Den Krieg gewinnen?

Christian Wolff03. Juni 2022
Das Hecheln nach dem Satz „Die Ukraine muss gewinnen“ in Interviews und Bundestagsdebatten ist politisch wie moralisch verwerflich. Stattdessen sollten wir alles dafür tun, das Töten und Zerstören so schnell wie möglich zu beenden.

Am 20. Februar 2022, wenige Tage vor dem kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine, eröffnete Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in Berlin die Bundesversammlung. In ihrer Rede rief sie aus: „Wir sind zum Frieden verpflichtet … Jeder Krieg kennt nur Verlierer“. Langanhaltender Beifall brandete auf. Drei Monate später werden in fast jedem Interview in geradezu penetranter Weise vor allem Regierungspolitiker*innen danach gefragt, ob sie zustimmen, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Manche Journalist*innen versteigen sich dazu, das Sieg-Ziel zu einer Art Bekenntnis zu erheben. Sie fordern die Gesprächspartner*innen unverhohlen dazu auf, sie sollen doch bitte nachsprechen, was sie mit ihrer Frage als Antwort vorgeben: Die Ukraine muss den Krieg gewinnen (so auch in dieser Woche im Deutschlandfunk).

Der Krieg bringt nur Verlierer*innen hervor

Das ist schon mehr als peinlich – vor allem aber politisch abwegig und gefährlich. Denn an der Richtigkeit der Aussage von Bärbel Bas hat sich durch den gegenwärtigen Angriffskrieg Russlands nichts geändert. Auch dieser Krieg bringt nur Verlierer*innen hervor. Es sind die Millionen Menschen, denen alles genommen wurde und wird: ihr Zuhause, ihre Angehörigen, ihr Leben, ihre Freiheit, ihr Menschenrecht, ihre Würde. Verlierer sind aber auch die Bürgerinnen und Bürger Russlands, die Putin sich über Jahre zu propagandistischen Geiseln gemacht hat und nun im Vernichtungskrieg gegen die Ukraine verheizt.

Wer sich das Schicksal der Ukrainer*innen vergegenwärtigt (soweit das überhaupt möglich ist), der bekommt eine Ahnung davon, dass Menschen nach fast jedem Krieg flehentlich ausrufen: „Nie wieder!. Jede*r getötete Soldat*in, jede*r ermordete Zivilist*in, jedes zerbombte Haus macht die Sinnlosigkeit des Krieges offenbar. Insofern ist das Hecheln nach dem Satz „Die Ukraine muss gewinnen“ in Interviews und Bundestagsdebatten in höchstem Maße politisch wie moralisch verwerflich. Es ist nicht Aufgabe der europäischen Politik, im Vorhinein den Sieger und Verlierer eines Krieges zu bestimmen – einmal ganz abgesehen davon, dass sich Putin-Russland unter den gegebenen Umständen aller Voraussicht nach nicht als Verlierer vorführen lässt. Solange dieser Krieg nicht atomar geführt wird, können die NATO-Staaten noch so viele Waffen an die Ukraine liefern. Am Ende stehen ein zerstörtes Land, traumatisierte Menschen, zerrüttete politische Verhältnisse – und ein wie auch immer gearteter (Verhandlungs-)„Frieden“.

Das Töten und Zerstören so schnell wie möglich beenden

Vor diesem Hintergrund ist es unsere menschliche, politische, moralische Pflicht, alles dafür zu tun, den Krieg, also das Töten, Morden, Zerstören, so schnell wie möglich zu beenden. Von den europäischen (Regierungs-)Politiker*innen müssen wir erwarten, dass sie dafür Sorge tragen, die militärische Gewalt auf das absolut notwendige Maß zu minimieren. Dadurch wird nichts an der mörderischen Aggression Russlands gerechtfertigt, verharmlost oder verdrängt. Aber wie soll dem Verbrechen des Krieges ein Ende bereitet werden, wenn wir ihn täglich füttern? Wie halten wir es mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Artikel 1 GG), wenn wir bedenken, dass mit all den Waffen, die jetzt geliefert werden und zum Einsatz kommen, Menschen – und das sind Russen wie Ukrainer – getötet werden, sie ihrer Würde beraubt werden?

