
Herr Professor Truger, das Gutachten der Wirtschaftsweisen ist ein Gesamturteil aller Weisen, von denen Sie einer sind. Wie ist Ihre persönliche Meinung zur derzeitigen Reaktion der Bundesregierung auf die Corona-Krise im Bereich Wirtschaft und Finanzen?
Die Bundesregierung hat in sehr kurzer Zeit ein beeindruckendes Maßnahmenpaket zur Überbrückung der Krise und zur Linderung ihrer wirtschaftlichen Folgen auf die Beine gestellt. Darin sind wir uns auch im Sachverständigenrat völlig einig. Im Moment gibt es einen sehr starken Konsens in der Wissenschaft, aber auch in der Politik. Alle Parteien – mit Ausnahme der AfD – die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, unterstützen den eingeschlagenen Kurs. Bei einigen Punkten, was mittelgroße Unternehmen, die Verringerung von Einkommensausfällen, die Stützung der Kommunalfinanzen und die europäische Krisenreaktion angeht, muss aus meiner Sicht noch nachgelegt werden.
Tiefe und Dauer der Rezession hängen von der Dauer des sozialen und ökonomischen Stillstandes ab. Sollte die Bundesregierung das in Ihre Überlegungen stärker miteinbeziehen?
Natürlich muss sie das einbeziehen, aber das darf nicht dazu führen, dass aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Es geht darum, mit Virologen und Epidemiologen den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus zu verbessern und so schnell, wie es medizinisch vertretbar ist, wieder auf eine Normalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hinzuwirken. Sollten die Einschränkungen länger andauern müssen, müssten die Maßnahmenpakete entsprechend verlängert und ausgebaut werden.
Zurzeit gibt es einen Streit über so genannte Euro- oder Corona-Bonds, gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten, um kapitalschwachen Ländern wie Italien und Spanien zu helfen. Was halten Sie davon?
Ich halte Corona-Bonds für notwendig. Alle Länder in Europa werden von der Epidemie ohne eigene Schuld getroffen, Italien und Spanien besonders stark. Alle Länder müssen deshalb genau wie Deutschland die notwendigen Gesundheitsausgaben und die Maßnahmen zur Überbrückung der Wirtschaftskrise tätigen können. Das geht nur durch zusätzliche Staatsschulden, und diese müssen garantiert sein, damit es nicht zu einer Neuauflage der Eurokrise kommt. Steigen die Schulden Italiens und Spanien aber sehr stark an, werden sie spätestens nach der Corona-Krise in Kürzungspolitik und damit ökonomische, soziale und politische Krisen getrieben, die letztlich in eine Staatsschuldenkrise und einen Zusammenbruch von Euro und EU münden würden. Daher muss es nun eine solidarische gemeinschaftliche Lösung geben.
Die Corona-Krise führt zu einem deutlichen Rückgang der verfügbaren Einkommen. Wie sollte hier gegengesteuert werden?
Es wird mit Ausweitung der Kurzarbeit und den zahlreichen zusätzlichen Einkommenshilfen bereits eine Menge getan. Trotzdem stellen aber auch 60% vom letzten Nettoeinkommen, wie beim Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld für viele Menschen erhebliche Einbußen dar. Eine vorübergehende Aufstockung des Kurzarbeiter-, evtl. auch des Arbeitslosengeldes, könnte helfen.
Brauchen wir ein Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bekommen?
Solange die Produktion und der Konsum wegen der gesundheitspolitischen Maßnahmen eingeschränkt sind, würde ein Konjunkturprogramm kaum helfen. Sobald die Maßnahmen aber gelockert werden, wird die Konjunktur sicherlich einen Anschub brauchen. Das sollte die Politik vorbereiten, ankündigen und dann zum richtigen Zeitpunkt starten. Für die Unternehmen könnten die Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen befristet verbessert werden. Um den Konsum der privaten Haushalte zu steigern, könnte ein kräftiger Kinderbonus an alle Familien mit Kindern ausgezahlt und die Mehrwertsteuer befristet gesenkt werden. Außerdem sollten die öffentlichen Investitionen, insbesondere in die ökologische Infrastruktur, weiter ausgebaut und die Kommunen unterstützt werden.