50 Jahre Kanzlerwahl

Nach Willy Brandt: Was „Mehr Demokratie wagen“ für junge Menschen heute bedeutet

Kai Doering30. Oktober 2019
Willy Brandt beim Bundeskongress der Jusos 1980 in Hannover: Auch heute haben junge Menschen ganz genaue Vorstellungen davon, was „mehr Demokratie wagen“ bedeutet.
Willy Brandt beim Bundeskongress der Jusos 1980 in Hannover: Auch heute haben junge Menschen ganz genaue Vorstellungen davon, was „mehr Demokratie wagen“ bedeutet.
Vor 50 Jahren kündigte Bundeskanzler Willy Brandt an, „mehr Demokratie wagen“ zu wollen. Vor allem junge Menschen waren begeistert. Was bedeutet mehr Demokratie für sie heute?

Als Willy Brandt am 28. Oktober 1969 in seiner ersten Regierungserklärung als Bundeskanzler einer sozial-liberalen Koalition anküdigte, „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, war die Begeisterung groß. Besonders junge Menschen, die sich in den Jahren zuvor politisiert hatten, sprach Brandt mit seinen Worten – und den folgenden Taten – an. Die Koalition reformierte das Scheidungs- und Abtreibungsrecht. Das Wahlalter wurde von 21 auf 18 Jahre gesenkt.

Auch heute würden junge Menschen gerne wieder mehr Demokratie wagen. „Demokratie ist etwas Lebendiges und muss sich weiterentwickeln wie die Gesellschaft und die Menschen, die in ihr Leben“, ist Regine Laroche überzeugt. Die Vorstandssprecherin des Vereins „Mehr Demokratie“ in Berlin-Brandenburg möchte den Menschen mehr Möglichkeiten geben, sich einzubringen „und zwar auch über Elemente der direkten Demokratie“.

Hanka Kliese sieht das anders. „Viele verbinden mehr Demokratie mit mehr plebiszitären Elementen“, weiß die stellvertretende Vorsitzende der SPD Sachsen. „Ich glaube, mehr Demokratie wagen heißt in der heutigen Zeit, Menschen zu befähigen und kompetent zu machen, an demokratischen Prozessen, die es bereits gibt, teilzuhaben.“ Sie müssten etwa in die Lage versetzt werden, besser Fake News von Fakten zu unterscheiden.

Kai Niebert sieht die Demokratie insgesamt in der Defensive. Um den Klimawandel schneller bekämpfen zu können, müsse die Demokratie im Zweifel zurückstecken, fordern Umweltaktivisten wie der Mitgegründer von „Extinction Rebellion“, Roger Hallam. Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutrings, sieht das anders. Die Regierungen säßen zwar vor den Herausforderungen des Klimawandels „wie das Kaninchen vor der Schlage“, doch dass die Demokratie insgesamt intakt sei, zeige sich etwa daran, dass die Bürgerinnen und Bürger in Umfragen oder bei Volksbegehren einen „konsequenten Schutz von Mensch und Natur“ wollten. Für Niebert ist deshalb klar: „Wollen wir die Klimakrise stoppen, müssen wir diesen Menschen eine Stimme geben und wieder mehr Demokratie wagen.“

Nils Heisterhagen dagegen erlebt zurzeit „eine große Debattenfaulheit“. Trotz Problemen in Deutschland seien viele noch viel zu still, findet der Publizist und Sozialdemokrat. Aus Heisterhagens Sicht hätten viele sogar „Angst, ihre Meinung zu sagen“. Sein Appell lautet daher: „Der Debattenkultur geht es nicht gut. Beleben wir sie wieder.“

Für Patrick Dahlemann ist die Forderung „mehr Demokratie wagen“ aktueller denn je. „Das heißt heute, alle Regionen Deutschlands gleichermaßen im Blick zu haben“, meint der Staatssekretär für Vorpommern der Landesregierung in Schwerin. Für die Politiker sei der Satz im Jahr 2019 „Ansporn, auf die ganz konkreten Herausforderungen der Menschen Antworten zu geben, in denen sich jeder Einzelne in der Sozialdemokratie wiederfindet“.

Und auch über Deutschlands Grenzen hinaus hat Brandts Versprechen auch 50 Jahre später noch eine wichtige Bedeutung. „Insbesondere für junge Menschen in Israel und Palästina führt der Status quo im festgefahrenen Konflikt zu großer Frustration“, sagt der Leiter des Willy-Brandt-Centers (WBC) in Jerusalem, Tobias Pietsch. Im WBC treffen sich junge Menschen aus Israel, Palästina und dem Rest der Welt, um Vorurteile abzubauen und Ideen für eine friedlichere Welt zu entwickeln. „Es wird Zeit für Wahlen in Palästina. Es wird Zeit für mehr junge Menschen in der Politik“, sagt Pietsch. „Auch hier wollen wir mehr Demokratie wagen.“

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Kommentare

Liebe Weltenretter und

Liebe Weltenretter und Demokratieverachter von Extinction Rebellion! Wie kam Hannibal eigentlich mit seinen Elefanten über die Alpen? "Untersuchungen weisen auf klimatische Warmphasen und eine höhere Baumgrenze hin."
https://de.wikipedia.org/wiki/Hannibals_Alpenüberquerung

Mehr Meinung wagen heißt, mehr politische Teihabe zu wagen!

