Es ist eine außergewöhnliche Situation, die vielen Angst macht: Das neuartige Virus Sars-CoV-2 (Coronavirus) stellt das Leben vieler Menschen auf den Kopf. Plötzlich wird deutlich wie viele Menschen daran arbeiten, dass unser gesellschaftliches Leben gut läuft, unsere Grundversorgung gesichert die Gesundheit der Bevölkerung eine Priorität ist. Doch in Krisenzeiten werden auch Fragen lauter, für die es sonst zu wenig Zeit gibt – wie viel Wertschätzung erhalten Menschen in essenziellen Berufen? Wie organisieren wir Arbeit am besten? Welchen Einfluss hat Arbeit auf das Privatleben und die Gesellschaft?
Arbeit dient der Gemeinschaft
In der gegenwärtigen Lage, in der viele Begegnungsräume und Freizeitangebote nicht mehr zugänglich sind, wird klar, wie viele Menschen einen Teil dazu beitragen, dass unser Leben funktioniert. Spaziert man nun durch die leergefegten Straßen der Städte, fallen geschlossene Bars und Restaurants abends auf – der Gastronomiebereich ist gerade in den Großstädten ein Faktor, der das Zusammenleben versüßt das Feierabendbier mit Kollegen, romantische Rendezvous oder einen schnellen Kaffee in der Frühlingssonne mit Freunden genießen – all das wird erst einmal wegfallen.
In den meisten Städten und Orten verengt sich das öffentliche Leben zunehmend auf Supermärkte und Discounter. Während immer mehr Menschen von zu Hause arbeiten, ist es eine Reihe von Logistiker*innen, Lkw-Fahrer*innen, Kassierer*innen und anderen Kräften, die dafür sorgen, dass auch in Zeiten einer Pandemie die Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse decken kann. Dabei gefährden sie auch ihre eigene Gesundheit, denn wenn Kassenpersonal keine Handschuhe vom Arbeitgeber erhält, ist es einem größeren Risiko ausgesetzt, mit Viren wortwörtlich in Berührung zu kommen.
Auch für das medizinische Personal wird die Lage in den kommenden Wochen angespannter – die Arbeitsbelastung und der Stress werden steigen, damit sie Leben retten. Das gilt dabei nicht nur für Ärzt*innen und Pfleger*innen, die mit Menschen in Berührung kommen, bei denen das Coronavirus einen schweren Verlauf nimmt. Die Hausarztpraxen erleben einen Ansturm, gleichzeitig müssen medizinische Behandlungen und Betreuungen, die zum „Tagesgeschäft“ gehören, weiter ausgeführt werden: Kinder werden trotz Quarantäne geboren, Menschen bekommen auch weiterhin Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Wer Wertschätzung erhält
Die Quarantänen und Ausgangssperren in vielen Ländern werden einen besonderen psychologischen Effekt haben: Menschen werden feststellen, dass Arbeit auch Gemeinschaft bedeutet. Wenn einige Tage oder vielleicht auch Wochen verstrichen sein werden, wird es denjenigen, die ihrem Beruf gerne nachgehen und ein gutes Arbeitsklima genießen, auffallen, wie stark die Bindung zum Team ist und dass der Austausch auch einen persönlichen Wert hat und Verbundenheit schafft. Doch wie verändert die Homeoffice-Kultur, die in vielen Unternehmen skeptisch betrachtet wurde, unser Verständnis von Gemeinschaft und Kollegialität? Wie verändert sich eine Organisationskultur, wenn man sich über Wochen nicht sieht, aber vertrauensvoll zusammenarbeiten muss?
Die Zwangsentschleunigung durch ein Virus ist disruptiver als jedes Startup es vorgibt zu sein, sie drängt zur Ruhe und Reflexion und beschleunigt viele Prozesse. Es ist angebracht, zu hinterfragen, welchen Wert die Gesellschaft welchen Berufen beimisst – sowohl monetär als auch sozial. Hausärzt*innen, Professor*innen und Richter*innen sind die Berufsgruppen, die am meisten gesellschaftlich respektiert werden. Unternehmer*innen liegen im Mittelfeld – Politiker*innen und Journalist*innen bilden das Schlusslicht.
