In diesem November feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – 100 Jahre, seitdem Frauen zu Bürgerinnen und als solche anerkannt wurden. Und die Feierlichkeiten gehen nächstes Jahr weiter: Im Februar 2019 wird es 100 Jahre her sein, dass Frauen ihr Wahlrecht zum ersten Mal nutzen konnten, sowohl aktiv als auch passiv.
Nicht mehr als „die Ehefrau von“
Dass die Errungenschaften von Frauen, dass Frauen selbst, so gefeiert werden, ist durchaus ungewöhnlich. Viel normaler ist es, sich stattdessen auf Männer und ihre Errungenschaften zu konzentrieren. Die Geschichte vergisst Frauen, verschweigt sie, redet ihre Taten klein – sie macht sie unsichtbar, systematisch. Weil Geschichte schon immer hauptsächlich von Männern geschrieben wurde. Laut der Historikerin Kerstin Wolff geht es darum: „Was gilt als erforschenswert? Wer ist wichtig? Wer unwichtig? Das sind gesellschaftliche Strukturen, die sich dort Bahn brechen, und die wir ja in unserer heutigen Zeit auch haben. Geschichte wird jetzt, hier, heute gemacht. Wir gucken mit unseren heutigen Fragen auf Geschichte, auf Gesellschaft von früher. Generell zeigt sich: Allgemeine Geschichte ist Männergeschichte – sie wird uns aber als die Geschichte aller Menschen verkauft.“
Für die geschichtliche Unsichtbarmachung von Frauen gibt es viele Methoden: Man gesteht ihnen nur eine Nebenrolle zu, spielt ihre Taten herunter, stellt ihr Leben und das damit verbundene Werk falsch dar oder reduziert sie auf die Rolle der Ehefrau oder Schwester von jemandem. Alle Welt kennt den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy – aber wer kennt schon seine Schwester, die musikalisch nicht weniger talentierte Fanny Hensel? Auch Mozarts Schwester Nannerl stand immer im Schatten ihres genialen Bruders.
Unterschiedliche Maßstäbe
Das Problem ist nicht, dass Frauen nichts Großartiges geleistet haben. Es ist nicht schwer, herausragende Frauen in der Geschichte zu finden, wenn man sie denn sucht. Aber das, was Männer geleistet haben, gilt immer noch als großartiger, als wertvoller. An Männer und Frauen werden, was ihre historische Leistung angeht, unterschiedliche Maßstäbe angelegt: Frauen müssen nahezu Überirdisches leisten, um als bedeutend, als geschichtsträchtig angesehen zu werden. Und selbst das reicht manchmal nicht aus: Marie Curie gewann nicht nur sowohl den Chemie- als auch den Physik-Nobelpreis, sie war auch ihrem Mann Pierre – mit dem zusammen sie die chemischen Elemente Radium und Polonium entdeckte – wissenschaftlich überlegen. Trotzdem wurde eine Pariser Métro-Station 1946 auf den Namen „Pierre Curie“ getauft und behielt diesen Jahrzehnte lang. Erst 2007 wurde der Name „Marie“ hinzugefügt.
Geht es um Geschichtsschreibung, wird zuerst an die Männer gedacht, dann an die Frauen. Ein Automatismus, vor dem auch die SPD nicht gefeit ist: Auf spd.de wurden noch Anfang 2018 in der Rubrik Größen der Sozialdemokratie 16 Männer aufgeführt – und nur drei Frauen. Erst als es daran Kritik auf Twitter gab, fiel das auf. Und siehe da: Heute finden sich auf der Seite 15 Männer und 16 Frauen. Geht doch.
Vielfältiger, bunter, vielschichtiger
Viel zu lange wurde Frauen ihr Platz in der Geschichte verwehrt. Es warten noch hunderte, tausende Frauen darauf, überhaupt entdeckt oder wiederentdeckt zu werden, als Vorbilder für eine neue Generation von Mädchen und Frauen dienen zu können. All das negiert nicht die Verdienste von Männern, es spricht ihnen ihre Errungenschaften nicht ab – dass ein Mozart, ein Egon Bahr, Großartiges geleistet haben, steht nicht zur Debatte. Aber langsam, ganz langsam, setzt sich die Erkenntnis durch, dass Geschichte in Sachen Geschlechtern oft blinde Flecken hat. Dass sie vielfältiger, bunter, vielschichtiger ist. Dass eine Marie Juchacz, eine Marie Curie, ein Nannerl Mozart, darin auch ihren Platz haben sollten. Denn Geschichte wird eben nicht nur von Männern gemacht.