Es gibt Dinge, die werden nicht hinterfragt. Weil sie immer schon so waren und man gar nicht auf andere Ideen kommt. Doch der Wissenschaftsrat hat sich kürzlich einer sehr interessanten Frage
zugewandt: Warum gibt es in Deutschland keine staatliche Ausbildung von Islamlehrerinnen und -lehrern sowie Imamen? Warum gibt es keine islamische Theologie an Deutschlands Universitäten?
Die Antwort scheint klar zu sein: Weil wir ein Land mit christlichen Wurzeln und Traditionen sind. Doch der Islam wird praktiziert - von Millionen Gläubigen in Deutschland. Was also ist mit
der Gleichbehandlung der Religionen? Wer unterrichtet den Islam? Wer hält die Predigten? Ist es sinnvoll, dass sich der Staat - anders als bei den christlichen Kirchen - da heraushält (oder außen
vor bleibt)?
Der Wissenschaftsrat hat eine klare Position bezogen: Er will an Universitäten Zentren für Islamische Studien. Und ich bin
sicher: Wenn wir dem Vorschlag des Wissenschaftsrates folgen wird das ein starker Beitrag zur Integration und für das gute Zusammenleben.
Kein gutes Zusammenleben ohne Respekt und Toleranz
In der öffentlichen Debatte wird häufig über Pflichten und Sanktionen gesprochen, um die Integration zu verbessern. Das ist an verschiedenen Stellen sinnvoll. Doch wird darüber allzu häufig
vergessen, dass ohne gegenseitigen Respekt und Toleranz kein gutes Zusammenleben möglich ist. Ein wichtiges Element ist der Umgang mit unterschiedlichem Glauben. Die Debatten über Muslimas und
Muslime in Deutschland sind oftmals von Ressentiments geprägt; eine gewisse "Islamferne" ist unverkennbar. Umgekehrt gibt es offenkundig ähnliche Effekte bei Muslimas und Muslimen.
Dem muss sich die Gesellschaft stellen. Der Islam in Deutschland ist ein Zukunftsthema. Diese Weltreligion ist auch Teil der deutschen Gesellschaft geworden. Für viele Menschen ist er
spiritueller Bezugspunkt - ebenso wie es für Christen oder Juden ihre Religion ist. Es geht um die Gestaltung einer lebendigen, demokratischen und sozialen Gesellschaft. Dem "europäischen Islam"
fehlt jedoch bis heute ein offener, sachlicher und öffentlicher Diskurs.
Verständigung fördern, Demokratie fordern
Die durch die Grundrechte gewährte allgemeine Religionsfreiheit muss daher nicht nur bezüglich der privaten Religionsausübung gelten. Nur durch eine - auch wissenschaftliche -
Auseinandersetzung mit den Fragen, Konflikten und Chancen dieser Religion ist es möglich, gegenseitiges Verständnis zu ermöglichen und dabei Verständigung und Zusammenleben in einer Gesellschaft
der Vielfalt zu fördern. Wir müssen darum aktiv werden und auf eine Förderung von neuen Strukturen und die Gleichbehandlung des Islam als Glaubensgemeinschaft im öffentlichen Raum hinwirken.
Die islamische Theologie wiederum ist gefordert, demokratische Grundwerte stärker in ihr Selbstverständnis zu integrieren und sich in den öffentlichen Diskurs einzuschalten. Beides kann
über die Schaffung von interdisziplinären Ausbildungs- und Forschungszentren im Bereich der islamischen Theologie gefördert werden.
Religiöse Fragen nicht allein den Religionsgemeinschaften überlassen
Die Einrichtung eines beratenden und pluralistisch zusammengesetzten Beirates an den Universitäten ist ein Weg, der sowohl die Akzeptanz in der islamischen Religionsgemeinschaft sichert,
als auch die Islam-Studien stärker mit der Gesellschaft verzahnt. Der bekenntnisneutrale Staat kann nicht die alleinige Verantwortung für die Inhalte des Theologiestudiums oder der
Religionslehrerausbildung übernehmen. Er darf jedoch die Fragen von Religion nicht allein den Religionsgemeinschaften überlassen - für die gesellschaftliche Verantwortung muss Sorge getragen
werden. Deshalb muss gewährleistet sein, dass die ausgeübte Religionslehre der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht widerspricht und aufgeklärtes Religionswissen schafft.
Neben der Ausbildung von jungen Nachwuchswissenschaftlern ist auch die Ausbildung von Religionsgelehrten und Lehrkräften das Ziel dieser bekenntnisorientierten Studien. Der aktuelle
Zustand, dass Imame und Lehrkräfte ausschließlich privat bzw. im Ausland ausgebildet werden, muss geändert werden. Gerade angesichts des absehbar wachsenden Bedarfes an Lehrkräften für
schulischen Islam-Unterricht und aufgrund der Tatsache, dass Imame eine wichtige Rolle für gelungene Integration und gegenseitiges Verständnis spielen können, ist die Ausbildung an deutschen
staatlichen Universitäten dringend erforderlich.
Gleiche Rechte und Pflichten für den Islam
Gerade bei der Vermittlung von Glaubensfragen muss auf eine weltoffene, pluralistische und integrative Lehre hingewirkt werden. Die Gesellschaft darf deshalb Religionsfragen nicht allein
privaten Einrichtungen überlassen. Auch bei der Ausbildung und Beschäftigung von Imamen bzw. Lehrkräften ist die Zusammenarbeit mit den Verbänden nötig.
Letztlich ist unabweisbar, dass dem Islam die gleichen Rechte und Pflichten wie anderen Religionsgemeinschaften gewährt werden müssen - auch und gerade an den Schulen und bei der Ausbildung
von Gelehrten. Dafür spricht schon ein zentraler Grundsatz: die Gleichbehandlung. Und am Ende wird es ohne Gleichbehandlung und Akzeptanz auch keine vollkommen gelungene Integration geben.
Öffentliche Anerkennung und Kooperation als Integrationsbeitrag
Die Integration der islamischen Religion in die Gesellschaft und den Wissenschafts- und Bildungsbereich ist ein wichtiges Zukunftsprojekt. Die Förderung einer pluralistischen, diskursiven
und weltoffenen Gesellschaft ist dabei das übergeordnete Ziel. Um dies zu erreichen, kann auf Islam-Studien nicht verzichtet werden. Gerade für die breite Akzeptanz bei dem steigenden
Bevölkerungsanteil mit Migrations- und islamischem Hintergrund wird eine öffentliche Anerkennung und Kooperation in diesen Bereichen einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten und das
friedliche und tolerante Zusammenleben in Vielfalt stärken.
Wir verschließen nicht die Augen vor Problemen - auch nicht vor denen, die von Muslimen verursacht werden. Beide Seiten, Mehrheitsgesellschaft wie Muslime, müssen erhebliche Anstrengungen
leisten. Im Rahmen von Islam-Studien ist dies für alle möglich.
Swen Schulz
ist SPD-Bundestagsabgeordneter für Berlin-Spandau und Charlottenburg-Nord und stellvertretender Fraktionssprecher für Bildung und Forschung.