Weil Unternehmen wegen der Coronakrise kurzfristig auf digitale Arbeit umschalten mussten, sind bisher bestehende Berührungsängste schnell abgebaut worden. Die Homeoffice-Optimisten sehen darin die Chance, dass das räumlich flexible Arbeiten langfristig mehr Akzeptanz findet. Das wäre insbesondere für Familien von Vorteil, bei denen ein Elternteil für die Kindererziehung kürzertreten muss und dies mit unerwünschten finanziellen und beruflichen Konsequenzen einhergeht.
Durch eine breitere Akzeptanz wäre es möglich viele Tätigkeiten auch ohne Büropräsenz abzuarbeiten. Jedoch sind die Vorteile nicht nur auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beschränkt, sondern ergeben sich für jede Person, die Rückzugsräume für „Stillarbeiten“ oder mehr Flexibilität bei der Kundenarbeit braucht und Reisen einsparen möchte. Das ortsunabhängige Arbeiten kann dabei zu Einsparungen und besseren Ergebnissen führen – unter der Bedingung, dass die Infrastruktur und Organisation durchdacht sind. An dieser Stelle hakt es meistens.
Widerstände gegen zu viel Homeoffice
Die vielen Menschen, die gerade im Homeoffice sitzen, machen dies aus einer Notsituation heraus. 2018 boten laut Analyse des Instituts für Arbeits- und Berufsmarktforschung und des Leibnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung lediglich 26 Prozent der Arbeitgeber die Möglichkeit mobil zu arbeiten. Über die Hälfte der großen Unternehmen mit über 500 Mitarbeiter*innen boten die Möglichkeit an – und nur jedes fünfte Unternehmen mit unter 100 Mitarbeiter*innen. Dies bedeutet, dass bei der Mehrheit der mittelständischen Unternehmen die notwendige Infrastruktur in puncto Arbeitsgeräten, Datenschutz und Arbeitssoftware wahrscheinlich nicht vollumfänglich aufgesetzt wurde. Nun mussten Unternehmen allerdings auf kurzfristige Lösungen umsteigen und dabei auf Schulungen und Vorbereitung von Mitarbeiter*innen verzichten.
Das Ergebnis: Stress. Nicht nur, weil das mobile Arbeiten aus einer sowieso nervenaufreibenden Notsituation geboren wurde, sondern auch, weil mangels Vorbereitung nicht gewährleistet werden kann, dass Arbeitsabläufe gut laufen. Die ständige Erreichbarkeit über die Verlagerung des Arbeitslebens in die privaten Räume sorgt für Belastung. Eine Studie der Beratungsgesellschaft EY hatte 2019 bereits verdeutlich, dass das digitale Arbeiten in den vergangenen fünf Jahren zu mehr Belastung führte: 44 Prozent hatten dies angegeben, lediglich 13 Prozent beobachteten eine Abnahme der Arbeitsbelastung. Zur Arbeitsbelastung kommt für viele Familien die Betreuung der Kinder. Der Schritt in den Homeoffice gestaltete sich damit negativ.
Obwohl nun an einigen Stellen die mentalen Barrieren für das räumlich flexible arbeiten gefallen sind, dürfte die Krisensituation zu einer Reihe von Widerständen führen: Menschen vermissen ihre Büros wegen der leichteren und direkteren Kommunikation sowie der klaren Trennung zwischen privatem und beruflichem Bereich. Aus den schwierigen Erfahrungen mit Homeoffice in der Krise dürften sich die Widerstände gegen einen Teil des digitalen Arbeitens verfestigen. Zwar ist nicht das räumlich flexible Arbeiten an sich das Problem, allerdings fühlt es sich so an, weil die Organisation und Infrastruktur vielerorts nicht die optimalen Bedingungen für produktives Arbeiten geboten hat. Laut EY hat über die Hälfte der Menschen unter 40 bereits vor der Krise den Eindruck gehabt, dass die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Privatleben schwieriger geworden ist.
Digitales Arbeiten positiv gestalten
Die Konflikte und Herausforderungen, die jetzt in puncto Homeoffice zu beobachten sind, sind wertvoll. Sie zeigen nämlich, wo die dringenden Baustellen sind aber auch wo die Grenzen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Fakt ist: es wird zunehmend wichtiger sich mit digitalen Lösungen im Berufsleben wohlzufühlen, denn der Einzug neuer Technologien ist nicht mehr aufzuhalten. Allerdings wäre es falsch davon auszugehen, dass jeder Vorschlag in Verbindung mit der Digitalisierung des Arbeitslebens pauschal positiv aufgenommen wird.
Es wird notwendig sein, einen realistischen Arbeitnehmerschutz einzuführen, der einerseits die Flexibilität gestattet räumlich und zeitlich selbstbestimmt zu arbeiten, andererseits auch vor (Selbst-)Ausbeute schützt. Es können unterschiedliche Spielregeln festgelegt werden: E-Mail-Zugänge können beispielsweise ab einer bestimmten Uhrzeit und am Wochenende ausgeschaltet werden. Die wirklich interessanten Fragen könnten sich allerdings erst langfristig stellen, wenn die Krise abgekühlt ist: Was ist wichtiger – Präsenz oder Endergebnis? Was macht Arbeit wirklich produktiv? Wie sehr brauchen wir den direkten Kontakt, um ein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu schaffen? Die Grundlagen für die Beantwortung dieser Fragen wird jetzt ausgehandelt – im Homeoffice wie im Büro.