Es erstaunt, wieweit Willy Brandt mit seiner Vision 50 Jahre später schon bei den Verantwortlichen für gewisse Verklärung und Romantisierung führt. Dabei hat er, nicht nur durch seine Exilierung, sondern auch durch die Einbindung seiner Familie sehr wohl den Preis gekannt, den man bezahlen muss, um sich gegen die Vorkriegsordnung, den Gesinnungsautoritarismus in allen Staatsgewalten und die verkommenen Geschlechterrollen auch in der eigenen Partei zur Wehr zu setzen. Nicht um sonst spielt Herbert Wehner als autoritärer Counterpart eine hervorragende Besetzung im sozialdemokratischen Balance of Power, Helmut Schmidt nicht zu vergessen.

Heute ist trotz o.g. Interviews davon nicht viel übrig geblieben zu sein. Die betriebliche Mitbestimmung stockt. Die politische Teilhabe von EU-Ausländern bei Bundes- und Landtagswahlen ist weit entfernt. Menschen sind mit 14 Jahren straf-, jedoch nicht wahlmündig. Das politische wie gesellschaftliche Ehrenamt dient als verdeckter 3. Arbeitsmarkt ohne programmatische Folgen. Ausländerbeiräte sind Papiertiger. Die SPD leidet unter der Schlagseite von gesetzl. Mandatsträger[inn]en, welche wiederum ein Gefälle zwischen Ver- und Abgeordneten erleben.

Demokratie

Nun bin ich damals, wegen Willy Brandt, als Schüler der SPD beigetreten - aus seinen Worten schöpften wir Hoffnung; die Gegenkampagne der CDSU war ja auch polarisierend. Aber es hat nicht langer gedauert da kam der "Radikalenerlass" und vermittels der Badermeinhoffterrors wurden sämtliche Initiativen Richtung mehr Demokratie zunichte gemacht. Gerade heute muss aber wieder gelten: Mehr Demokratie und weg mit dem Lobbyismus !
Es ist doch auch die Ohnmacht der Demokratie, speziell in "der Wirtschaft", die der afd die Wähler zutreibt.

Nils Heisterhagen spricht ein

Nils Heisterhagen spricht ein wahres Wort: Viele haben Angst ihre Meinung zu sagen. Warum haben die Menschen in diesem Lange Angst, ihre Meinung zu sagen?

Schlafwagenrepublik

Ob es wirklich Angst ist, die Menschen davon abhält ihre Meinung zu sagen, wie Nils Heisterhagen es beschreibt, halte ich für weitgehend abwegig. Die eindeutig rassistisch und fremdenfeindlichen Äußerungen die in Thüringen u. anderswo in Deutschland inzwischen ungeniert aus der Mitte der Gesellschaft posaunt werden lassen das Gegenteil vermuten.
Auch im digitalen Netz so wissen wir längst kann noch immer weitgehend ungestraft übelste Hetze betrieben werden.
Ob die mangelnde Zivilcourage zum Widerstand wirklich aus Angst vor den meist rechten "Lautsprechern" ausbleibt, möchte ich noch nicht gluaben. Wäre es so, hätte unsere Demokratie schon ihren Tiefpunkt erreicht und unsere Regierung vollkommen versagt. Das die Groko-Akteure auch bei diesem Thema nicht genügend liefern, halte ich für unbestreitbar, dennoch denke ich dass nicht die Angst viele Menschen vom Bekunden ihrer Haltung abhält, sondern deren fehlende Haltung selbst. Das wiederum wäre auch kei Wunder angesichts der Groko-Schlafwagenpolitik, die die Bürger/innen zu passiven Empfängern staatl. Leistungen degradiert, mit Anspruchshaltung, aber ohne Anreizen, Strukturen u. Freiräumen zu Eigenengagement. Wozu noch Meinung ?!

Beteiligung schaffen - demokratiegefährdende Lobby eindämmen !

Nahezu 25 % für eine rechtsextreme Partei im Osten Deutschlands und ca. 15 % bundesweit zeugen von auch von einem gewaltigen Bildungsdefizit und Demokratieunmündigkeit großer Teile gerade der jungen Generation !
Da gibt es auch ein Personalproblem an Schulen aber auch Defizite im Lehrplan, sowie mglw. auch durch den weiteren Rückgang kirchlicher Institutionen und fehlender humanistischer "Ersatzbildung", einen unschönenWertewandel, der durch den ungehemmten praktizierten Neoliberalsimus hin zum maximalen Eigennutz noch befeuert wird !
Es braucht mehr basisdemokratische Teilhabe so wie sie vom Verein "Mehr Demokratie" initiiert und propagiert wird. Wir müssen aber auch und gerade die erreichen, die der Demokratie den Rücken kehren. Hierzu können auch die sogenannten "Volksparteien" beitragen, indem sie der Mitgliederschaft weitere Entscheidungs- und Beteiligungsbefugnis ermöglichen, gerade auch der jungen Generation ! Wenn dann die Partei noch den Mut hätte sich (auch durch demokratiefördernde niedrigschwellige Projekte im Alltag) nach außen zu öffnen und die undemokratische Lobbymacht der wirtschaftlichen BIG-Player (auch innerparteilich) endlich einzudämmen...!

