Koalitionsvertrag konkret

Welchen Einfluss der richtige Cappuccino auf den Klimaschutz hat

Benedikt Dittrich13. Dezember 2021
Stromerzeugung, Landwirtschaft, Naturschutz, Wohnungsbau: Die Fläche wird zur begrenzten Ressource der Transformation.
Stromerzeugung, Landwirtschaft, Naturschutz, Wohnungsbau: Die Fläche wird zur begrenzten Ressource der Transformation.
Der Koalitionsvertrag der Ampel enthält ambitionierte Maßnahmen beim Klimaschutz. Was muss daraus konkret folgen? Naturschützer Kai Niebert fordert ein 100-Tage-Programm für die Industrie – und gezielte Förderung für einen klimaschonenden Cappuccino.

„Ambitionierte Ziele allein sparen noch keine Tonne CO2“, sagt Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Der Niedersachse hat für die SPD die Koalitionsverhandlungen im Bereich Klima, Energie und Transformation angeführt. Miersch ist sich sicher, dass Klimaneutralität ein Gemeinschaftsprojekt ist, dass Klimapolitik nicht spalten darf – und betont den Anspruch, der aus seiner Sicht im Koalitionsvertrag steckt: „Mit diesem Koalitionsvertrag haben wir vorgezeichnet wie es gehen kann, Ökologie, Wirtschaft und sozialen Zusammenhalt zu einer sozialen Klimapolitik zu verbinden.“

Und das steckt – unter anderem – im Vertrag drin: Die geplante Erhöhung des CO2-Preises bleibt, die EEG-Umlage wird ab 2023 vom Staat übernommen, Mieter*innen und Vermieter*innen tragen den CO2-Preis fürs Heizen künftig jeweils zur Hälfte. Außerdem soll die Energiewende mit Mieterstrom-Modellen und Bürgerenergie-Projekten zu einem echten „Mitmachprojekt“ werden, Solarzellen sollen auf  möglichst vielen Dächern angebracht werden, der Kohleausstieg idealerweise schon bis 2030 gelingen und mit einem Vorrang für den Ausbau Erneuerbarer Energien sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.

Tempo und Turbo für die Energiewende

Viele heere Ziele, das weiß auch Miersch. „Entscheidend ist deshalb, dass wir den Buchstaben Taten folgen lassen und gemeinsam die beschlossenen Vorhaben bereits im kommenden Jahr auf den Weg bringen“, erklärt der Bundestagsfraktionsvize gegenüber dem „vorwärts“. Doch welche dieser Maßnahmen sollte zuerst auf den Weg gebracht werden, wo drängt die Zeit?

Für den Präsidenten des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Kai Niebert, ist die Antwort klar. Niebert begrüßt zunächst den Plan, die Erneuerbaren Energien so schnell wie möglich auszubauen: „Das muss absolute Priorität haben, vor allem anderen. Daran wird alles hängen“, sagt er, warnt aber auch: „Wenn wir das nicht schaffen, dann steht alles von der Elektromobilität über die Dekarbonisierung der Industrie bis hin zum Kohleausstieg auf dem Spiel.“

100-Tage-Programm für den Klimaschutz

Außerdem hofft Niebert auf ein 100-Tage-Programm, in dem möglichst schnell entscheidende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, beispielsweise für die Automobilindustrie. „Damit jedem klar ist, die jüngste Verbrennergeneration war die letzte, ab jetzt wird nur noch in Elektro investiert.“ Ähnliche Richtungsentscheidungen stünden für andere Industriebereiche an. Außerdem hofft Niebert im Handwerkssektor auf eine Ausbildungsoffensive, damit beispielsweise Gebäude saniert und Wärmepumpen schnell eingebaut werden können. „Da brauchen wir massiv Personal.“

Wo allerdings neue Wohnungen gebaut oder Windkraftanlagen errichtet werden, fehlt Fläche für Landwirtschaft oder Naturschutz. Ein Dilemma, das weiß auch Naturschützer Niebert: „Fläche wird die neue Währung der Energiewende werden“, ist er überzeugt. „Das ist das Nadelöhr, durch das wir durchmüssen.“

Fläche effektiver nutzen

Deswegen müsse man künftig viel effektiver mit der Fläche umgehen, die zur Verfügung stehe. Als Lösung schlägt Niebert vor, landwirtschaftliche Flächen künftig effektiver zu nutzen. Rund zehn Prozent der Ackerfläche in Deutschland würde für Pflanzen genutzt, aus denen in Biogas-Anlagen Strom erzeugt wird. „Auf der gleichen Fläche könnte man mit Photovoltaik 100 bis 200 mal so viel Energie rausholen“, rechnet Niebert vor.

Solche Flächen könnten teilweise auch zur Stärkung der biologischen Vielfalt genutzt werden, verweist Niebert auf den Abschlussbericht der Zukunftskommission Landwirtschaft der Bundesregierung aus dem Sommer. Mit anderen Worten: Ackerflächen sollten verstärkt wieder in Natur umgewandelt werdebn. Das würde aus Nieberts Sicht insgesamt den Schutz bedrohter Arten verbessern, selbst wenn an anderer Stelle neue Windkraftanlagen gebaut würden.

Abbau umweltschädlicher Subventionen

Bleibt noch ein Satz, auf den Niebert im Koalitionsvertrag hinweist: „Wir wollen zusätzliche Handlungsspielräume dadurch gewinnen, dass wir im Haushalt überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben abbauen.“ Für Niebert fallen darunter die fehlende Besteuerung von internationalen Flügen und Kerosin oder Ausnahmen von der EEG-Umlage.

Das Thema führt Niebert sogar bis zur Kühltheke im Supermarkt: „Hafermilch hat 19 Prozent Mehrwertsteuer, Kuhmilch 7 Prozent.“ Da könne man sofort gegensteuern, meint der DNR-Präsident. Hintergrund der Kritik: Hafermilch benötigt weniger Energie und Fläche in der Produktion als die Haltung von Milchkühen. „Wenn ich aber die Wahl habe zwischen einem teureren und einem billigeren Cappuccino, wird ein Großteil der Menschen eben weiter zum billigeren zu greifen.“

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