Als ich mich vor 30 Jahren um die Pfarrstelle an der Thomaskirche beworben habe und mich im September 1991 im Kirchenvorstand vorstellte, wurde ich von einer Kirchvorsteherin gefragt, ob ich im Falle meiner Wahl aus der SPD austreten würde. Seit 1970 gehöre ich der SPD an, was ich genauso wie meine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft in meinem Lebenslauf kundgetan hatte. Nach einem kurzen Moment der Besinnung antwortete ich: „Würden Sie mir die Frage auch stellen, wenn ich Mitglied der CDU wäre?“ Damit hatte sich der Punkt erledigt. Es kam zu keiner Erwiderung.
Aber die Frage zeigte mir: Obwohl die Neugründung der SPD in Ostdeutschland wesentlich aus dem Bereich der Kirche kam (siehe Markus Meckel), verfing sehr schnell die perfide, seit Anfang 1990 angewandte Strategie Helmut Kohls: Die SPD steht für Sozialismus, also für das marode System der DDR. Die CDU aber ist die Partei der Einheit Deutschlands (obwohl die CDU zu DDR-Zeiten eine Blockpartei war). In der sächsischen Kirche wurde das auch weitgehend so gesehen: Die „natürliche“ Partnerin der sächsischen Landeskirche auf politischer Ebene war (und ist) die CDU. Kein Wunder, dass Christ*innen gefühlt (und wahrscheinlich tatsächlich) mehrheitlich die sich christlich nennende Partei wählen.
Was ist „christlich“ an der CDU?
Aber was ist „christlich“ an der CDU? Sie beruft sich auf das christliche Menschenbild – was immer das bedeutet. Unterstellen wir einmal, dass damit gemeint ist: Jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes, mit Recht und Würde gesegnet. Jeder Mensch hat – unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Religion und Weltanschauung, körperlicher Beschaffenheit und sexueller Orientierung – das gleiche Recht auf Leben und gesellschaftlicher Teilhabe wie ich selbst. Unterstellen wir des Weiteren, dass für die CDU Nächsten- und Feindesliebe Leitwerte sind, die u.a. 1990 Eingang gefunden haben in die Präambel der Verfassung des Freistaates Sachsen: „… von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen, hat sich das Volk im Freistaat Sachsen dank der friedlichen Revolution des Oktober 1989 diese Verfassung gegeben.“ – dies alles unterstellt, dann ist zu fragen: Wie kann es sein, dass diese Partei nicht erst in den vergangenen Wochen zu einer brutalen, unbarmherzigen, die Menschenwürde missachtenden Abschiebepraxis übergegangen ist?
Wie kann es sein, dass diese Partei immer noch Dörfer mit Jahrhunderte alten Traditionen zugunsten der Braunkohle abbaggern will – wie der auf das 12. Jahrhundert zurückgehende Ort Mühlrose, oder im rheinländischen Kohlerevier die Orte Immerath und Lützerath sowie fünf weitere Dörfer? Wer sich dieser Hybris bewusst wird, kann nachvollziehen, warum der Bundesvorsitzende der CDU und Ministerpräsident Armin Laschet auf die Frage, ob sich nach der verheerenden Flutkatastrophe am 14./15. Juli 2021 etwas ändern müsse, antwortete: „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“. Aber müsste er, der überzeugte Katholik, nicht eine radikale Umkehr vollziehen, wenn das „C“ im Parteinamen und die „Bewahrung der Schöpfung“ noch irgendeine Bedeutung haben sollen?
Das C als Lebenslüge
Das gleiche gilt auch für die von Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) betriebene Abschiebepraxis. Da werden alle christlichen Grundwerte hintangestellt. Gleichzeitig werden er und Armin Laschet nicht müde, immer wieder zu betonen, wie sehr sie sich selbst als Christen und ihre Partei als kirchennah verstehen. Aber hat die im Juni 2021 vollzogene nächtliche Abschiebung der neunköpfigen Familie Imerlishvili nach Georgien irgendetwas mit dem „C“ zu tun? Ging irgendeine Gefahr von dieser Familie aus? Seit zehn Jahren lebte sie in Pirna. Fünf der sieben Kinder wurden in Deutschland geboren. Sie war gut integriert.
Leider ist das kein Einzelfall. Die Abschiebepraxis in Sachsen zeichnet sich schon seit Jahren durch bewusst praktizierte Unmenschlichkeit und ideologischer Nähe zur AfD aus – sekundiert vom sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth (CDU). Ihm fiel zum Fall Imerlishvili nichts anderes ein, als der Familie die Schuld für die Abschiebung in die Schuhe zu schieben: „Die Maßnahme gestern hat ja die Familie nicht unvorbereitet getroffen. Sie ist seit langer, langer Zeit ausreisepflichtig und wenn man keine weiteren Maßnahmen einleitet, dann muss mit solchen wirklich unangenehmen und besonders für die Kinder traumatisierenden Maßnahmen rechnen.“
Wie kann man in einem demokratischen Rechtsstaat „Kinder traumatisierende Maßnahmen“ des Staates rechtfertigen und dann dafür auch noch die Opfer verantwortlich machen? Kann es angesichts eines solchen politischen wie moralischen Skandals weiter eine „natürliche“ Nähe zwischen Kirchen und CDU in Sachsen geben? Es wird höchste Zeit, dass das „C“ im Parteinamen als das entlarvt wird, was es ist: eine seit 75 Jahren währende Lebenslüge – und zwar unabhängig davon, dass sich unter den Mitgliedern und Wähler*innen dieser Partei genauso aufrechte Christenmenschen finden lassen wie in anderen demokratischen Parteien.
Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.
Kommentare
Was ist christlich an der CDU?
Diese Strohmannfrage beantwortet der Autor nicht. Darum ging es ihm wohl auch nicht. Sonst müsste man sich ausschliesslich mit Religion und ihren Folgen befassen, bspw. mit der katholischen Soziallehre. Wir leben aber in einem demokratischen Rechtsstaat, weshalb die Religionszugehörigkeit bei uns keine der primären Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Unterscheidungskategorien mehr ist. Ob jemand sich bspw. als Katholik oder Evangele bezeichnet, ist deshalb unerheblich, bei uns ist man Bürger. Die obersten Würdenträger der Kirchen müssen übrigens bei ihrer Amtseinsetzung erklären, dass sie sich dem Grundgesetz/den Länderverfassungen unterwerfen. Zudem muss man zwischen Glaube und Kirchenzugehörigkeit unterscheiden. So kann also ein christlicher Demokrat als Politiker durchaus christlich handeln, ohne sich der Kirche zu unterwerfen. Er hat schliesslich den Gesetzen genüge zu tun, denn die sind der Massstab seines Handelns. Aus genau diesem Grund müssen Bürger anderer Staaten, die sich unrechtmässig in Deutschland aufhalten, des Landes verwiesen werden. Es gibt kein moralisches und/oder religiöses Diktat, das das Grundgesetz und die darauf basierenden Gesetze ausser Kraft setzen könnte.
ja, der Herr Pastor,
provoziert mal wieder einen politischen Gegner- wo bleibt der Konter: Wie sozial ist die SPD.
Wieder nicht zuende gedacht, Gott steh uns bei
Solche Schlagzeilen helfen nicht, sie passen ins vorvorherige Jahrhundert
Herr Paster !
Daß es da hapert mit christlich und demokratisch bei der CDSU wissen wir längst, aber die Frage von Max Feitag zum sozialdemokratisch sein der SPD ist ganz richtig gestellt und Dank Hartz, Agenda und schwarzer Null wissen wir wie die Antwort ausfällt. Aber Herr Pastor; Vielleicht hilft beten damit die SPD auf den rechten Weg, also den Linken, zurück findet.
Abschiebungen nach christlichen Werten?
Es wird immer merkwürdiger! Wieso meinen Kirchen und einige Christen, wie z.B. Herr Wolff, entscheiden zu können, wer Asyl oder ein Bleiberecht erhält und wer nicht? Am Beispiel der Familie Imerlishvili, hier wird die sofortige Rückholung der Familie propagiert, ist gut zu erkennen, dass unser Staat und unsere Gesetze richtig und wichtig sind und auch von den Kirchen beachtet werden müssen: die Imerlishvilis sind vor ca. 10 Jahren mit 2 Kindern aus Georgien eingereist, einen auch nur denkbare Chance auf Asyl hatten sie nie. Stattdessen wurden noch 5 Kinder geboren, für die jeweils ein neuer Asylantrag mit anschliessender Klage gestellt wurde, auch ohne Aussicht auf Erfolg, So kamen die 10 Jahre zustande.Obendrein wurde der Vater straffällig, er hat 5 (!) Einträge im Bundesregister. Der Vater hat als Pfleger gearbeitet, aber eine 9köpfige Familie hat einen Grundbedarf von ca. 4000 € (gem.Hartz4 ohne Miete u. Nebenkosten), man war also zusätzl. auf öffentl. Mittel angewiesen. Was bitte, ist an dieser notwendigen Abschiebung, unchristlich? Vielleicht möchte die Kirche für die Familie aufkommen?
was nutzt diese Detaildiskussion, wo
in Litauen täglich 400 Migranten aus Weissrussland kommend sich auf den weg nach Deutschland machen- die 10 abgeschobenen sind dann in ein paar Wochen wieder hier. Also lassen wir doch soviel rein, bis die Zustände hier dann solche sind, dass keine mehr kommen mögen. Alles andere bisdahin ist Augenwischerei. Wir sind erpressbar, weil wir uns erpressbar machen, auch durch unsere immer wieder bemühten Abhängigkeiten vom Christentum. Wenn wir selbst die Erpressbarkeit nicht abstellen können, dann muss die Beendigung des Erpressungspotentials daraus resultieren, dass ein Aufenthalt hier im Lande als abschreckend empfunden wird. Das ist lange noch nicht der Fall, daher sollten wir die Grenzen öffnen- 2 bis 3 Mio können wir ohne weiteres noch verkraften- (erst) dann müssen wir weitersehen