Fachtag "'Rasse' in der Gesetzgebung"

"Und welcher Rasse gehören Sie an?"

Jana Günther23. Juni 2010

Das europäische Parlament hat sich bereits gegen eine weitere Verwendung des Begriffs in Gesetzen der EU ausgesprochen. Die Diskussion steht aber gerade in Deutschland noch am Anfang, nicht
zuletzt weil der Begriff 'Rasse' auch im Grundgesetz (Art. 3, Abs. 3) steht: "Niemand darf wegen … seiner Rasse … benachteiligt oder bevorzugt werden".

Das
Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien
(MMZ)
diskutierte in Kooperation mit der Koordinierungsstelle
"Tolerantes Brandenburg" das Thema "'Rasse' in der Gesetzgebung und in Verwaltungstexten".

Geschichte einer immer schon umstrittenen Kategorie

"Wenn Sie nicht gerade über Ihren Pudel reden, würden Sie das nicht mehr sagen", stellt Julius H. Schoeps, Direktor des MMZ, fest. Zwar fände sich der Begriff 'Rasse' noch in historischen
Dokumenten, biologisch, sozial sowie politisch sei er aber erledigt. Allerdings findet sich 'Rasse' als juristische Kategorie, etwa im
Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG). Schoeps weist darauf hin, dass der Begriff vor dem Hintergrund der deutschen
Geschichte besonders problematisch sei, man denke beispielsweise an die "Nürnberger Rassegesetze".

Christian Geulen von der Universität Koblenz-Landau zeichnete die historische Entwicklung des Begriffs nach. Ausgehend von "Blutsverwandtschaft" bzw. direkten Abstammungslinien hatte der
Begriff 'Rasse' seinen Ursprung im Hochmittelalter, wo er
eher der bewussten politischen Ab- und Ausgrenzung bestimmter Religionsgemeinschaften oder Bevölkerungsgruppen diente.

In der Wissenschaft fand von jeher eine rege Debatte zum Begriff der 'Rasse' statt. Herder und Hegel wiesen beispielsweise die Existenz von 'Menschenrassen' zurück.

Zusammenhang zwischen Rassimus und 'Rasse'?

In den 1970er Jahren entkoppelten sich in der wissenschaftlichen wie politischen Debatte die Begriffe Rassismus und 'Rasse', so Geulen. Vor allem deshalb, weil der 'Rasse'-Begriff
biologistische Aus- und Abgrenzungsmechanismen fortschreibe. In der gegenwärtigen Soziologie würden rassistische Ausgrenzungsprozesse betrachtet. In der ethnologischen Forschung befasse man sich
mit Ethnizität. Es wurde diskutiert, inwiefern es sinnvoll sei, den Begriff der 'Rasse' in Gesetzestexten mit der Kategroie Ethnie auszutauschen.

Hendrik Cremer, vom
Deutschen Institut für Menschenrechte, setzt sich seit Jahren dafür ein, dass der Begriff 'Rasse' aus Gesetzestexten entfernt wird. Für
ihn handelt es sich um einen Begriff, der "vergiftet ist". Dieses "biologistische Konzept" verweise auch auf die jahrhundertelange Ausbeutung von Menschen im Kolonialismus. Für Cremer geht es vor
allem darum, die praktischen und politischen Fallstricke zu thematisieren. In Schweden, Österreich und Finnland sei die Debatte längst geführt und der Begriff ersetzt worden.

Vorreiter Brandenburg

In Deutschland, so Cremer weiter, sei 'Rasse' noch in vielen Gesetzestexten festgeschrieben, angefangen beim deutschen Grundgesetz aber auch in den Landesgesetzen. Das Allgemeine
Gleichstellungsgesetz von 2006 bewirkte ebenfalls eine "Renaissance des Begriffs". Bereits 1997, dem Jahr gegen Rassismus, gab das europäische Parlament die Empfehlung 'Rasse' als Begriff
grundsätzlich zu vermeiden.

Nicht zuletzt hat der deutsche Presserat den Begriff 'rassisch' gänzlich aus seinen Repertoire gestrichen. In Einbürgerungsformularen, so erklärt Cremer weiter, finden sich aber Begriffe
wie "rassische Herkunft" wieder. Ein
Positionspapier des Deutschen Instituts für
Menschenrechte
fand 2008 enorme öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung. Dass Brandenburg die Empfehlungen jetzt konkretisiert, und dies als erstes Bundesland, sieht Cremer als Schritt
in die richtige Richtung.

