Sebastian Deisler hat mein Leben verändert. Das mag hochtrabend klingen, aber tatsächlich fing mit diesem außerordentlich talentierten Jungen, der damals im Mittelfeld von Hertha BSC Berlin wirbelte, alles an. Ihm verdanke ich mein Dasein als Fußballfan. Plötzlich war die Bundesligakonferenz nicht mehr nur irgendeine Sendung im Radio, sondern mit der Frage verbunden „Wird es ein erfolgreiches Wochenende für meinen Verein?“. Spätestens als ich am darauf folgenden Weihnachtsfest ein Trikot geschenkt bekam, war ich dem Fußball im Allgemeinen und dem blau-weißen Verein aus Berlin im Speziellen endgültig verfallen.
Was folgte, waren die goldenen Jahre meines Fantums, denn es waren die naivsten. Die Spieler – in dieser Zeit schaute ich ausschließlich Männerfußball – schienen für mich unerreichbar, Götter in kurzen Hosen. Ich hatte keine Ahnung, was der Unterschied zwischen Dreier- und Viererkette ist, aber ich liebte die Spannung und die Freude am Spiel.
Christiano Ronaldo statt Deisler
Diese Zeiten sind leider vorbei. Heute bin ich in einem Alter, in dem ein aktiver Fußballer durchaus in der Kategorie „Routinier“ einsortiert wird. Noch immer beschäftige ich mich viel mit Fußball, aber etwas ist anders. Die Naivität ist verloren gegangen. Das hat viel mit eben dieser Beschäftigung zu tun. Ich lese Zeitschriften, Fachbücher oder Blogs und kann nicht mehr die Augen verschließen vor der Schattenseite des „Big Business“ Fußball.
Nicht erst seit den Enthüllungen aus den sogenannten „Football Leaks“-Dateien sollte klar sein, dass es vielen nur noch darum geht, möglichst schnell viel Geld zu verdienen, auch noch den letzten Euro aus der Vermarktung junger Spieler herauszupressen und viele Vereine genauso wie Berater nicht vor windigen Geschäften zurückschrecken. Der Transfer des Brasilianers Neymar für 222 Millionen Euro zum neureichen französischen Club Paris St. Germain ist da nur die Spitze des Eisbergs. Auch in der deutschen Bundesliga werden inzwischen selbst für durchschnittliche Profis wie selbstverständlich zweistellige Millionenbeträge auf den Tisch gelegt. Dieses Geld muss irgendwo erwirtschaftet werden.
Inszenierung als Popstars
Eintrittskarten für ein Bundesligaspiel der Männer kosten gerne mal 30 Euro und mehr. Wer die Spiele lieber live im Fernsehen verfolgen möchte, braucht dafür mindestens zwei bezahlte Fernsehabos, ab 2020 wahrscheinlich noch mehr. Und ein Trikot, wie ich es als Siebenjähriger zu Weihnachten bekam, kostet heute im Fanshop von Hertha BSC rund 70 Euro. Viele Eltern können sich das nicht leisten. Ob mein Weg als Fan heute genauso verlaufen könnte, scheint mindestens fraglich.
Gleichzeitig perfektionieren die großen Vereine ihre Strategien immer weiter, um möglichst viele Kund*innen – denn das sind Fans in dieser Logik nur noch – anzusprechen. Dazu gehören eine permanente, mediale Präsenz genauso wie die vollendete Inszenierung der Spieler als Popstars. Das führt dazu, dass Kinder sich plötzlich für Manchester United oder Juventus Turin begeistern, weil dort Paul Pogba oder Christiano Ronaldo ihr Geld verdienen. Mit einem schüchternen Dribbler wie Sebastian Deisler ließe sich niemand mehr locken.
Unterstützt die lokalen Vereine!
Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Das ist kein Genörgel á la „Früher war alles besser!“. Ich trete nicht für eine Wiedereinführung des flächendeckenden Amateurtums ein. Mir ist klar, dass wir in einer kapitalistischen Welt leben und Geld eben doch Tore schießt. Genauso wenig halte ich ein Plädoyer gegen extravagante Profis mit ihren außergewöhnlichen Frisuren und ihren bunten Schuhen, die gerne als Untergang der Fußballkultur dargestellt werden. Sie sind ein Symptom, nicht die Ursache, denn wer auffällt, verkauft sich gut. So werden einzelne Spieler heute zu Marken, um die herum oft ganze Imperien von Firmen und Vermarktungsstrategien entworfen werden. Reichlich paradox bei einem Sport, der erfahrungsgemäß nur mit einer Mannschaft zu gewinnen ist.
Was also tun als Fußballbegeisterte*r? Für den Anfang lohnt es sich nach einem Verein in der direkten Umgebung zu suchen. Oft bietet der Sportplatz im Stadtteil oder im eigenen Ort genau die Kulisse, die Fußball genießbar macht. Die Eintritt kostet nur wenige Euros, die Wurst ist auch günstig und mit beidem unterstützen sie wahrscheinlich einen Verein, der es dringend nötig hat. Übrigens spielen Frauen genauso gut Fußball und freuen sich über jede*n Zuschauer*in. Ach und wenn sie sowieso hingehen, dann nehmen sie doch einen jungen Menschen mit – Tochter, Sohn, Neffe, Nicht, Nachbarskind. Vielleicht entdeckt der bei dieser Gelegenheit ja den nächsten Sebastian Deisler.