Kommentar

Widerstand gegen Ceta: Europa in Geiselhaft

Karin Nink27. Oktober 2016
Der EU-Kanada-Gipfel fällt aus, das Ceta-Abkommen wird vorerst nicht unterzeichnet. Was einige als Sieg Davids gegen Goliaths feiern, ist in Wahrheit die Dominanz regionaler Egoismen. Europa wird das teuer zu stehen kommen.

Jetzt ist es also soweit – das Ceta-Abkommen ist vorerst gescheitert, die für heute geplante Vertragsunterzeichnung abgesagt. Ob Ceta noch verabschiedet werden kann, muss sich zeigen. Die Schadenfreude bei vielen Kritikern der aktuellen Freihandelsabkommen ist kaum zu überhören: Da haben die Wallonen der EU mal gezeigt, wo der Hammer hängt!

Dafür wird die EU noch teuer bezahlen

Aber was für ein Irrtum ist diese Betrachtungsweise! Was für ein Unsinn! Dafür, dass die  wallonischen Sozialdemokraten im letzten Moment ihr eigens Süppchen kochen, wird die gesamte Europäische Union und die gesamte europäischen Bevölkerung noch teuer bezahlen.

Denn Europa ist in der globalen Welt nur deswegen so stark, weil es einen geeinten Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Einwohnern darstellt. Das gibt Kraft und Macht in einem Zeitalter, in dem Nationalstaaten – übrigens auch ein starkes und potentes Deutschland – kaum noch Einflussmöglichkeiten auf globale Handelsregeln haben werden.

Wenn Regionalismen die Vernunft besiegen

Aber wer lässt sich künftig noch von dieser europäischen Stärke beeindrucken, wenn Nationalismen und Regionalismen die Vernunft besiegen? Zum Beispiel, wenn es darum geht, nicht nur die Interessen europäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verteidigen, sondern auch darum, faire und gute Arbeitsbedingungen für Männer und Frauen weltweit zu erreichen. Auch europäische Umwelt- und Lebensstandards dürfen nicht nur bei uns erhalten werden, sondern müssen auch in anderen Teilen der Welt gesetzt werden. Das muss Maßstab linker Politik sein.

Und wer will – innereuropäisch betrachtet – den Orbans dieser Welt künftig erklären, dass sie sich als Mitgliedstaat zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage an die Regeln der EU zu halten haben, wenn Belgien als einer der Gründungsstaaten der EU in einer so wichtigen Frage wie dem Freihandel ausschert? Vieles wofür Europa steht, droht Partikularinteressen zum Opfer zu fallen.

Die Ceta-Kritiker laufen an ihrem eigenen Anspruch vorbei

Und all jene, die zu Recht für transparente Handelsabkommen protestiert haben, jubeln. Dabei ist es doch gerade ihr Anspruch, für eine bessere und faire Welt einzutreten. Derzeit aber laufen sie zielsicher an diesem Anspruch vorbei. Denn in ihrem stark emotionalisierten Bestreben, das Schlimmste verhindern zu wollen, übersehen sie, dass sie gerade das befördern: Emotionen und Mutmaßungen statt sachlicher Analyse.

Es wurde noch nie um ein Freihandelsabkommen so intensiv gerungen wie um dieses - in einem guten und demokratischen Prozess. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Der Vertrag gilt als einer der fortschrittlichsten Handelsverträge aller Zeiten. Mit diesem Abkommen ließen sich unumstößliche Maßstäbe für den weltweiten Handel im 21. Jahrhundert setzen – im Interesse Europas und im Interesse deren, die bisher nicht annähernd in den Genuss europäischer Standards gekommen sind.

Nicht den Rechten auf den Leim gehen!

Diese Chance drohen wir jetzt zu vertun: Zum einen weil regionale und politische Egoismen der wallonischen Sozialdemokraten dafür sorgen, dass die demokratischen Regel der Kompromissbereitschaft über Bord geworfen wird. Zum anderen aber auch, weil Kritiker und Gegner der Freihandelsabkommen statt Globalisierung gestalten zu wollen die Rückkehr zu Nationalismen mindestens bejubeln, einige sie vielleicht sogar gezielt anstreben.

Sie übersehen dabei, dass ihre Interessen sich auf der langen Linie mit den Interessen derer treffen, die das Heil sowieso nur in der Macht einzelner aus einem Volk bestehenden Nationalstaaten sehen.

Das sind keine guten Aussichten für Europa.

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