Amazon, Facebook, Google – diese Tech-Giganten haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Art wie wir kommunizieren, konsumieren und lernen maßgeblich verändert. Mit innovativen Technologien und aggressiven Geschäftspraktiken wurden sie zu den wertvollsten Unternehmen der Welt. Lange Zeit galten sie auch als ideale Arbeitgeber*innen an der Westküste der USA – doch jüngst mehren sich die Zeichen, dass diese Zeiten vorbei sind. Damit senden diese Konzerne ein mächtiges Signal.
Betriebliche Organisation unerwünscht
Die Produkte der großen Tech-Konzerne sind beliebt und für viele Menschen Teil ihres Alltags. Über lange Zeit setzten diese Konzerne Akzente für eine neue, moderne Arbeitswelt. Die Kicker-Tische und Obstkörbe stammen aus Silicon Valley – Google bot seinen Mitarbeiter*innen kostenlose Mittagessen, Shuttles für den Arbeitsweg und gute Gehälter. Facebooks Co-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hat sich früh für Diversität in wettbewerbsorientierten Arbeitsverhältnissen engagiert. Für IT-Spezialist*innen wurden zudem sehr attraktive Gehälter angeboten, um die klügsten Köpfe für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Für viele ist dies bis heute der Inbegriff des Traumjobs.
Google galt jahrelang als beliebtester Arbeitgeber weltweit und erhielt pro Jahr bis zu 100.000 Bewerbungen. Doch in jüngster Vergangenheit gab es Vorfälle, die das Klima veränderten. Im Herbst 2019 berichteten mehrere Medien darüber, dass Google die Beratungsfirma IRI Consultants angestellt habe – diese hat den Ruf Strategien gegen die betriebliche Mitbestimmung zu entwickeln. IRI Consultants sollen zuvor im Gesundheitssektor stark vertreten gewesen sein – dort sollen sie Führungspersönlichkeiten erklärt haben, wie sie Gewerkschaften unattraktiv erscheinen lassen können. Googles Mitarbeiter*innen wurden skeptisch, nachdem ein Browser-Tool installiert wurde, das die Organisation von Terminen mit 100 Personen und die Buchung von zehn Konferenzräumen hervorhob. Dieses Tool soll nach einem Treffen mit IRI eingesetzt worden sein.
Arbeitsbedingungen verschlechtern sich
Bei Google hatten Arbeitnehmer*innen ihre Unzufriedenheit darüber bekundet, dass die Aufklärung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz unzureichend verlaufe und das Unternehmen seinen Kurs ändern würde. Zudem gäbe es Diskrepanzen zwischen den Arbeitsbedingungen, die festen Angestellten und Team-Mitgliedern von Subunternehmen angeboten werden. Letztere sollen dieselben Aufgaben erfüllen wie feste Arbeitnehmer*innen, allerdings sollen nicht nur die Gehälter niedriger sein, sondern auch Vorteile wie kostenlose Mittagessen sollen nicht verfügbar sein.
Auch bei Amazon gab es jüngst Entlassungen, die für Missmut sorgten. Während Diskussionen über die Arbeitsbedingungen in den Warenlagern in manchen Ländern wie Frankreich bis hin zu rechtlichen Streitfällen führten, gibt es seltener Beschwerden aus den höheren Etagen. Im April 2020 stieg IT-Ingenieur Tim Bray allerdings von Amazons Cloud-Dienst AWS aus und berichtete über Entlassungen von Arbeitnehmer*innen aus ebendiesen höheren Etagen, die sich für die Arbeitsbedingungen in den Warenlagen einsetzten. Auf seiner Webseite erklärte Bray, dass die Arbeitsbedingungen bei AWS sehr gut seien – man würde Wert auf die Work-Life-Balance legen, der Umgang sei human, das Gehalt sehr gut. Logisch – schließlich werden dort heiß begehrte Fachkräfte beschäftigt. Dies würde sich allerdings auf den unteren Hierarchiestufen ändern.
Die Krux am Home Office
Aus der Sicht der Tech-Giganten geht es darum, ein lukratives Geschäft umzusetzen und hohe Börsenbewertungen zu erzielen. Die Führungsebene hat selbstverständlich die Zahlen im Blick – auch bei dem Vorschlag, der jüngst von Twitter kam, dass Homeoffice „für immer“ möglich sein soll. Arbeitnehmer*innen sollen von den Orten arbeiten, an denen sie sich am produktivsten fühlen.
In ein ähnliches Horn bläst auch Facebook – das Arbeiten aus der Distanz hat auch dort durch die Coronakrise einen merklichen Schub erfahren. Der Haken: Facebook erwartet, dass Arbeitnehmer*innen den Arbeitgeber darüber informieren, wenn sie in billigere Städte als im Silicon Valley umziehen. Dementsprechend könnten die Löhnte gekürzt werden, da die hohen Lebenshaltungskosten der US-Küste wegfallen würden. Sollten Arbeitnehmer*innen Wohnortswechsel verschweigen, sollen sie sanktioniert werden.
Zunächst klingt dies nach einer Chance für IT-Fachkräfte und andere Arbeitnehmer*innen jenseits der exorbitant teuren Ballungszentren um das Silicon Valley. Im Umkehrschluss könnte dies allerdings auch das Einfallstor für die Entwertung von Arbeitskraft sein und die Akzeptanz für das Akquirieren von Fachexpert*innen in wirtschaftlich schwächeren Ländern sein. Der Wettbewerb würde sich damit verschärfen.
Ein anderer Aspekt beim Dauer-Homeoffice ist, dass Unternehmen die Kosten für einen Arbeitsplatz auf die Arbeitnehmer*innen umlagern. Rund um das Silicon Valley sind Immobilienpreise und Mieten so teuer, dass auch die Tech-Giganten darunter leiden. Kleinere Büros könnten gemietet werden, wenn Teams hauptsächlich von zu Hause aus arbeiten. Ob und wie Arbeitnehmer*innen für den höheren Stromverbrauch oder die anteilige Miete eines Arbeitszimmers kompensiert werden, ist gegenwärtig noch nicht leicht zu beantworten. Fraglich ist auch, ob und wie sich Arbeitgeber*innen an einer Physiotherapie beteiligen würden, da immer mehr Menschen ausschließlich an Laptops arbeiten, was zu problematischen Haltungsschäden führen kann.
Im Idealfall halten sich Konzerne und Arbeitnehmer*innen die Waage
Big Tech ist weder wirtschaftlich noch aus unserem Alltag wegzudenken. Die großen Tech-Konzerne leben von Innovation und dem Wettbewerb. Dies ist auch der Grund dafür, dass ihnen betriebliche Organisation in den USA ein Dorn im Auge ist – sie würde die Dynamik des Unternehmens schwächen. Nichtsdestotrotz senden die mächtigen Digitalkonzerne ein gefährliches Signal, wenn sie klassische Formen der Arbeitnehmer*innenbewegung beschneiden. Diese Konzerne sind es schließlich, die für viele andere Unternehmen und Startups den Standard dafür ansetzen, was akzeptabel und erfolgsversprechen ist.
In Europa ist die Lage eine bessere, dennoch sollte man achtsam sein und beobachten, wohin die Reise geht. Die Arbeitswelt wird zunehmend digital, die Geschäftsmodelle werden zunehmend digital und trotz der Rezession wird der globale Wettbewerb langfristig nicht abreißen. Für Arbeitnehmer*innen sinkt der Druck damit nicht – im Gegenteil.