Kapitalismus oder Sozialismus: Diese Glaubensentscheidung war eine der zentralen Fragen des 20. Jahrhunderts. Häufig wurden die beiden Begriffe vorrangig als Wirtschaftssysteme diskutiert, auch wenn ganze Menschenbilder und Gesellschaftsentwürfe direkt oder indirekt mit ihnen verknüpft sind. Konnte man in den 1990ern noch der Meinung sein, ein System hätte über das andere „gesiegt“, so ist heute die Debatte über das eine wider das andere wieder lebendig.
Ist für die SPD die Dominanz des einen Begriffs über den anderen in dieser Debatte nun entscheidend? Oder können wir einen neuen, aktualisierten Begriff für ein zukunftsträchtiges Wirtschaften (mit)entwickeln, auf den sich Sozialdemokrat*innen einigen können? Und wenn ja, wie steht dieser zu unserer Vorstellung von Gesellschaft?
Historischer Ballast
Man könnte an dieser Stelle daran erinnern, dass in Kapitalismus ja ‚Kapital‘ stecke und allein schon diese Bezeichnung Verwertungslogiken befördere; ganz Unrecht hätte man wohl nicht. Analog könnte man darauf verweisen, dass in Sozialismus ja das „Soziale“ stecke, was das Gemeinschaftliche in den Mittelpunkt rücke; ganz Unrecht hätte man auch damit nicht.
Bei dieser Art der Argumentation übersieht man aber einen wichtigen Aspekt: Bedeutung richtet sich nicht nach ein für alle Mal festgesetzten Lexikondefinitionen. Begriffe durchlaufen Entwicklungen, sie können historisch aufgeladen werden und werden mit diesem (und anderem) Hintergrundwissen interpretiert. Wie sehr etwa selbsternannte „realsozialistische“ Länder gemeinschaftlich organisiert waren, darüber lässt sich vortrefflich streiten. Der Einwand, dass historische Fehlentwicklungen nicht einer Definition dessen entsprächen, was mit Sozialismus eigentlich gemeint sei, hebt das Wissen um diese Geschichte und die daraus genährte Skepsis oder Ablehnung nicht einfach auf.
Entstauben oder wiederbeleben?
Man kann daher ein Fragezeichen daran setzen, ob es gelingen kann, einen Begriff wie Sozialismus, auch durch Zusätze wie „demokratisch“, in der nächsten Zukunft in der breiten Wahrnehmung wieder aufzuwerten. Eine andere Kandidatin, die immer wieder genannt wird, wenn es um einen Wirtschaftsbegriff geht, auf den sich Sozialdemokrat*innen einigen könnten, ist die (soziale) Marktwirtschaft.
Ihre begriffliche Hochkonjunktur hat die Marktwirtschaft laut den Daten des Digitalen Wörterbuchs der Deutschen Sprache aus dessen Sammlung von Presseerzeugnissen seit 1945 eher hinter sich (offenbar liegt sie rund um die Wendejahre). Auch wenn man nicht unbedingt von einer historischen Vorbelastung des Begriffs sprechen kann, darf man hinterfragen, wie groß das Vertrauen in den darin verankerten Markt und seine „selbstregulierenden Kräfte“ heute noch sein kann, und wie sehr man ihn daher in Zukunft weiter in den Vordergrund rücken will.
Neue Wege statt alter Pfade
Eine dritte Strategie wäre, über einen neuen Begriff eine eigene öffentliche Deutung davon zu erlangen, wie ein zukünftiges Wirtschaften aussehen soll. Ich versuche, dies an einem nicht exklusiv gemeinten Beispiel aufzuzeigen: Eine Kandidatin wäre die noch vergleichsweise junge und innerhalb der SPD bereits verschiedentlich diskutierte Idee der Gemeinwohl-Ökonomie die man gelegentlich mit dem Zusatz „nachhaltige“ erweitern könnte, um deutlich hervorzuheben, dass auch Umweltschutz eine Gemeinwohlaufgabe ist. Dargestellt als eine andere Art des Wirtschaftens, anstatt eines abstrakten Wirtschaftssystems, rückt die Gemeinwohl-Ökonomie zudem näher an die Menschen: Gemeinwohl-Ökonomie hängt damit vom Handeln der Einzelnen und gesellschaftlicher Gruppen ab. Ihnen werden Gestaltungsmacht und Verantwortung dafür mitgegeben.
Eine Alternative zum heute dominierenden Wirtschaftssystem muss in jedem Fall eine grundlegende Bedingung erfüllen: Sie muss sich als Form des Wirtschaftens in eine solidarische Gesellschaft einordnen und darf nicht als entkoppeltes oder gar die Verhältnisse bestimmendes System ‚neben‘ der Gesellschaft stehen. Eine Debatte um solche Alternativen entscheidend mitzuprägen, kann ein lohnendes strategisches Ziel sein: Auf die, mit denen ein positiv besetzter neuer Begriff des Wirtschaftens stark verknüpft ist, strahlt diese positive Bewertung mit aus.
Mit klaren Inhalten arbeiten
Die strategischen Überlegungen in diesem Beitrag sind jedoch kein Selbstzweck: Wer mit Begriffen arbeiten will, muss sie mit Leben füllen. Die (auch) in der SPD schon angestoßene Debatte um die Zukunft des Wirtschaftens muss weitergeführt, und, damit sie Wirkung entfalten kann, weiter nach außen getragen werden. Das meint nicht nur die Begriffsarbeit an sich, sondern den überzeugenden Einsatz für ein neues Wirtschaften, das nicht auf der rücksichtslosen Ausbeutung natürlicher Ressourcen aufbaut und von dem nicht nur Wenige profitieren. Die jüngsten programmatischen Entwicklungen in der SPD machen darauf Hoffnung.