Sogar in einem Kunstwerk von Joseph Beuys habe ich schon gewohnt. Es war eine Bruchbude. Sie war laut, steinharter Katzenkot verklebte den Teppich im Hausflur und die Koksetagenheizung, ein oller Bollerofen, hat nur auf wundersame Weise niemanden mit Kohlenmonoxid vergiftet.
Vermieter war ein Ur-Grüner, ein Bauunternehmer. Er war der lokalen Mehrheits-SPD entflohen, weil er bei der Vergabe eines Neubaugebietes im Stadtrat erstmals übergangen worden war. Daraufhin ließ er eine große „Atomkraft – nein danke“-Sonne auf unsere Hauswand pinseln. Die Stadtverwaltung sah darin unerlaubte Werbung.
Schwerbewohnbare Kunst
Der Plötzlichgrüne karrte den Künstler Beuys heran. Der setzte seinen Joseph unter die Sonne. Das Haus war jetzt Kunst und weiterhin schwerbewohnbar.
Den Koks, den für die Heizung, kauften wir zur Not säckeweise, wenn gerade einer aus der WG bei der Blutspende ein paar Mark gemacht hatte. Die Miete zahlten wir pünktlich. Niedrig war sie nicht. Hätte es damals schon so viele Flüchtlinge gegeben, hätte der Vermieter an sie vermietet und sich in der Lokalzeitung als Menschenfreund ablichten lassen.
Heldengeschichten von Hausbesetzern
Die Geschichte spielt in Westdeutschland, in den 1980er Jahren. Wohnraumbesetzung in Leipzig bei der KWV ging wohl anders. Für Nicht-DDR-Sozialisierte: Kommunale Wohnungsverwaltung. Schon vor der Wende hörte ich Heldengeschichten von Hausbesetzungen in Leipzig und Berlin-Friedrichshain. Sie handelten von Bruchbuden, die sich nahm, wer nicht in die spießige Drei-Raum-Wohnung der AWG einziehen wollte.
AWG, die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften, deuten eine Errungenschaft der DDR an. Man konnte dort nicht unbedingt gut leben, aber jederzeit billig wohnen. Die DDR gerettet hat das nicht.
In Wien lebt der Gedanke vom Wohnen als Grundrecht fort
Aber die Idee vom Wohnen als Grundrecht – dem Markt entzogen – lebt fort. In der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt gibt es 220.000 städtische Wohnungen, fast zwei Drittel der 1,8 Millionen Einwohner leben in geförderten Wohnungen. Man hat dem Ruf nach Privatisierung widerstanden, als die in Mode war. Das mag auch daran liegen, dass die Liberalen dort, in Österreichs Hauptstadt Wien, FPÖ heißen und auch aus anderen Gründen indiskutabel sind.
Wohnen ist ein schönes Grundrecht, mit dem derzeit in Deutschland leider wenig Staat zu machen ist. Weil Menschen hier millionenfach im ADAC sind, aber selten im Mieterschutzverein, obwohl sie häufiger in ihrer Bude sitzen als in ihrer Karre.
Wohnen ohne Gebrauchsspuren
Wohnen ist wichtig. Zumindest den Bewohnern und auf andere Art auch denen, die am Wohnen verdienen. Auch wenn die oft ein Wohnen ohne Leben bevorzugen, weil dann keine Gebrauchsspuren am Mietobjekt entstehen.
Mittlerweile wohne ich nicht mehr bruchbudenhaft. Mal schauen. Heute hat mich meine Vermieterin besucht. Sie will mir kündigen, wegen Eigenbedarfs. Sie wollte eine so wichtige Nachricht persönlich überbringen.