SPD-Innenexperte Uli Grötsch

Zehn Jahre nach dem NSU: „Die Gefahr von rechts ist so groß wie nie.“

Kai Doering05. November 2021
Neonazi-Demo in Dortmund 2019: Wir müssen das Übel an der Wurzel packen, sagt SPD-Innenexperte Uli Grötsch.
Neonazi-Demo in Dortmund 2019: Wir müssen das Übel an der Wurzel packen, sagt SPD-Innenexperte Uli Grötsch.
Zehn Jahre nach Auffliegen des NSU sieht SPD-Innenexperte Uli Grötsch eine weiter zunehmende Bedrohung von rechts. Die Neonazi-Szene sei „bis an die Zähne bewaffnet“. Hoffnungen setzt Grötsch in das Demokratiefördergesetz und die neue Bundesregierung

In den zehn Jahren nach Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) im November 2011 gab es insgesamt 13 Parlamentarische Untersuchungsausschüsse, zwei davon vom Bundestag, die anderen in den Bundesländern. Wurde aufgeklärt, was aufgeklärt werden konnte?

Die verschiedenen Untersuchungsausschüsse haben viel zur Aufklärungsarbeit im NSU-Komplex beigetragen. Die bittere Wahrheit ist aber, dass es noch viele wesentliche Fragen gibt, die bisher nicht beantwortet sind. Deshalb dürfen wir keinen Schlussstrich ziehen. Es gilt das Versprechen, das auch Angela Merkel als Bundeskanzlerin gegeben hat: Die Aufklärung endet erst dann, wenn alle Fragen zufriedenstellend beantwortet sind.

Uli Grötsch

Es bräuchte also einen neuen Untersuchungsausschuss?

Wir dürfen den NSU-Komplex nicht ruhen lassen. Deshalb begrüße ich es sehr, dass die SPD-Fraktion im bayerischen Landtag einen Vorstoß unternommen hat, einen neuen Untersuchungsausschuss auf Landesebene einzurichten. Fünf der zehn Morde des NSU haben ja in Bayern stattgefunden. Der Freistaat ist da absoluter Hotspot.

Einen weiteren Untersuchungsausschuss des Bundestags halten Sie aber nicht für notwendig?

Nein. Da sehe ich im Moment keine Ansatzpunkte. Das kann sich aber natürlich jederzeit ändern. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren ja mehrfach erlebt, dass Dinge bekannt geworden sind, mit denen niemand gerechnet hätte. Erstmal ist aber vor allem wichtig, in den Ländern nicht locker zu lassen.

Großes Thema im zweiten Untersuchungsausschuss des Bundestags, in dem Sie Obmann der SPD waren, war das Versagen der Sicherheitsbehörden. Wurden da die Missstände inzwischen abgestellt?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist auf einem guten Weg – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Praxis im Bereich der V-Leute wurde grundlegend reformiert. Vieles, was früher gang und gäbe war, etwa dass V-Leute selbst schwere Straftaten ausüben durften, ist heute nicht mehr möglich. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden hat sich deutlich verbessert. Trotzdem gibt es noch viel zu tun.

Sie haben mehrfach darauf hingewiesen, dass der NSU nur die Spitze eines Eisbergs war. In den vergangenen Jahren gab es die Anschläge von Hanau und Halle, den Mord an Walter Lübcke und das Bekanntwerden des „Nordkreuz“-Netzes. Wie groß schätzen Sie die Gefahr von rechts zurzeit ein?

Die Gefahr von rechts ist heute so groß wie noch nie. Das haben die genannten und weitere Fälle eindrucksvoll gezeigt. Die deutsche Neonazi-Szene ist bis an die Zähne bewaffnet mit automatischen Waffen, teils illegal, teils legal. Das halte ich für ein riesiges Problem.

Zudem werden teilweise seit Jahren Haftbefehle gegen hunderte Neonazis nicht vollstreckt.

Das stimmt leider und es hat unterschiedliche Gründe. Häufig kennen die Behörden schlichtweg die Aufenthaltsorte der zur Festnahme ausgeschriebenen Personen nicht. Das hat vor allem mit der Unterbesetzung von Polizeidienststellen zu tun.

Sie betonen stets, wie wichtig Prävention beim Kampf gegen rechts ist. Das Demokratiefördergesetz ist im Frühjahr am Widerstand von CDU und CSU gescheitert. Wird die künftige Regierung einen neuen Anlauf nehmen?

Ja, da bin ich sicher. Grüne und FDP haben auch erkannt, wie dringend das Thema ist. Es wird deshalb eine der wichtigen Aufgaben in der kommenden Legislatur sein, das Demokratiefördergesetz endlich unter Dach und Fach zu bringen. Wir müssen das Übel an der Wurzel packen und junge Menschen so erziehen, dass sie immun sind gegen Hass und Hetze. Dafür sind Prävention und Aufklärung der beste Weg.

Der Gesprächspartner

Uli Grötsch ist seit 2013 Bundestagsabgeordneter der SPD. Der Innenpolitiker war Obmann der SPD-Bundestagsfraktion im 3. Untersuchungsausschuss („Terrorgruppe NSU II“) und im 2. Untersuchungsausschuss (BKA). Grötsch ist Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium, das die Arbeit der Geheimdienste überwacht.

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