichst „freie Märkte“: Das waren die tragenden Säulen der neoliberalen Ideologie. Sie haben seit den Wahlsiegen der britischen Premierministerin Thatcher und des US-Präsidenten Reagan die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik tief gezeichnet. Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich massiv geöffnet. Die neoliberale Dominanz in Politik, Wirtschaft und Medien hat viele Irrlehren verfestigt. Zum Beispiel, dass die wirtschaftliche Innovation am größten sei, wenn der Staat sich aus allem heraushalte. Dieser Irrglaube, sagt Mazzucato, habe sie wütend gemacht. Ihre Wut verarbeitete sie in empirischen Studien, die das Gegenteil beweisen. Nämlich, dass die bahnbrechendsten Durchbrüche in Forschung, Entwicklung und Produktion auf staatliche Impulse zurückgehen.

Zum Beispiel das Smartphone: Alle Extras, die dieses Produkt erfolgreich machen, sind staatlich vorgedacht und finanziert worden. Das Internet, das Mobilfunknetz, GPS, Mikrochips, Siri und der Touchscreen. Warum nur? Weil diese Erfindungen kostenintensiv, weitreichend und riskant waren. Private Investoren wollen nach zwei bis maximal fünf Jahren erste Gewinne sehen. Radikal neue Erfindungen rechnen sich aber erst nach zehn, manchmal erst nach dreißig Jahren. Sie sind für den „freien Markt“ schlicht uninteressant.

Daher braucht es starke öffentliche Institutionen – zum Beispiel Hochschulen, die vordenken. Und die staatliche Forschungsförderung muss Kosten und Risiken übernehmen. Kurzum: Ohne aktiven Staat keine radikale Innovation, kein großer Fortschritt. Mit dieser Erkenntnis schwimmen dem Neoliberalismus die Felle weg. Denn auf dieser Basis muss Schluss sein mit den Dogmen von Fortschritt durch „freie Märkte“ und „Privat vor Staat“. Und wenn der Staat zu Beginn für hohe Unkosten und Verluste aufkommen muss: Dürfen Gewinne am Ende vollständig privatisiert werden?

Risiken teilen, Gewinne auch!

Zurück zur Mondlandung: In ihrem neuen Buch arbeitet Mazzucato heraus, dass sich aus der Apollo-„Mondmission“ viel für „Erdmissionen“ lernen lässt. Eine große Herausforderung wird in einzelne Missionen unterteilt. Organisiert von einem leistungsfähigen, vordenkenden und finanzierenden Staat. Die Privatwirtschaft ist in das gesellschaftliche Projekt eingebunden. So hat die NASA Unternehmen für den Vertragsabschluss in die Verantwortung genommen: Risiken wurden geteilt, Gewinne auch! Denn technologische Durchbrüche für die Raumfahrt ließen sich schnell in Alltagsprodukten umsetzen. So geschehen bei Babynahrung, Strichcodes oder Sonnenbrillen.

Die sozial-ökologische Transformation ist bisher auch am Neoliberalismus gescheitert: Am Irrglauben an „freie Märkte“ und deren Innovationskraft. So haben die großen Energieriesen noch bis vor wenigen Jahren in erster Linie auf veraltete fossile Technologien gesetzt. Technologische Durchbrüche gab es da, wo ein staatlicher Innovationsrahmen dies forcierte. Am stärksten bei den Erneuerbaren Energieträgern selbst. Auf der Basis von Mazzucatos Missions-Ansatz sehen jetzt die SPD-Pläne vor, die Transformation durch Teil-Missionen in die gesellschaftliche Breite zu tragen: zum Beispiel durch „Leitmärkte“ für eine „moderne Wasserstoffwirtschaft“ oder einen schnellen Infrastrukturausbau beim Ladesäulen-Netz für E-Autos.

Eine mission possible!

Durch massiv geförderte, in Teile zerlegbare Zukunftsmissionen kann die sozial-ökologische Transformation endlich Fahrt aufnehmen. Vorausgesetzt, alle Beteiligten werden zur Umsetzung gesellschaftlicher Ziele eingebunden: in die Pflichten, aber auch die Erträge der Transformation. „Freie Märkte“ und kurzfristige Kapitalinteressen können gesellschaftliche und betriebliche Zielsetzungen nicht erfüllen. Mazzucato verdeutlicht eindrucksvoll, dass der Neoliberalismus gescheitert ist. Mission possible!

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