MdB Ewald Schurer zum Landesparteitag der BayernSPD

Die Wiederentdeckung des Sozialdemokratischen

Ewald Schurer01. Juli 2011

Vor eindreiviertel Jahren wurde die SPD in Berlin in die Opposition
geschickt. Nach über einem Jahrzehnt Regierungshandeln, in einer
Zeit geprägt von rasanten gesellschaftlichen Entwicklungen, musste
die SPD bei der Bundestagswahl 2009 eine herbe Niederlage
verkraften.


Der andere Zugang zur Politik

Die Vermittlung von Politik hat sich verändert.
Soziale Netzwerke
explodieren. Zwischenmenschliche Dialoge werden mit dem
zunehmenden Bedürfnis, ganz persönliche, ja sogar relativ intime
Erfahrungen in eine neue Öffentlichkeit hinein zu tragen,
enttabuisiert. Parallel hierzu scheinen wichtige politische
Diskussionen und Entscheidungen nur noch über ganz bestimmte
und medien-kompatible Führungspersönlichkeiten vermittelbar zu
sein.

Bislang tradierte politische Prozesse sind der jüngeren Generation
nur noch schwer verständlich zu machen. Junge Menschen sind
dabei nicht unpolitischer, ihr Zugang zur Politik ist ein
anderer geworden.
Die Bindung zur Politik, vor allem zu den Parteien, scheint nicht nur
bei ihnen rückläufig zu sein. Allgemein gibt es eine deutliche
Erosion in Bezug auf die Glaubwürdigkeit politischer Prozesse.


Kritik an Politik ist Volkssport geworden

Zugang zur Politik findet nur noch über den Beruf oder durch
persönliche Beziehungen statt. Vermehrt findet die Vertretung von
eigenen Interessen mittels Lobbying statt. Gerade wirtschaftlich
einflussreiche Interessensgruppen bringen so erfolgreich ihre
Positionen, Wünsche und Einzelinteressen ein.

Wichtig für politisches Engagement sind die Erfahrungen in der
Arbeitswelt, im eigenen Lebensbereich ebenso wie bei der
Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeiten. Gibt es dort noch die
Möglichkeit mit eigenen Initiativen und mit Sachverstand
mitzugestalten, gar etwas zu beeinflussen oder handelt es sich nur
noch um formelle Vorgänge?

Wird solidarisches Verhalten noch erlebt,
wahrgenommen oder honoriert? Findet gemeinsames Engagement
nur noch für oder gegen Projekte im eigenen Umfeld statt oder
entsteht gemeinsames Handeln auch für das Eintreten gesellschaftlicher
Grundwerte und Allgemeininteressen?

Ohne Zweifel: Politik hat sich rasant verändert. Menschen haben
das Gefühl, nicht mehr verstanden und mitgenommen zu werden.
Auch und gerade die SPD hat in diesem Wandel eine Vielzahl
jahrzehntelanger Dialogpartner und Anhänger verloren.

Nach meiner festen Überzeugung schafft die SPD die Rückbindung
verlorener sowie die Bindung neuer Wählerschichten, Partner und
Unterstützer nur mit einer nachhaltigen Strategie zur
Wiederentdeckung des Sozialdemokratischen. Auch deshalb ist
eine breit angelegte Diskussion zur innerparteilichen
Meinungsbildung und der offene Dialog mit interessierten
Bürgerinnen und Bürgern ohne Parteibuch dringend notwendig.


Wo es stinkt

Beginnen müsste die Wiederentdeckung des Sozialdemokratischen
zunächst intern. Sigmar Gabriel hat dies anlässlich seiner Wahl im
November 2009 sehr einfach proklamiert: "Da hingehen, wo es
stinkt!" war sein leicht nachvollziehbarer Tagesbefehl. Aber die
Partei hatte und hat Probleme mit ihrem "Eigengeruch".

Innerparteilich umstrittene Politikkonzepte wie die

Hartz-Reformen

haben die Identität und das Selbstbewusstsein der Partei erheblich
beschädigt. Bei dem Projekt
Rente mit 67 gab es alsbald offen
ausgetragene Konflikte, sowohl innerparteilich als auch mit unseren
engen Bündnispartnern, den Gewerkschaften und Sozialverbänden.

Statt möglicher Kompromisse folgten Zuspitzungen und das
Einschwören auf eine Regierungsmehrheit für vermeintlich
alternativlose Reformgesetze. Solidarität wurde eingefordert; je
nach Standpunkt stellte sich aber die Frage, für wen oder was?


Wir konnten nicht mehr überzeugen, weil wir selbst nicht mehr, oder
nur noch teilweise, überzeugt waren.

Unter Schwarz-Rot gab es erste Schritte der Rückbesinnung. Den
bis heute andauernden Kampf für Mindestlöhne müssen wir
ersatzweise über die Entsenderichtlinie führen, weil Union und FDP
eine flächendeckende gesetzliche Lösung massiv blockieren.

