Finnland

Über die Herausforderungen einer Vier-Tage-Woche

Alice Greschkow07. Januar 2020
Die neue finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin hat die Einführung einer Vier-Tage-Woche mit sechs Stunden Arbeit pro Tag vorgeschlagen. Der Vorstoß ist nicht neu, birgt jedoch auch einige Herausforderungen, wie Alice Greschkow analysiert.

Die neue Ministerpräsidentin Sanna Marin schlug anlässlich des 120. Jubiläums der finnischen Sozialdemokrat*innen eine Arbeitszeitverkürzung auf eine Vier-Tages-Woche vor – mit lediglich sechs Stunden Arbeitszeit. Der progressive Vorstoß ist zwar nicht neu, trifft aber den Zeitgeist, denn der technologische Fortschritt bietet tatsächlich eine Chance für mehr Produktivität bei weniger Arbeitszeit. Es gibt jedoch auch berechtigte Zweifel an der Idee.

Produktivitätssteigerung durch weniger Arbeit

Die Arbeitszeit wurde im 20. Jahrhundert wiederholt gekürzt – arbeiteten Menschen im Jahr 1900 noch 60 Stunden an sechs Tagen, wurde die Arbeitszeit 1918 zunächst auf 48 Stunden gekürzt. Noch bis in die Nachkriegszeit waren in vielen Branchen Sechs-Tage-Wochen die Regel. Die Gewerkschaften erkämpften erst Schritt für Schritt, dass Arbeitnehmer mehr Zeit für ihr Privatleben haben.

Die Arbeitszeitverkürzungen gingen dabei nicht mit Produktivitätsverlust einher – im Gegenteil. Der technische Fortschritt in der Industriebranche führte dazu, dass die deutsche Wirtschaft sich zu einer führenden Exportnation entwickelte. Doch nicht nur wegen neuer Technologien erreichten Unternehmen neue Stärke: Man stellte fest, dass mit einem zusätzlichen Erholungstag die Anzahl an Fehlern in Fabriken nachließ – die Qualität der Arbeit steigerte sich.

Auch aktuelle Modelle deuten darauf hin, dass Arbeitszeitverkürzung nicht zu Produktionsverlusten führen muss: Tech-Gigant Microsoft führte 2019 eine Testphase in Japan ein, bei der Arbeitnehmer*innen vier Tage arbeiteten. Die Bilanz war positiv – Arbeitnehmer*innen waren zufriedener und erledigten ihre Arbeit auch in kürzerer Zeit und steigerten sogar ihre Produktivität um bis zu 40 Prozent.

Die Herausforderungen sind komplex

Ob eine Arbeitszeitverkürzung tatsächlich langfristig umsetzbar ist, hängt jedoch von vielen Faktoren ab. In Schweden wurden die Kosten des Lohnausgleichs bei verkürzter Arbeitszeit kritisiert – auch die Herausforderung, in sechs Stunden die Arbeit zu erledigen, kann zunächst belastend sein. Auch die Frage um den Zusammenhalt in Betrieben, ist bisher ungeklärt.

Zudem darf auch nicht übersehen werden, dass die wirtschaftlichen Realitäten in Finnland und Deutschland nicht gleichzusetzen sind. In Finnland sind rund 2,6 Millionen Menschen arbeitstätig – das Land hat 5,5 Millionen Einwohner. Auch die Wertschöpfung verläuft anders. Mit einer starken Produktionstradition in den Bereichen Auto, Mechanik und Ingenieurswesen ist die deutsche Wirtschaft gerade vor dem Hintergrund der Exportstärke stärker an internationale Lieferketten und Prozesse eingebettet.

Auch darf nicht übersehen werden, dass eine Vier-Tage-Woche nicht in allen Arbeitsbereichen umgesetzt werden kann – manche Berufe erfordern mehr Einsatz als an sechs Stunden am Tag. Dabei handelt es sich nicht nur um Jobs in Branchen mit starkem Wettbewerb, sondern gerade auch in sozialen Berufen und der Medizin. Um den Bedarf aufzufangen, wäre mehr Personal notwendig – ob dies für Arbeitgeber*innen realistisch wäre, ist ungewiss.

Sozialdemokratie muss progressive Akzente für Arbeitnehmer setzen

Zweifelsohne polarisiert die Idee der Vier-Tage-Woche zwischen Wirtschaft, Sozialpartner*innen und Arbeitnehmer*innen. Das ist jedoch genau das, was eine Politik tun sollte, die die Zukunft und nicht die Vergangenheit im Blick hat. Dabei ist es jedoch wichtig, das richtige Maß zu finden, um Arbeitnehmern gerecht zu werden.

Deutschland ist ein Land, in dem die Kultur herrscht, dass sich Arbeit lohnen soll – für Arbeitnehmer ist der Beruf oft mehr als nur ein Mittel für den Lebenserwerb, sondern auch Orientierung für Selbstwert und Status. Dieser Leistungsgedanke war in der Vergangenheit ein zweischneidiges Schwert – er verhalf Menschen zum Aufstieg, sorgte jedoch auch für das Fortbestehen der Ungleichheit.

Eine starke Sozialdemokratie setzt gerade in diesem Spannungsverhältnis Impulse. Dabei ist es jedoch wichtig nicht nur auf die Ideen der internationalen Schwesterparteien zu hören, sondern einen behutsamen Blick auf die Bedürfnisse im eigenen Land zu werfen und zu fragen: Was bedeutet Leistung in Deutschland im Jahr 2020?

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Kommentare

Arbeitszeitverkürzung - nicht pauschal umsetzbar

Wesentlich erscheint mir die Erkenntnis, dass Arbeitszeiten heute nicht "standardisiert" werden können. In bestimmten Jobs - neben Medizin und Pflege können viele mittelständische Betriebe angeführt werden - ist es einfach nicht möglich, die Arbeitszeit auf bestimmte Stunden oder eine 4 Tage-Woche zu fixieren. Das gilt auch und gerade in Zeiten der Digitalisierung. Leider neigt die Sozialdemokratie oft dazu, starre Regelungen einzufordern. Dabei wären flexible Arbeitsbedingungen heute das Gebot der Stunde.

ist es einfach nicht möglich

Warum sollte es nicht möglich sein in Medizin und Pflege eine 4 Tage-Woche einzuführen oder die Wochenstunden der abhängig Beschäftigten generell zu reduzieren ?
Und was zum Teufel sollen denn flexible Arbeitsbedingungen sein ?
Sie meinten hoffentlich flexible Arbeitszeiten oder ?