Tarifvertrag abgelehnt

Wertschätzung Fehlanzeige: Caritas beleidigt das Pflegepersonal

Benedikt Dittrich26. Februar 2021
Die Caritas hat einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege abgelehnt.
Die Caritas hat einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag in der Pflege abgelehnt.
Ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in der Pflege ist vorläufig gescheitert – ausgereichnet, weil der katholische Träger „Caritas“ den Vorschlag ablehnt. Die Begründung ist ein Schlag ins Gesicht für alle Beschäftigten.

Der Tarifvertrag von ver.di und BVAP löse nicht die Frage der Finanzierung. So wird Norbert Altmann in einer Pressemitteilung der Caritas zitiert. Er ist in der arbeitsrechtlichen Kommission der Sprecher der Dienstgeberseite – die Kommission ist das Gremium aus Arbeitgeber- und Nehmer*innen des katholischen Wohlfahrtsverbands Caritas, das eine allgemeinverbindlicher Tarifvertrag in der Pflege hätte zustimmen müssen, den die Gewerkschaft ver.di und mit einem Teil der Arbeitgeber*innen ausgehandelt hatte – und der nun an der Caritas gescheitert ist.

Altmanns Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Grundsätzlich hat Altmann nämlich tatsächlich recht. Sollte in den Pflegeeinrichtungen der Caritas das Personal durch den neuen Vertrag besser bezahlt werden, entstehen für die Caritas natürlich erstmal höhere Kosten – von Seiten der Caritas ist die Rede von rund zwei Milliarden Euro. Kosten, die an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden müssten – entweder durch höhere Einnahmen oder Sparen an anderer Stelle.

Wertschätzung sollte über Finanzierung stehen

Allerdings: Ein Tarifvertrag muss und kann diese „Frage der Finanzierung“ gar nicht beantworten. Es geht in einem Tarifvertrag erstmal schlicht darum, wieviel Geld die Menschen, die in den Seniorenheimen, den Pflegeeinrichtungen, arbeiten, für ihre Arbeit erhalten. Und da es um die ganze Pflegebranche geht: Es geht darum, wieviel uns als Gesellschaft die Pflege unserer Angehörigen wert ist.

Dass ausgerechnet die Caritas, als kirchlicher, katholischer Wohlfahrtsverband – Caritas heißt übrigens „Nächstenliebe“ – diese Wertschätzung als „Finanzierungsfrage“ abwiegelt, lässt tief blicken. Da ist es dann schon fast zweitrangig, dass die kirchlichen Wohlfahrtsverbände mit ihrem Sonderweg bei den Gehaltsverhandlungen ohnehin seit Jahren in der Kritik stehen.

Natürlich muss die Frage geklärt werden, wer die höheren Kosten in der Pflege wie schultert. Natürlich darf das – wie von der Caritas befürchtet – nicht allein über die Beiträge der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen abgedeckt werden. Natürlich ist ein Tarifvertrag nur eine Stellschraube in einem ganz großen System, das an vielen Stellen reformbedürftig ist.

Rolle rückwärts statt ein Schritt vorwärts

Das ist aber keine Entschuldigung dafür, dass die erste Stellschraube, an der hätte gedreht werden können, nicht genutzt wird. Die Gewerkschaft ver.di und immerhin ein Teil der Arbeitgeber*innen hatten nach langer Verhandlung endlich einen Konsens, der für viele Beschäftigte eine Verbesserung bedeutet hätte – nach einem Jahr Pandemie, in der vor kurzem noch gerade für die Beschäftigten in der Pflege auf den Balkonen geklatscht wurde. Doch diese Wertschätzung ist nicht viel Wert, wenn sie sich nicht in besseren Arbeitsbedingungen oder mehr Geld auf dem Konto niederschlägt.

Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag hätte dabei sicherlich nicht jedes Problem gelöst oder für alle eine signifikante Verbesserung bedeutet. Auch die Caritas beansprucht für sich, dass sie ihr Personal besser behandelt und bezahlt als andere, ja sogar höher als in dem ausgehandelten Tarifvertrag vorgesehen.

