Sexismus

Harvey Weinstein: Warum Frauen keine Mitschuld tragen

Julia Korbik16. Oktober 2017
Täglich kommen neue Anschuldigungen gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ans Licht. Die Designerin Donna Karan glaubt, dass seine Opfer eine Mitschuld tragen. Sie liegt falsch.

Die Liste wird immer länger: Jeden Tag kommen neue Anschuldigungen gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ans Licht, brechen Frauen ihr Schweigen, um über Sexismus, sexuelle Belästigung und die Kultur des Schweigens in Hollywood zu sprechen. Mittlerweile wurde Weinstein aus seiner eigenen Filmproduktionsfirma gefeuert, ist aus der Academy of Motion Picture Arts and Science geflogen und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, ihm die Auszeichnung der französischen Ehrenlegion zu entziehen.

Donna Karan: „Wie stellen wir uns selber dar?“

Kaum jemand ergreift das Wort für Weinstein – abgesehen von Männern, die selber von Belästigungs-Vorwürfen betroffen sind, wie die Regisseure Oliver Stone und Woody Allen. Ach ja, und dann gibt es noch Modedesignerin Donna Karan, die Frauen dazu aufforderte, sich einfach mal folgende Dinge zu fragen: „Wie stellen wir uns selbst dar? Wie präsentieren wir uns selbst als Frauen? Worum bitten wir? Bitten wir darum, indem wir all die Sinnlichkeit und die Sexualität darstellen?“ Das alles klang verdächtig danach, als würde Karan den Opfern Weinsteins die Schuld an dem geben, was ihnen passiert ist. Aber nein, das war es natürlich nicht, was Karan sagen wollte – ihre Bemerkungen seien „aus dem Kontext“ gerissen worden. Tatsächlich? Im gleichen Interview sagte sie nämlich: „Du schaust dir alles in der ganzen Welt heute an und wie Frauen sich anziehen und was sie herausfordern, eben indem sie sich so darstellen, wie sie es tun.“ Eine doch unmissverständliche Aussage.

Um das ein für alle Mal klarzustellen: Jeder und jede, der oder die glaubt, Frauen würden sexuelle Belästigung und Missbrauch herausfordern, weil sie sich auf eine bestimmte Art und Weise kleiden, liegt falsch. Und zwar völlig. Leider ist diese Haltung weitverbreitet: Statt die Täter für das zu verdammen, was sie getan haben, wird den Opfern eine Mitschuld an der Tat gegeben. Weil sie einen kurzen Rock trugen. Weil sie Weinstein im Hotel getroffen haben. Weil sie es ja doch eigentlich wollten. Weil sie sich nicht genug gewehrt haben. Das Ganze nennt sich Täter-Opfer-Umkehr und ist ein Grund dafür, warum so viele Opfer das, was ihnen passiert ist, nie öffentlich machen, den Täter nie anzeigen: Sie wissen, dass man ihnen im Zweifelsfall nicht glaubt, dass man davon ausgeht, dass sie die Tat doch irgendwie provoziert haben.

Es geht um Macht, schlicht und einfach

Donna Karan entschuldigte sich später für ihre Kommentare: „Ich glaube, dass sexuelle Belästigung NICHT akzeptabel ist und es ist ein Thema, das ein für alle Mal angesprochen werden MUSS, unabhängig von der Person.“ Die Entschuldigung mag aufrichtig sein – es ist trotzdem traurig, dass sie überhaupt gebraucht wurde. Und dass Karan keinen Bezug auf ihre Aussagen zum Thema Kleidung nahm, ist ebenfalls traurig. Denn es zeigt, dass sie, wie viele andere, nicht verstanden hat, worum es beim Weinstein-Skandal geht: Es geht um Macht, schlicht und einfach. Darum, wie Männer wie Harvey Weinstein ihre Macht nutzen, um Frauen zu drangsalieren, einzuschüchtern und zu missbrauchen. Weil sie es können, weil sie sich ihre eigene Macht beweisen müssen, weil sie niemand stoppt.

Worum es dabei nicht geht: um Klamotten.

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Kommentare

Und wie sieht es bei uns aus

Es ist Zeit, dass große Schweigen zu beenden. Frauen sollten auch bei uns Ross und Reiter nennen. Die Weinsteins gibt es auch in unserem Showbusiness, in der Kulturszen, wo Verleger, Produzenten, Regisseure und Kuratoren darüber entscheiden, wer voran kommt und wer nicht. Bitte, redet und brecht das Schweigekatell!