Es hat schon seinen tiefen Sinn, wenn wir am Pfingstsonntag mit dem biblischen Gedanken konfrontiert werden: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Die Bibel: Sacharja 4,6b)

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

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Kommentare

Als Sozialdemokrat schäme ich mich

Texte wie diese müssen jeder Ukrainerin und jedem Ukrainer zynisch vorkommen. Als Sozialdemokrat schäme ich mich, dass unsere Politik im Grunde auf eine Anwendung der Empfehlungen dieses Textes hinausläuft. Links und progressiv wäre es für mich, den Faschismus zu bekämpfen. Die internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg sind mir da näher als der wohlfeile Pazifismus, dem viele deutsche Intellektuelle unter Verkennung der Lehren der Geschichte frönen.

Konsequenzen statt Gratismut

Wer glaubt, dass in der Russischen Förderation ein "Faschismus" herrscht, der jetzt gegen die Ukraine Krieg führt, und wer sich den internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg nahe fühlt, der sollte sich konsequent bei den ukrainischen Verbänden melden und mit der Waffe in der Hand selbst kämpfen. Alles andere ist Gratismut.

Vor über 40 Jahren lernte ich von ehemaligen Widerstandskämpfern gegen das Nazi-Regime u.a. folgendes: Der Faschismus ist eine Herrschaftsform, die Georgi Dimitroff 1933 so kennzeichnete: Faschismus an der Macht ist „die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“

Faschist ist also jeder, der solch eine Herrschaft errichten, ausüben und aufrechterhalten will. Das hat nun nichts mit psychologisierenden Beschreibungen einzelner Personen zu tun, die abstossende Auffassungen haben. Wer Faschismus bekämpfen will, muss schon die Errichtung und erst recht die Ausübung und Aufrechterhaltung dieser Herrschaftsform erkennen und bekämpfen. Dazu benötigt man politische und rechtliche Argumente und keine moralisierenden Verurteilungen.

Ich stimme Christian Wolff weitestgehend zu

und gehe noch ein Stück darüber hinaus, indem ich Begriffe wie "Vernichtungskrieg" nicht nutze, und zwar schon allein deshalb, weil es historisch einen Raub- und Vernichtungskrieg gegen die Völker Osteuropas durch das NS-Regime gab.

Dass der Krieg der Ukraine und ihrer Verbündeten [USA, UK, NATO-Führung, aus- und inländische Investoren (Milliardäre), ultranationalistische Kreise der Ukraine (Asow-Regiment ...) ...] mit Russland eine Vorgeschichte hat [Bürgerkrieg gegen die Ostukraine seit 2014] und vor allem in den USA und dem UK aber auch in der EU sowie in der Ukraine niemand fähig und/oder willig war, diesen Krieg zu verhindern, sollte man jedoch schon wissen.

Denn gerade aus der Geschichte wissen wir, dass Kriege nicht einfach "ausbrechen", sondern dass sie vielfalls sehr lange vor ihrem Beginn wirtschaftlich und militärisch vorbereitet wurden, wie das für den 1. und 2. Weltkrieg sehr gut dokumentiert ist.

So wurde auch der Krieg der Ukraine mit Russland lange vorbereitet, wie die USA und das UK ganz offen sagen. Diese zwei Staaten lieferten seit dem Regierungsputsch 2014 viele Waffen an die Ukraine, die im Februar 2022 ein Offensive gegen die Ostukraine plante.

Den Krieg gewinnen

Ich weiß nicht, was Sie ,mit Ihrem Kommentar beabsichtigen. Der einzelne Christ ist gemäß der Bergpredigt zu Gewaltlosigkeit verpflichtet, das gilt aber nicht für Staaten. Wir leben nicht in einer erlösten Welt, und befinden uns heute am Begin eines Krieges , dessen Verantwortung allein bei Putin liegt. Er hat den Krieg begonnen, und muss ihn auch beenden. Hier gilt das Völkerrecht, das heißt , eine Zivilgesellschaft, die sich auf den christlichen Glauben beruft , ist verpflichtet , einem Nachbarstaat, der von einem anderen Staat überfallen wird, zu helfen , sich selbst zu verteidigen. Wollen Sie mit Beten und Singen einen faschistischen Aggressor aufhalten ? Als Sozialdemokrat und Theologe stehe ich hinter unserer Bunderegierung , und verweise auf unseren MP Bodo Ramelow und unseren Innenminister Georg Maier. Es ist richtig zu verhandeln, wer nicht verhandeln will, ist Putin, sein Ziel ist die Vernichtung der Ukraine, und der westlichen Demokratie. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen, und die Ukraine darf ihn nicht verlieren. Es geht um das Überleben der Ukraine , die bereits nach gegenwärtigem Stand nicht mehr selbständig existieren könnte.