Lohnt es sich, solche Artikel zu lesen ?

Ich habe mich jetzt mal zunehmend gelangweilt durch die schon zu oft gelesenen bedeutungslosen, weil vollkommen unverbindlichen Ergüsse hindurchgearbeitet.
Es bleiben eigentlich nur zwei Fragen offen:

1. Warum machen "demokratische Parteien" eigentlich genau die Politik, die gegen die Interessen und die durch immer eindeutigere Wahlergebnisse belegten Forderungen der Wähler geht ?

2. Was genau hindert denn die an der Macht befindlichen "demokratischen Parteien" daran, sich sowohl strikt grundgesetzkonform zu verhalten als auch mehr demokratische Mechanismen, zumindest aber klare Haftung für Parteiprogramminhalte und Wahlversprechen bzw. "Amtseid" einzuführen und sämtliche Lobbyisten aus dem Bundestag zu jagen ?

Keiner der hier zitierten Menschen hat eine verbindliche Antwort auf diese Fragen bzw. zeigt in der politischen Arbeit auch nur die geringstenAnsätze, zumindest die eigenen Vorschläge voranzutreiben.
Die Abkehr der Wähler von Parteien, die mit "Klimapaketen" die angeblich gewollte "soziale" Ausrichtung eindeutig zur Farce machen wird man durch noch mehr leere Worte kaum bedämpfen können.

Da muss man sich zwangsläufig

Da muss man sich zwangsläufig die Frage stellen, warum denn die Bürger zu Wahlen aufgerufen werden. In diesem Zusammenhang wäre zu klären, wer denn die politische Marschrichtung tatsächlich vorgibt. Sind es die gewählten Parteien oder die im Hintergrund wirkenden Konzerne, NGO's usw.?
Haben wir denn überhaupt eine Demokratie oder wird uns das nur vorgegaukelt?

Der Klimawandel stellt im Sinne des Neoliberalismus doch lediglich die Privatisierung der Natur, der Umwelt dar. Vordergründig geht es um Profite und nichts anderes.

"demokratischen Parteien" strikt grundgesetzkonform?

Warum setzen Sie bei den demokratischen Parteien Anführungszeichen und unterstellen, diese verhielten sich nicht grundgesetzkonform? In Thüringen teilte die Mehrheit der Wähler von DIE LINKE und der AfD offenbar Ihre Ansicht, sie sollten aufgrund vieler weiterer Übereinstimmungen daher auch eine Koalition nach griechischem Vorbild eingehen und der Bevölkerung zeigen, wie beide Parteien ihre Form von Demokratie verstehen nd praktizieren. Sie wollen zudem sämtliche Lobbyisten aus dem Bundestag jagen? Sie wissen offenbar wenig über die Funktion einer Demokratie und dass in den Geschäftsordnungen des Bundestages und der Bundesregierung die Beteiligung und Anhörung von Verbänden ausdrücklich festgeschrieben ist bevor Gesetze beschlossen werden. Zu den Lobbyisten gehören übrigens auch die Gewerkschaften, wollen Sie die auch "aus dem Bundestag jagen". Vielleicht besuchen Sie erst einmal einen VHS-Kurs in Sachen Demokratie.

Warum wohl ?

Wir verdanken Parteien, die sich demokratisch nennen die Rechtschreibreform, den GEZ-Zwangstribut, das in Teilen verfassungswidrige Hartz IV/SGB II und man kann sehen das trotz stetig sinkender Zustimmung zur Politik der sich als demokratisch bezeichnenden Parteien, trotz eindeutiger "Wahlklatschen" genau die Politik stur weitergeführt wird die eindeutig vom Wähler nicht gewollt ist.

"Anhörung von Verbänden" hat mit dem ausgeuferten Lobbyismus wenig zu tun und wird spätestens dann bedenklich wenn fast ausschließlich (hier handelt die von Ihnen verachtete "Linke" übrigens anders) Vertreter von Banken, Versicherungen und Konzernen bzw. deren "Verbänden" gehört werden während zum Beispiel auf E-Petitionen.de keine Ergebnisse zu erwarten sind, genügend Unterstützer oder nicht.
Noch bedenklicher wenn Gesetze fertig "ausgearbeitet" in die Politik gereicht werden. CUM...

Die Vorstöße der Landesmedienanstalten und der GroKo, das Recht auf freie Meinungsäußerung in Wort, Schrift und Bild drastisch zu beschneiden sind Ihnen offenbar auch entgangen.

Ich weiß nicht was die Wähler in Thüringen wollten, falls das Ziel war, CDU und SPD abzuwählen haben sie ihr Ziel allerdings erreicht.