Corona-Krise

Wirtschaftsweiser Achim Truger hält Corona-Bonds für unverzichtbar

Lars Haferkamp06. April 2020
Wirtschaftsweiser Achim Truger: Nach dem Ende des Lockdown empfiehlt er ein Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Wirtschaftsweiser Achim Truger: Nach dem Ende des Lockdown empfiehlt er ein Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.
Der Wirtschaftsweise Achim Truger positioniert sich klar: „Ich halte Corona-Bonds für notwendig.“ Ohne diese drohten in Südeuropa Staatsschuldenkrisen, die letztlich im „Zusammenbruch von Euro und EU münden würden“. Daher müsse es jetzt eine solidarische Lösung geben.

Herr Professor Truger, das Gutachten der Wirtschaftsweisen ist ein Gesamturteil aller Weisen, von denen Sie einer sind. Wie ist Ihre persönliche Meinung zur derzeitigen Reaktion der Bundesregierung auf die Corona-Krise im Bereich Wirtschaft und Finanzen?

Die Bundesregierung hat in sehr kurzer Zeit ein beeindruckendes Maßnahmenpaket zur Überbrückung der Krise und zur Linderung ihrer wirtschaftlichen Folgen auf die Beine gestellt. Darin sind wir uns auch im Sachverständigenrat völlig einig. Im Moment gibt es einen sehr starken Konsens in der Wissenschaft, aber auch in der Politik. Alle Parteien – mit Ausnahme der AfD – die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände, unterstützen den eingeschlagenen Kurs. Bei einigen Punkten, was mittelgroße Unternehmen, die Verringerung von Einkommensausfällen, die Stützung der Kommunalfinanzen und die europäische Krisenreaktion angeht, muss aus meiner Sicht noch nachgelegt werden.

Tiefe und Dauer der Rezession hängen von der Dauer des sozialen und ökonomischen Stillstandes ab. Sollte die Bundesregierung das in Ihre Überlegungen stärker miteinbeziehen?

Natürlich muss sie das einbeziehen, aber das darf nicht dazu führen, dass aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen Menschenleben aufs Spiel gesetzt werden. Es geht darum, mit Virologen und Epidemiologen den Kampf gegen die Ausbreitung des Virus zu verbessern und so schnell, wie es medizinisch vertretbar ist, wieder auf eine Normalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hinzuwirken. Sollten die Einschränkungen länger andauern müssen, müssten die Maßnahmenpakete entsprechend verlängert und ausgebaut werden. 

Zurzeit gibt es einen Streit über so genannte Euro- oder Corona-Bonds, gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten, um kapitalschwachen Ländern wie Italien und Spanien zu helfen. Was halten Sie davon?

Ich halte Corona-Bonds für notwendig. Alle Länder in Europa werden von der Epidemie ohne eigene Schuld getroffen, Italien und Spanien besonders stark. Alle Länder müssen deshalb genau wie Deutschland die notwendigen Gesundheitsausgaben und die Maßnahmen zur Überbrückung der Wirtschaftskrise tätigen können. Das geht nur durch zusätzliche Staatsschulden, und diese müssen garantiert sein, damit es nicht zu einer Neuauflage der Eurokrise kommt. Steigen die Schulden Italiens und Spanien aber sehr stark an, werden sie spätestens nach der Corona-Krise in Kürzungspolitik und damit ökonomische, soziale und politische Krisen getrieben, die letztlich in eine Staatsschuldenkrise und einen Zusammenbruch von Euro und EU münden würden. Daher muss es nun eine solidarische gemeinschaftliche Lösung geben. 

Die Corona-Krise führt zu einem deutlichen Rückgang der verfügbaren Einkommen. Wie sollte hier gegengesteuert werden?

Es wird mit Ausweitung der Kurzarbeit und den zahlreichen zusätzlichen Einkommenshilfen bereits eine Menge getan. Trotzdem stellen aber auch 60% vom letzten Nettoeinkommen, wie beim Kurzarbeiter- oder Arbeitslosengeld für viele Menschen erhebliche Einbußen dar. Eine vorübergehende Aufstockung des Kurzarbeiter-, evtl. auch des Arbeitslosengeldes, könnte helfen.  

Brauchen wir ein Konjunkturprogramm, um die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bekommen?

Solange die Produktion und der Konsum wegen der gesundheitspolitischen Maßnahmen eingeschränkt sind, würde ein Konjunkturprogramm kaum helfen. Sobald die Maßnahmen aber gelockert werden, wird die Konjunktur sicherlich einen Anschub brauchen. Das sollte die Politik vorbereiten, ankündigen und dann zum richtigen Zeitpunkt starten. Für die Unternehmen könnten die Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen befristet verbessert werden. Um den Konsum der privaten Haushalte zu steigern, könnte ein kräftiger Kinderbonus an alle Familien mit Kindern ausgezahlt und die Mehrwertsteuer befristet gesenkt werden. Außerdem sollten die öffentlichen Investitionen, insbesondere in die ökologische Infrastruktur, weiter ausgebaut und die Kommunen unterstützt werden.