Eine ähnliche Tendenz wurde im dbb Monitor öffentlicher Dienst festgestellt – nach Feuerwehrleuten gehören Ärzt*innen sowie Kranken- und Altenpflegepersonal zu den meist angesehenen Berufsgruppen – weit vor Hochschulprofessor*innen, die auch im oberen Drittel liegen. Spiegelt sich diese Wertschätzung jedoch in Gehalt und Umgang mit diesen Menschen wider? Inwieweit kann bei Berufsgruppen, die kritisch für die Grundversorgung der Bevölkerung sind, bei Arbeitskonditionen nachjustiert werden? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten, doch die Pandemie wird auch Unterschiede der sozialen Schicht aufzeigen: Es werden oft diejenigen mit guten Gehältern sein, die ins sichere Homeoffice ausweichen können, während weniger gut bezahlte Kräfte nicht darauf ausweichen können – aber dennoch wesentlich für das Funktionieren des Alltags sind.
Sorgearbeit besser organisieren
Die Rolle des Staates bei der Organisation von Arbeit wird in diesen Tagen ebenfalls deutlich. Im Zuge der Kita- und Schulschließungen stehen Millionen Menschen vor der Herausforderung, die Kinderbetreuung zu organisieren, weil oft beide Elternteile arbeiten gehen. So manch ein konservativer Geist könnte diese Herausforderungen als Argument nutzen, dass Frauen sich um die Kindererziehung kümmern sollten. Dass dies in der Praxis für die Gesellschaft fatal wäre, wird klar, wenn man sich die Beschäftigungsstatistiken im Pflegebereich anschaut. Weit über 80 Prozent des Pflegepersonals – sowohl in Krankenhäusern als auch in Altenheimen – sind Frauen, auch Hebammen sind primär weiblich.
Das Coronavirus verdeutlicht sehr stark, wie wichtig die Berufstätigkeit von Frauen ist und wie schwer es gleichzeitig ist, private Sorgearbeit gut zu organisieren – vor allem, wenn die Großeltern keine Option für die Betreuung sind oder wenn ein Elternteil alleinerziehend ist. Die gegenwärtige Pandemie ist eine Ausnahmesituation, doch sie wirkt wie ein Brennglas – auch in Zusammenhang mit Kinderbetreuung. Wenn die Krise überstanden ist, werden Kinder gewohnt in die Kita und Schule gehen können. Doch die Frage, wie Betreuungsmöglichkeiten verbessert werden können, wird bleiben.
Die Corona-Pandemie wird voraussichtlich noch anhalten und man wird sich an mehr Zeit zu Hause gewöhnen müssen. In dieser Zeit wird Arbeit jedoch vielleicht einen wichtigen Stellenwert einnehmen – nicht nur, weil gegenwärtig Menschen um ihre Arbeitsplätze fürchten, sondern weil deutlich wird, wie entscheidend Arbeit mit der Gesellschaft und privaten Plänen verzahnt ist. Wenn die Nerven sich wieder beruhigen und das Schlimmste überstanden ist, blicken wir als Gesellschaft, die gegenwärtig in den Privatraum flüchten muss, wohlmöglich klarer, reflektierter und demütiger auf die Arbeitswelt und Leistung. Vielleicht entstehen sogar neue Antworten auf viele alte Fragen.
Kommentare
Ein nachdenklicher und
Ein nachdenklicher und optimistischer Artikel.
Ökonomische Ausdruck des Wertes von Arbeit ist deren Preis. Freie Preisbildung von Arbeit ist eine Errungenschaft des Kapitalismus. Unter Vollbeschäftigungsbedingungen steigt der Arbeitspreis (durch Reallohnerhöhung bzw. Arbeitszeitverkürzung) entsprechend der durchschnittlichen Produktivitätssteigerung (Keynes).
In den letzten Jahrzehnten wurden aber die Rahmenbedingungen politisch zum Nachteil der abhängig Beschäftigten verändert (schon vor den Schröderschen Konterreformen, die den Niedriglohnsektor schufen, wurde z.B. durch Schrumpfung des öffentlichen Dienstes und durch Privatisierung die Arbeitslosigkeit gesteigert, auch durch Heraufsetzung des Renteneintrittsalters etc.).
Durch politischen Druck ist die ökonomische Verhandlungsmacht der Arbeitenden drastisch gesunken. Die Kluft zwischen Produktivitätssteigerung und Reallohnentwicklung ist seit 2005 gestiegen, infolge der Konterreformen gab es sogar Reallohnverluste.
Organisierter Akteur gegen solche Entwicklungen war traditionell die SPD, doch ihr könnte diese Rolle erst wieder glaubwürdig gelingen, wenn sie ihre Mittäterschaft daran seit 1999 aufarbeitete.