Heimatdebatte

Heimat läuft hier unter Traditionspflege

Martin Kaysh27. September 2018
Heimat? Zu diesem Begriff kann man ja in letzter Zeit seitenweise lesen – oft nicht viel Gescheites. Aber natürlich habe auch ich dazu etwas zu sagen.

Heimat ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, würde der Jurist sagen, und froh sein, wenn er damit nichts am Hut hat. Nicht mal die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern ist hier geklärt. Vielleicht existieren zeit- und ortsgleich mehrere Heimaten. Ebenso gut könnte man Ministerien für Glück, Nachdenklichkeit oder Behaglichkeit einrichten, das sind auch so unbestimmte Wellnesswörter. „Heimat“ rufen diese verlogenen Zeitschriften im Bahnhofskiosk, platziert in Nähe der Sparte „Frauen“, die dann gleich die Hälfte der Menschheit beleidigt.

„I can, you can, Borken.“

In letzter Zeit konnte man seiten- oder terrabyteweise lesen, was Menschen so zur Heimat einfällt – nicht viel. Man kann den Begriff herunterbrechen. Vom Weltbürger über den Europäer, Deutschen, Westfalen, (Achtung, Sozialdemokraten!) Westlichen Westfalen zum Bewohner eines Stadtteils, Quartiers, Blocks, wird das Ding immer kleiner. Enger, sagen andere.
Bald hat jeder seine eigene Heimat. Ich fürchte, dass auch jeweils eine eigene Hymne dazugehört. Eine fällt mir da ein. Sie beschreibt ein eigentlich nettes Städtchen nahe der niederländischen Grenze: „I can, you can, Borken.“
Wehe, wenn die örtliche Quartiershymne nicht an jeder roten Ampel ­automatisch und inbrünstig gesungen wird. Dann fragen die Ur­beheimateten im Einwohnermeldeamt nach, aus welchem Stadtteil deine Eltern stammen, und du wirst dahin abgeschoben.
Schaut man sich neue Befragungen an, erkennt man: Heimat hat viel mit der Jogginghose von Karl Lagerfeld zu tun. Der sagte mal über dieses Kleidungsstück, wer sie trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren. Man kann danach die Interviewten zusammenfassen. Heimat, da musst du es mit Kleiderordnung, Hochdeutsch und Alkoholkonsum nicht so genau halten, da kannst du dich auch schon mal auf dem Dorfanger, respektive dem Pommesbudenparkplatz, zwischen den Beinen kratzen, der Nachbar macht es ja auch so. Das läuft hier unter Traditionspflege.

Heimat war für mich ein Urknall

In Nordrhein-Westfalen gehört zur Neoheimeligkeit der Heimat-Heino unaufkündbar dazu, seit er einer verdutzten Fachministerin uralte Ladenhüter-Schallplatten aus heimischen ­Kellerbeständen in die Hand drückte. Blöd nur, dass nicht nur dieses Deutschlandlied mit all seinen unerträglichen Strophen darauf war, sondern auch noch Lieblingslieder der SS.
Dabei war Heimat für mich mal so was wie ein Urknall, damals, als ­Willy Brandt Bundeskanzler war. Lebte ich bis dahin fast ausschließlich, aber intensiv in unserer Siedlung, breitete sich meine Kinderwelt durch die ­Heimatkunde der Grundschule explosionsartig aus. Plötzlich standen wir vor einer Notrufsäule, zeichneten die ab, besuchten mit dem Reisebus die uralte Ludgeruskapelle und das hypermoderne Schiffshebewerk. Heimat, das war kurz vor Weltall, Mondlandung und unendlichen ­Weiten. Heute heißt das Schulfach Sachkunde.

Was ist Heimat?
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Kommentare

Heimat ?

Aufrichtige Sozialdemokraten sind in D politisch heimatlos. Wir fühlen uns bei dieser SPD (SPD/Alt wie Carlo schreibt) nicht mehr geborgen.