Hunderttausende von Stromverbrauchern erhalten in diesen Tagen Mitteilungen ihrer Versorger, dass für sie die Kilowattstunde zum Jahreswechsel um einige Cent teurer wird. Die Stromlieferanten begründen dies mehr oder minder ausschließlich mit der politisch gewollten Energiewende. Spätestens jetzt merken die Verbraucher, dass diese Wende nicht umsonst zu haben ist. Aber auch die Stromerzeuger sehen sich zu ganz neuen Überlegungen genötigt.
Die ungewisse weitere politische Ausgestaltung der Energiewende schreckt gegenwärtig fast alle Beteiligten von neuen großen Investitionsvorhaben ab. Es ist in dieser Hinsicht ein toter Punkt erreicht, ein Stillstand ist eingetreten, über den auch Klimaschützer nicht glücklich sind.
Energieversorger rücken vom lange geplanten Bau neuer fossiler Kraftwerke plötzlich ab, so allen voran und viel beachtet, EON von einem 1100 Megawatt großen Steinkohle-Block (Staudinger) in Großkrotzenburg am Main. Sie schalten sogar relativ klimaverträgliche Gaskraftwerke ab oder legen auch- wie EnBW - die Errichtung von Windparks in der Nordsee auf Eis. Siemens und Bosch steigen aus dem großen Desertec-Vorhaben zur Erzeugung von Strom in der Wüste aus; der Siemens-Konzern trennt sich sogar ganz von seiner Solarstromsparte, Bosch wird ihm darin möglicherweise bald folgen. Bedrängt von chinesischer Billigkonkurrenz fallen deutsche Solarfirmen reihenweise finanziell um und selbst Solarworld, das Paradepferd der Branche, schreibt tiefrote Zahlen.
Koalition in „Schockstarre“
Die Elektrizitätswirtschaft wartet nach wie vor vergeblich auf verlässliche Vorgaben oder wenigstens Vorstellungen der Regierung, wie sie die bis 2022 auslaufenden letzten Atommeiler und bis 2050 dann auch die fossilen Feuerungen durch jeweils andere Erzeugungsmöglichkeiten ersetzen soll. Viele vom handstreichartigen Atomausstieg nach Fukushima überrumpelte Abgeordnete der schwarz-gelben Koalition befänden sich seitdem in einer „Schockstarre“ und würden mit der Energiewende nach wie vor hadern, meint der umweltpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Matthias Miersch.
Die Stromversorger müssen aber wissen, wie und wann sie mit ihren Kraftwerken noch zum Zuge kommen, wenn Wind- und Sonnenstrom immer vorrangig ins Netz eingespeist werden und außerdem mit einem wachsenden Angebot zunehmend auf die Stromhandelspreise drücken. Wer bezahlt die konventionellen Anbieter für bereitgehaltene, aber ungenutzte Erzeugungsmöglichkeiten, wenn sie nur an windstillen und dunklen Tagen mit Gewissheit ihre volle Leistung absetzen können?
Schmutzige Braunkohle im Vorteil
Früher sind die Klimaschützer stets in Jubel ausgebrochen, wenn sie wieder ein die Temperaturen treibendes fossiles Kraftwerk verhindern konnten, und solche Anlässe gab es jüngst zuhauf. Nun aber fahren die mit billiger heimischer Braunkohle befeuerten Kraftwerke volle Last, während die klimaverträglicheren Steinkohle- und Gaskraftwerke eher gedrosselt werden. Die von der EU überreichlich zugeteilten Emissionshandelsscheine sind mit sechs bis acht Euro je Tonne Treibhausgas so stark im Preis gefallen, dass sie den CO2-lastigen Braunkohlestrom nicht mehr nennenswert im Verhältnis zu den anderen Energieträgern verteuern. Dass der Essener RWE-Konzern schon bis Ende September neun Prozent mehr Braunkohle verstromt hatte, wird die deutsche Klimabilanz für 2012 mit Gewissheit verhageln.
Stromnetze verstaatlichen!
Im Fortgang der Energiewende hakt es im Augenblick an vielen Stellen. EnBW stellt seinen geplanten Windpark „Hohe See“, 90 Kilometer vor Cuxhaven, mit der Begründung zurück, dass der Netzbetreiber Tennet einen baldigen Anschluss an das Überlandnetz nicht garantieren könne. Da wäre der SPD-Vorschlag hilfreich, die Übertragungsnetze mehrheitlich zu verstaatlichen. Die öffentliche Hand hätte keine Not, sich das nötige Kapital billig über Anleihen zu besorgen, zumal Versicherungen wie die Allianz bei diesem ertragssicheren Geschäft gerne mit von der Partie wären.
Sozialer Ausgleich für die EEG-Umlage möglich
In der Koalition und vielen Medien hat sich die Wende-Diskussion leider zuletzt auf jene gut anderthalb Cent pro Kilowattstunde verengt, um die EEG-Umlage ab 2013 für Haushalte und gewerblichen Mittelstand erhöht werden soll. Durch erhöhte Netzentgelte, samt eines Inkassos für verspätete Anschlüsse an die Meereswindparks, kommen auf die Verbrauchertarife sogar schmerzliche gut drei Cent obendrauf. Aber wäre es der Regierungsmehrheit wirklich um einen sozialen Ausgleich zu tun, könnte sie mit einem Bruchteil der Mehrwertsteuer-Einnahmen aus der EEG-Umlage von anderthalb Milliarden Euro alle Hartz-Vier- und sonstigen Einkommenshilfen-Empfänger vom gesamten Aufgeld für die Erneuerbaren Energien befreien. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sicherlich zutreffend berechnet.
Stromverbraucher sind nicht machtlos
Oder will man die brodelnde Suppe des Volkszorns über die Klimamaut lieber am Kochen halten? – Wind- und Sonnenstrom haben die Großhandelspreise an der Strombörse in den letzten Jahren stark heruntergedrückt, bei den privaten Haushalten ist dieser Vorteil bisher kaum angekommen, sondern eher bei den Stromverkäufern hängengeblieben. Wer in auf den in dieser Hinsicht bisher tatenlos gebliebenen Gesetzgeber nicht warten will, kann zu einem billigeren Anbieter wechseln und dabei leicht hundert und mehr Euro pro Jahr sparen. Die Zeitschrift „Finanztest“ hat den Einwohnern von 15 großen Städten in ihrer Dezemberausgabe dafür eine exzellente Vorlage geliefert. Die Energiewende ist kein Selbstläufer. Wenn dieses in Europa einmalig ehrgeizige Projekt, gelingen soll, müssen Verbraucher wie Gesetzgeber, immer von neuem anpassungsbereit, dabei mitwirken.