Trotzdem: Der allgemeinverbindliche Tarifverträg wäre ein richitger Schritt in die richtige Richtung für die gesamte Branche gewesen. Und es hätte langfristig vielleicht auch bedeutet, dass mehr Menschen eine Ausbildung in der Pflege in Betracht ziehen. Der Pflegenotstand ist vielleicht in den vergangenen Monaten etwas aus dem Blick geraten, aber verschwunden ist er nicht. Nach wie vor suchen viele Pflegeheime, Kliniken und andere Einrichtungen händeringend nach qualifiziertem Personal.

Wieviele der 62 Menschen, die in der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas für oder gegen den Tarifvertrag Pflege gestimmt haben, ist nicht bekannt. Die Sitzung tagte geheim. Unterm Strich bleibt aber hängen: Die Caritas, ein christlicher Verband, Arbeitgeber für viele tausende Menschen, hat am Donnerstag bewiesen, was am Ende des Tages für sie wichtiger ist: Die Frage der Finanzierung. Nicht die Wertschätzung für ihr Personal.

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Kommentare

Aus Sicht der Caritas kann

Aus Sicht der Caritas kann ich die Ablehnung verstehen. Qualifiziertes Pflegepersonal mit Examen und vor alle Dingen mit Berufserfahrung ist äußerste Mangelware. Mit einem allgemein verbindlichen Tarivertrag, der eine höhere Bezahlung in den Einrichtungen vorsieht, wäre es durchaus denkbar, dass sich die Caritas darum sorgt, dass denen die Fachkräfte weglaufen bzw. künftig eine Rekrutierung schwieriger wird. Ob die Rechnung der Caritas aufgeht, wage ich zu bezweifeln. Aufgrund des hart umkämpften Personalsituation müssen schon jetzt auch privat geführte Einrichtungen immer höhere Löhne zahlen.

Scheinheilig...

...ist für mich die Reaktion unserer SPD (inbes. auch v. H.Heil) auf die Blockade der Caritas im Sachen allgemeiner verbindlicher Mindestlohn in der Pflege! Es ist kaum erklärbar, dass die von Caritas und Diakonie erklärte Verweigerung nicht vorhersehbar war! Es ist gewissermassen sogar deren Pflicht gegenüber ihren Finanzierern (in diesem Falle keine maximalprofitgeilen AktionärInnen!)nachhaltig sorgsam mit deren Geldern umzugehen.Und in Sachen Entlohnung sind sie gegenüber vielen privaten Trägern sogar positives Vorbild ! Liebe SPD-Vorderen! Setzt noch vor der Wahl eine umfassende Pflege- und Gesundheitsreform durch, damit auch ihr etwas vorzuweisen habt ! Ansonsten nichts wie raus aus der Groko, besser heute als morgen !

Mit Logik hat man es nicht so

Logik scheint mittlereile abgeschafft worden zu sein. Wie anders kann es sein das der Protest der "Caritas" gegen auskömmliche Bezahlung in diesem Artikel primär an der rein fiktiven "Nächstenliebe" einer Kirche aufgehangen wird statt das Zuckerli im folgenden Zitat zu Nutzen ?

"Auch die Caritas beansprucht für sich, dass sie ihr Personal besser behandelt und bezahlt als andere, ja sogar höher als in dem ausgehandelten Tarifvertrag vorgesehen."

Dementsprechend kann doch ein Tarifvertrag, der ja angeblich laut dieser Aussage lediglich eine Entlohnung unter dem aktuellen Niveau sicherstellt, überhaupt nicht zu den behaupteten Mehrkosten führen.

Inwiefern ein Fachkräftemangel ohne stringent erzwungene und wirksam kontrollierte Personalschlüssel relevant ist, wie weit importierte "Erntehelfer" die tatsächlichen Kosten drücken und wie sehr der Arbeitszwang seitens "Jobcenter" die angebliche "Freiwilligkeit" zu Gunsten der Arbeitgeber aushebelt wird hier wie üblich nicht betrachtet.

Mich deucht, das hier gezeichnete Bild ist zu simpel.