Sprachgebrauch strukturiert den Alltag von Menschen

Karin Weiss, Integrationsbeauftragte des Landes Brandenburg, macht deutlich, dass "durch Begriffe Haltungen geprägt werden". Die Verwendung des Begriffs im Grundgesetz und nun im AGG habe
zur Folge, dass die Annahme es gäbe 'Menschenrassen', auf die Gesellschaft zurückwirkt. Denn der Sprachgebrauch strukturiert den Alltag von Menschen.

Alltagsrassismen würden durch die Gesetzgebung quasi fortgeschrieben. Eine Position die Renèe Röske von der Jüdischen Gemeinde unterstrich. Auch für sie ist der Begriff vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte unhaltbar. Am Beispiel der sogenannten Russlanddeutschen könne man sehr gut sehen, wie schnell man mit einer juristischen Definition von 'Rasse' an seine Grenzen kommt.
Wird ein Russlanddeutscher mit dunklerer Hautfarbe angegriffen, ist dann von einem rassistischen Übergriff auszugehen, hat er doch einen deutschen Pass?

Angelika Thiel-Vigh, Leiterin des
"Toleranten Brandenburgs" erklärt: "Solange es die Begrifflichkeit 'Rasse' in Gesetzen gibt ist die Argumentation
gegen rechtsradikale Positionen quasi unmöglich". 'Völkische' Argumentationsstrukturen, gefolgt von einer unmittelbaren Hierarchisierung bestimmter 'Menschenrassen', lasse sich nur schwer
bekämpfen oder widerlegen, wenn sogar im Grundgesetz von der Existenz verschiedener 'Rassen' ausgegangen wird.

Probleme in der Rechtssprechung

Weiss berichtet von juristischen Schwierigkeiten, die mit dem Begriff 'Rasse' zusammenhängen. Ab wann gehört, welcher Mensch zu welcher 'Rasse'? Ab wann ist von einem diskriminierenden bzw.
rassistischen Straftatbestand die Rede? Eine aufgrund von Zugehörigkeit zu einer 'Rasse' motivierte Diskriminierung muss juristisch geprüft werden. Demnach ist das Opfer in der Nachweispflicht,
dass ihm ein Unrecht aufgrund seiner oder ihrer 'Rassezugehörigkeit' wiederfahren ist.

"Die Gesetzeskommentare sind durchaus diffus", so berichtet Ralf Holzschuer, MdL und stellvertretender Fraktionsvorsitzender sowie rechtspolitischer Sprecher der brandenburgischen
SPD-Fraktion. Einen Handlungsbedarf sieht er in jedem Fall und regt an, sich auf Landesebene genauer mit dem Schulgesetz und dem Datenschutzgesetz zu befassen. Denn "nur weil es in der Praxis
jetzt jahrelang so üblich war", kritisiert Ralf Holzschuher, "muss das nicht so bleiben".

Bekämpfung von Rassismus in den Fokus nehmen

Ein Vorschlag der beim Fachtag diskutiert wurde ist, 'Rasse' durch den Passus "Diskriminierung aufgrund rassistischer Zuschreibung" zu ersetzen. Ein unmittelbarer Perspektivwechsel könnte
die Folge sein, denn so stünde nicht mehr der Nachweis im Mittelpunkt, dass man zu einer bestimmten "Rasse" gehöre, sondern der diskriminierende Straftatbestand.

Cremer stellte fest, dass "es nicht darum gehe, die Vielfalt der Menschen in Frage zu stellen". Vielmehr sei dieses starre und altertümliche Konstrukt obsolet. "Warum also das Kind nicht
beim Namen nennen?" fragte er. Schließlich ginge es um die Bekämpfung von Rassismus und dass nun ausgerechnet das AGG diskriminierende Kategorisierungen vornehme, muss thematisiert und verändert
werden.

Das Land Brandenburg hat mit der vielschichtigen Debatte eine längst überfällige Diskussion angestoßen. Holzschuher hat mit einer
Kleinen Anfrage das Thema auch im Landtag aufs Tapet gebracht. Weiss strebt an, eine parteiübergreifende
Arbeitsgruppe einzurichten, nicht nur um zu sensibilisieren, sondern auch um konkrete Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Die Expertinnen und Experten sowie Praktikerinnen und Praktiker des
"Toleranten Brandenburgs" werden den Prozess weiterbegleiten und unterstützen.


Fotos: mit freundlicher Genehmigung vom Büro MdL Ralf Holzschuher

Tage der Demokratie in Brandenburg
25. bis 27. Juni 2010 in Potsdam

Programm

www.tage-der-demokratie.de

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