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Kommentare

Nur Maas und Scholz

halten Corona-Bonds offensichtlich nicht für wichtig genug, sie in ihrem aktuellen Pressestatement auch nur zu erwähnen. Warum auch? Seit wann wäre denn die politische Positionierung die Aufgabe eines Berufspolitikers? Zumal die Aufgabe der beiden fachlich zuständigen Bundesminister...

Das ist einer von vielen Gründen, warum ich Scholz den "truly Sozialdemokrat" einfach nicht abnehme. Bei Maas habe ich es sogar schon komplett aufgegeben Der ist zuerst Transatlantiker und erst mit großem Abstand Bundespolitiker. Von SPD kaum noch Spurenelemente.

Zustimmung

Deine Einschätzung dieser Politiker teile ich. Es wird groß das Wort Solidarität in den Mund genommen und dann folgt wie immer: too little too late. Die Leute im Iran, Afrika und anderswo können sowieso ver..... (sterben meine ich). Wie sieht es denn übrigens in den vom Wertewesten zerstörten Ländern wie Irak und Syrien aus ? Da gibt es ja garkeine Nachrichten mehr. Die Ignoranz der Wertepolitiker und der ihnen zugehörigen Medien ist erbärmlich.

Besteht nicht auch die Gefahr

Besteht nicht auch die Gefahr einer Hyperinflation bei den nun kübelweise ausgeschütteten staatlichen Hilfsgeldern? Sollte man sich daher nicht doch einmal die simple Frage stellen: Ist die Shutdown-Therapie vielleicht schlimmer als die Corona-Krankheit selbst?

Komplett falsch, für

Komplett falsch, für Inflation oder auch Deflation gelten die selben Regeln von Angebot und Nachfrage. Wenn die Wirtschaft in der Rezession ist, muss Nachfrage stimuliert werden, sonst gehts in die Deflation, weil Produkte nicht nachgefragt werden. Gilt eben auch für Kredite bzw. Schulden. Wenn die keiner braucht, weil sich Investitionen nicht lohnen mangels Nachfrage, gibt es weder Zinserhöhungen noch Preissteigerungen...Und wenn die wirtschaftlich schwächeren Länder selbst zu schlechteren Konditionen Kredite aufnehmen müssen, freut das die Hedgefonds, die jetzt schon wieder gegen Italien und Spanien wetten - und den Blackrocker Friedrich März!

Euro-Bonds, ein Schritt zu Vereinigten Staaten Europas

Der wichtigste Satz von Achim Truger zu Gunsten von Euro-Bonds: Ohne diese drohten in Südeuropa Staatsschuldenkrisen, die letztlich im „Zusammenbruch von Euro [...] münden würden“.

Es war schon vor der Corona-Krise ein Rätsel, weshalb sich Südstaaten nicht einig werden, nicht den Austritt aus dem Euro androhen, dann müsste sich auch Frankreich positionieren.
Wenn das Verlangen nach Euro-Bonds besonders vom Problemstaat Deutschland verweigert wird, könnte die Einigung befördert werden.
Dann hätte die deutsche Regierung ein ernstes Problem: Wollte sie aus Eigeninteresse die Euro-Zone erhalten, müsste der Euro neu verhandelt werden! Vielleicht gelänge sogar die grundlegende Änderung des von deutschen Konservativen geschriebenen EZB-Gesetzes? (Schäuble-Stichwort: "Verrechtlichung von Interessenpolitik"!)
Insofern gibt es Anlass für einen optimistischen Blick in die Zukunft, denn dass sich etwas ändern muss, ist gewiss. Im Mittelpunkt aller Wirtschaftspolitik steht die Macht, den Geldwert zu bestimmen.
Klug wäre, fände die SPD bereits jetzt zu einer pro-europäischen Position und spräche sich auf dem Wege zu noch fernen Vereinigten Staaten Europas für Euro-Bonds aus.

Italiener verfügen über sehr hohe Privatvermögen

In Deutschland liegt der Median des Vermögens privater Haushalte bei gut 60 TEuro, in Italien bei gut 150 TEuro, in Spanien noch etwas darüber. Die Steuer- und Abgabenlast ist dort geringer, die Erbschaftssteuer in Italien im Vergleich extrem gering. Der Staat ist dafür überschuldet und kann sich kaum mehr selbstständig finanzieren. Es gibt dort also Problem der Verteilung zwischen staatlichem und privaten Sektor. Eurobonds machen diesen Ländern das Leben leichter, zu Lasten derer, die eine nachhaltigere Politik betrieben haben. Sie sind ein süßes Gift, das es diesen weiter erlauben würde, notwendige Reformen zu verschieben. Ein aktuelles Beispiel dazu: im ziemlich solide finanzierten Deutschland bringt die SPD eine Vermögensabgabe für besonders Wohlhabende ins Spiel - das wäre jedenfalls in Italien mehr als notwendig, davon ist dort keine Rede. Stattdessen hat man Anfang des Jahres das Renteneintrittsalter auf ca. 60 reduziert.