22 ist nicht 89 – Wir leben in keiner Diktatur

Christian Wolff17. Oktober 2022
Mit ihren „Montagsspaziergängen“ versuchen rechtsnationalistische Gruppierungen, die Friedliche Revolution von 1989 zu missbrauchen. Anders als die mutigen Demonstrant*innen in der DDR geht es ihnen nicht um die Demokratie, sondern darum, Menschen gegeneinander aufzubringen.

Seit einigen Tagen hängen die Banner an den Leipziger Innenstadtkirchen: „22 ist nicht 89 – Wir leben in keiner Dikatur“. Dies geht zurück auf eine Initiative der evangelischen und katholischen Kirche in Leipzig. Damit soll dem zunehmenden, schamlosen Missbrauch des ’89er-Narrativs durch rechtsnationalistische Gruppierungen wie AfD und „Freie Sachsen“ entgegengetreten werden. Diese führen seit einigen Wochen montags ihre „Spaziergänge“ durch. Auf denen erklären sie das, was ’89 durch die Friedliche Revolution erreicht wurde, nämlich die freiheitliche Demokratie, zur „Diktatur“, um so den „Systemwechsel“ und Regierungssturz zu fördern.

Wer mitläuft, muss wissen, wen er unterstützt

Das ist ein so durchsichtiges, niederträchtiges Treiben, dass man sich nur wundern kann, dass darauf überhaupt noch jemand hereinfallen und den rechten Rattenfängern nachlaufen kann. Denen aber geht es weder um soziale Gerechtigkeit noch um Freiheit noch um Demokratie. Sie haben nur eines im Sinn: wie während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 und der Corona-Pandemie 2020ff Menschen gegeneinander aufzubringen und ihre autokratisch-nationalistischen Absichten durchzusetzen. Wer dennoch bei diesen rechten Aufmärschen mitmacht, kann und muss wissen, wen er oder sie damit unterstützt.

Die Friedliche Revolution im Herbst 1989 ermöglichte den Weg aus der Diktatur in die Demokratie. Wir leben heute in demokratisch begründeten und verfassten Verhältnissen des Rechtsstaates. Dafür sind Bürgerinnen und Bürger damals auf die Straße gegangen und haben die Freiheitsrechte errungen. Soziale Missstände, ökologische Verwerfungen und eine desolate wirtschaftliche Lage motivierten vor 33 Jahren Bürgerinnen und Bürger, sich für ihre Belange und Interessen einzusetzen. Entscheidend war nicht, etwas von anderen zu verlangen, sondern selbst für die Gemeinschaft einzutreten.

Weniger Ich und mehr Wir

Diesen Leipziger Sinn für gesellschaftlichen Zusammenhalt braucht es heute wieder. Weniger Ich und mehr Wir: Das trägt zum Wohl aller bei! Die gegenwärtigen Krisen und Herausforderungen zwingen zum Nachdenken, das in ein Umdenken führen wird. Die ökologische Krise verlangt von uns einen neuen, bescheideneren Lebensstil. Die ökonomische Krise erfordert ein faires und nachhaltiges Wirtschaften. Die bedrohte Sicherheitslage der Welt braucht eine Stärkung der Weltgemeinschaft, in der die Würde des Menschen, Freiheit und Gerechtigkeit und verteidigt werden.

2022 ist nicht 1989. Aber der Geist von 1989, schier Unmögliches möglich werden zu lassen, gemeinsam stärker zu sein, füreinander einzustehen und den anderen im Blick zu behalten, dieser Geist bewegt auch heute. Stärken wir die demokratische Ordnung, lernen wir nachhaltig und gerechter zu leben!

Der Text erschien zuerst im Blog des Autors.

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Kommentare

wer ist denn gemeint, wenn von

"Wir" die Rede ist? "Ihr da oben, oder wir hier unten?" um es mal platt zuzuspitzen. Zudem empfehle ich, die Beurteilung mal aus der Sicht eines von Transferleistungen oder sonstig begründetem staatlichen Wohlwollen völlig abhängigen Menschen vorzunehmen- dann kommt "man vielleicht auch bei euch" vielleicht zu einer klareren Sicht auf die Dinge