Corona-Pandemie

Aggressive Impfgegner*innen: Der Staat muss handeln, um die Freiheit zu schützen

Oliver Jauernig10. Dezember 2021
Die Impfgegner*innen werden lauter und aggressiver. Bei ihrem Protest geht es längst nicht mehr um Inhalte. Sie stellen nicht weniger als die Systemfrage. Der Staat muss deshalb handeln, um die Freiheit aller zu schützen.

In diesen Tagen wird intensiv über eine mögliche Impfpflicht diskutiert. Angesichts der Ent­wick­lung der vierten Welle werden die Stimmen, welche sich dafür aussprechen, lauter: aus den Reihen der Ministerpräsidenten (u.a. Söder (BY),Kretsch­mann (BW), Bouffier (HE), Günther (SH) oder Wüst (NW)), aus Teilen der Wissenschaft und aus zahlreichenVerbänden wie dem Mar­burger Bund, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, dem Bundesverband der kom­munalen Senioren und Behindertenein­rich­tun­gen oder der Deutschen Interdisziplinären Ver­einigung für Intensiv- undNotfallmedizin und zahlreichen weiteren mehr.

In einer re­prä­sen­tativen Befragung des Meinungsfor­schungs­insti­tutsYouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich zuletzt 63 Prozent der Be­völ­ke­rung für eine Impfpflichtaus, wobei ich davon ausgehe, dass dieser Anteil stark mit einer hohen Impfquote korreliert. 30 Pro­­zent sind gegen eineVerpflichtung, sieben Prozent machten keine An­ga­ben. Renommierte Juristen wie Staats­rechtler Ulrich Battis,Verwaltungsrechtler Hinnerk Wiß­­mann oder der Rechts­wissenschaftler Franc C. Mayer halten eine solche Pflicht für ver­fas­sungs­konform und mit dem Grundgesetz vereinbar.

Das RKI hat vorhergesagt, was nun eingetreten ist

Aktuell sind knapp 70 Prozent der Bevölkerung doppelt geimpft – und es ist das ein­getreten, was die Wissenschaft bereits im Juli prophezeit hat. Die Prognose lautete schon damals: Wenn wir es nicht schaf­fen, die Impfquote signifikantzu erhöhen, wird uns die vierte Welle im Herbst/Winter mit voller Wucht treffen. Das RKI hat vorhergesagt, was im November einge­treten ist. Auch der Europadirektor der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte vor der jetzigen Welle gewarnt, ebenso wie der Virologe Drosten und zahlreiche andere.

Man hätte somit wissen können, was passieren wird. Man setzte stattdessen weitestgehend auf die Bereitschaft der Bevöl­ke­rung, sich impfen zu lassen. Diese jedoch stagnierte. Angesichts der anste­hen­den Bundestagswahl hielt man sichbezüglich einer damals noch mehrheitlich abgelehnten Impfpflicht zunächst bedeckt. Und die Inzidenzen steigen und stei­gen – in Sachsen liegen sie zum Teil schon bei fast 3.000. Die Zahl der freien Intensivbetten hingegen sinkt – auf zuletzt knapp über 1.600. Das Problem sind dabei vielerorts nicht die Betten – sondern das fehlende Pflegepersonal.

Nicht nur die Bundeswehr leistet an vielen Stellen schon Amtshilfe: in den Kliniken, in den Gesundheitsämtern, in den Testzentren oderbei der Verlegung von Intensivpatienten in andere Bundesländer. Erste Kliniken setzen Ver­wal­tungspersonal zurUnterstützung auf den Stationen ein. In Bayern gilt erneut der Katastrop­henfall. Die weitere Entwicklung ist un­gewiss. Das nahende Weihnachtsfest mit den zu er­wartenden Familienfeiern lässt in diesem Zusammenhang nicht viel Gutes erahnen.

Die Impfgegner*innen werden lauter und aggressiver

An vielen Stellen wurde zu lange gezaudert und gezögert. Es wurde darauf gehofft, dass man­che Menschen sich doch noch mit einer Bratwurst als Belohnung oder wegen der Ein­schrän­kungen durch die 2G-Regeln impfen lassen. Den Durchbruch brachte es nicht. Statt­dessen wer­den die Stimmen der Impfgegner*innen und Corona-Leugner*innen lauter und aggressiver. Am Rande von Demonstrationen kommt es zu Übergriffen auf Polizei und Me­dienver­tre­ter*innen. Die sächsische Sozialministerin Köpping wird gar in ihrem Privathaus bedroht.

Die Angriffe auf Impf- und Testzentrenmehren sich. Demonstrationen werden zum Teil trotz entsprechender Verbote durchgeführt oder es wird gegen Auflagenver­stoßen. Gleichzeitig werden propagierte Verschwörungstheorien immer schriller und die Videos mancherYoutuber:innen, die „etwas Großem auf der Spur sind“ immer ab­stru­ser. Mein persönlicher Eindruck ist, dass es bei den Protesten an vielen Stellen gar nicht mehr um die Inhalte, ge­schweigedenn den Austausch und das Abwägen von Argumenten geht.