Die Katastrophe in Japan vom Frühjahr dieses Jahres hat die
schwarz-gelbe
Energiepolitik wieder in Richtung

rot-grüner
Beschlüsse

aus dem Jahre 2001 gedreht. Die SPD kann
überzeugend auf diese gemeinsam mit den Grünen entwickelte
Linie verweisen, wohl wissend, dass daraus aber nur die Grünen
öffentliche Vorteile verbuchen.

Die bei der
Zeit- und Leiharbeit nach wie vor dringend notwendigen
Korrekturen beschäftigen uns bis heute. Mit ehrlichem Ansinnen,
aber immer im Bewusstsein, vorher unter einem "Superminister" für
Wirtschaft und Arbeit der Missbrauchsentwicklung Vorschub
geleistet zu haben. Wir wissen: der Arbeitsmarkt braucht klare
ordnungspolitische Grundsätze.


Soziale Gerechtigkeit

hat für die Menschen oberste Priorität, auch
und gerade im Regierungshandeln. Neben einer durchaus
vorhandenen persönlichen Bereitschaft ist aber leider der Glaube
daran nur noch sehr rudimentär vorhanden.

Deshalb gilt: Neue Ansätze müssen überzeugend, selbstsicher und
wahrnehmbar proklamiert werden. Aus den einzelnen Bestandteilen
muss wieder eine geschlossene, für die Menschen nachvollziehbare
und erlebbar sozialdemokratische Linie entstehen.
Die Wiederentdeckung des Sozialdemokratischen basiert auf der
Erkenntnis, dass klassische sozialdemokratische Positionen
niemals falsch gewesen sind, sondern durch die neoliberale Politik
der letzten Jahrzehnte und der daraus resultierenden Spaltung der
Gesellschaft mehr Bedeutung denn je erlangen.


Wo gibt es Möglichkeiten für die
Wiederentdeckung des Sozialdemokratischen?

Wir müssen in der Lage sein, Antworten zu geben auf die
drängenden Fragen der Menschen und unsere Botschaften mit den
richtigen Politikansätzen verknüpfen. Botschaften sind dabei nicht
die Instrumente selbst. Sie sind der Versuch, die Menschen wieder
zu erreichen, sie zu überzeugen und dauerhaft für die
sozialdemokratischen Ideen und Werte zu gewinnen.

Notwendig ist eine selbstbewusste, aber auch kritische Replik auf
unser Regierungshandeln bis 2009 ebenso wie das Aufzeigen
unserer Schwerpunkte für das angestrebte und erneute Regieren
ab dem Jahr 2013.
Dazu gehört ein grundsätzliche Bekenntnis zum Sozialstaat:

Eine starke wirtschaftliche Entwicklung beruht auf klaren
ordnungspolitischer Regeln für den Arbeitsmarkt
(Mindestlöhne, Zeit- sowie Leiharbeit auf wirkliche
Ausnahmen begrenzen, politische Initiativen für mehr
qualifizierte Ausbildung und eine deutliche Ausweitung
der Beschäftigung älterer ArbeitnehmerInnen).

Die Sozialsysteme (an erster Stelle Gesundheit, Pflege
und Rente) werden auf das Prinzip der
Bürgerversicherung umgestellt, um die
Lebensgrundlagen bei Krankheit und im Alter zu sichern.

Hinzukommt ein realistisches Konzept einer
leistungsfähigen Altersrente, die Altersarmut ausschließt.

Die Kommunen als wesentliche Träger der öffentlichen
Daseinsvorsorge werden für ihre Aufgaben auskömmlich
finanziert (Konnexität) und erhalten gezielt Unterstützung
bei zentralen Aufgaben von Ganztagseinrichtungen für
Kinder, der notwendigen Energiewende und dem ebenso
dringenden Ausbau des Öffentlichen Nahverkehrs.


Das macht klar: Die SPD ist die Kommunalpartei!

Nicht zuletzt muss die SPD wieder ein deutlich europapolitisches
Profil erlangen. Wir wollen die Einheit Europas aber nicht nur als
Währungs- und Wirtschaftsunion, sondern mit klaren
sozialpolitischen und arbeitsmarktpolitischen Vorgaben und Zielen.

Klar ist, dass die angeschlagenen Mittelmeerstaaten nur dann eine
Chance haben, wenn sie mit gezielten Investitionen wieder
ökonomische Fortschritte erzielen und damit Arbeitsplätze schaffen.

Der permanente Einsatz für eine freiheitliche und sozial gerechte
Gesellschaft ist das, was die Menschen von uns erwarten. Wenn wir
uns auf die beschriebenen Botschaften konzentrieren, erreichen wir
auch wieder alte und neue Wählerschichten.

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