Die Protestierenden stellen die Systemfrage

Der Bielefelder Rechts­professor Mayer sagt: „Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind – das ist hier der Fall, wenn die Impfkampagne nicht gelingt.“ Genau das, sind viele nicht bereit zu akzeptieren. Sie skandieren lautstark „Freiheit“, meinen damit jedoch ausschließlich ihre eigene und versuchen nicht einmal, ihren Egoismus zu kaschieren. Es sind zum Teil dieselben Menschen, die einerseits lautstark „Diktatur“ brüllen und Meinungsfreiheit ein­for­dern, gleichzeitig aber alle, die nicht ihrer Meinung sind, be­lei­di­gen, einschüchtern, be­dro­hen oder attackieren. Für (zu) viele, wenngleich nicht alle, der Pro­testierenden geht es in­zwi­schen um ein Aufbegehren gegenden Staat, gegen „die da oben“, gegen „das System“.

Damit stellen diese Menschen nichts weniger als die Systemfrage. Und damit rückt eine an­de­re Frage unweigerlich in den Fokus: Ist der Staat in der La­ge und Willens, sein Ge­walt­monopol in dieser Situation durch­zus­etzen? Oder konkreter: Schafft es der Staat, die Sicherheit von Ärzt*innen und Mitarbeiter*innen in den Impf- und Testzentren, wie auch der Einrichtungen selbst, zu garantieren? Kann er, seine Re­präsen­tant*in­nen vor den Über­griffen und Ein­schüch­terungs­versuchen einer laut­starken Minderheit schützen? Ist er in der Lage, Verbote (auch nach einer gerichtlichen Über­prüfung) und die Einhaltung von Auflagen durchzusetzen? Und das alles auch in der Fläche? Wenn man sich manche Ereignisse der letzten Tage und Wochen so ansieht, mag man ver­einzelt daran zwei­feln.

Der Staat muss handeln

„Die Freiheit der Einzelnen endet da, wo Freiheit und Gesundheit anderer in Gefahr sind.“ Das gilt es zu akzeptieren und das muss der Staat im Zweifel durchsetzen können. Durch blo­ßes Zureden und Zuwarten wird dies vermutlich nichterreicht werden. Das haben die letzten Monate ge­zeigt. Sie haben zugleich deutlich gemacht, dass sich das Lager derer,die nicht be­reit sind, obigen Grundsatz anzuerkennen, sich im gleichen Zeitraum weiter radikalisiert hat.

Es stehen schwierige Entscheidungen an. Gleichzeitig muss man dabei immer auch dif­fe­ren­zie­ren: zwischen denen,welche aus welchen Grün­den auch immer nicht geimpft wer­den kön­nen oder die tatsächlich ratio­na­­le Bedenken gegen eine Impfung haben, aber zum sachlichen Dialog bereit sind, auf der einen Seite und einer zunehmend radikalen Minderheit auf der anderen Seite, der es schon lange nicht mehr (nur) um die Corona-Politik geht.

Die einen darf man nicht stigmatisieren bzw. man muss mit ihnen den Dialog suchen, sie ver­su­chen zu überzeugen und sie zu ge­win­nen. Den anderen muss man viel deutlicher zeigen, dass es in einem Gemeinwesen „rote Linien“ gibt – auch geben muss –, welche nicht über­treten werden dürfen und deren Missachtung der Staat auch sanktioniert. Sollten sie dennoch bewusst überschritten werden, muss der Staat in der Lage und Willens sein, dies auch kon­se­quent um­zusetzen.Ge­rade zum Schutz der Freiheit, so paradox das auch klingen mag.

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

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Kommentare

Aggressive Impfgegner*innen

Leider hat man, besonders in Sachsen, zu lange die Impfgegner:innen gewähren lassen, so dass sich zunehmend stark fühlten, und nunmehr mit Morddrohungen oder faschistoiden Fackelzügen Repräsentanten des Staates dergestalt unter Druck setzen, dass diese bereits zaudern, weitere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung gegen die Pandemie zu ergreifen.

Wenn der Staat diese Leute weiterhin gewähren lässt, fühlen sie sich immer sicherer und werden die Gewalttaten, die sie früher gegen Flüchtlinge angewandt haben, nunmehr gegen Politiker sowie auch gegen die Bevölkerung fortsetzen.

Leider scheinen sich zu wenige an die Aufmärsche der Nazis erinnern. Hier sollten einige mal in die Geschichtsbücher schauen oder ihre Großeltern fragen, was die Vorbilder von AfD, Reichsbürgern u.a. damals angerichtet haben.