Sommerreise

Walter-Borjans in NRW: Heimspieltour für den SPD-Vorsitzenden

Jonas Jordan16. Juni 2021
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans und der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe im Gespräch mit Vertretern von Handel und Gastronomie in Recklinghausen.
Der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans und der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe im Gespräch mit Vertretern von Handel und Gastronomie in Recklinghausen.
Zwei Tage lang war der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans in fünf Städten in Nordrhein-Westfalen unterwegs. Bei seiner „Heimspieltour“ geht es ihm um die Zukunft der Innenstädte, aber auch den persönlichen Austausch.

„In NRW bin ich zu Hause. Nicht nur in Köln und Umgebung“, sagt Norbert Walter-Borjans am Dienstagnachmittag bei einem Gespräch auf dem Marktplatz von Gütersloh. Es ist die fünfte Station auf seiner zweitägigen Reise durch das bevölkerungsstärkste Bundesland. Der SPD-Vorsitzende begleitet als Gast die Dialogtour der SPD-Bundestagsfraktion. „Gekommen, um zu hören!“, ist deren Motto, das sich auch Walter-Borjans zu eigen macht.

Parteibuch für ein Neumitglied

Los geht es am Montagmorgen um 9 Uhr in Mülheim an der Ruhr. Vor einem Einkaufszentrum unweit des Hauptbahnhofs trifft Walter-Borjans auf Sebastian Fiedler. Der Vorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK) will im September für die SPD in den Bundestag. Entsprechend steht das Thema Sicherheit im Fokus ihres Gesprächs. Ein Feld, bei dem sich die nordrhein-westfälische Landesregierung unter Armin Laschet stets zu profilieren versucht, in Wirklichkeit jedoch eine „Kommt drauf an“-Politik praktiziere, wie Fiedler kritisiert. Beispielhaft dafür stehe die Auflösung der europaweit angesehenen Stabsstelle zur Bekämpfung von Umweltkriminalität unter Laschet.

Nur 17 Kilometer weiter in Ratingen zeigt sich, dass die Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen nicht nur eine ruhmreiche Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft hat. Vor knapp einem Monat ist der 18 Jahre alte Schüler Cagatay Maloglu in die SPD eingetreten. Walter-Borjans überreicht ihm sein Parteibuch. „Ich bin Arbeiterkind und war schon immer etwas links orientiert“, sagt der Neugenosse zu den Beweggründen seines Parteibeitritts, bevor er mit einem Stapel Flyer in der Hand durch die belebte Fußgängerzone eilt. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kerstin Griese ist begeistert über so viel Enthusiasmus. „Der Wahlkampf geht jetzt so richtig los“, sagt sie nach ihrem ersten Präsenztermin seit September.

Überzeugungsarbeit in der Mittagssonne

Walter-Borjans zeigt sich derweil leidensfähig. Bei annähernd 30 Grad steht der Parteichef in der prallen Mittagssonne und versucht einen Bürger von der SPD zu überzeugen. Nach einer guten halbe Stunde endet das Gespräch. Der Mann verabschiedet sich und auch der SPD-Vorsitzende muss weiter. Die nächste Innenstadt wartet. Auf dem Alten Markt in Bochum-Wattenscheid begrüßt ihn der dortige SPD-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Serdar Yüksel, dessen Stimme von weithin gut hörbar ist.

Etwa 50 Bürger*innen haben sich am Bus der SPD-Fraktion um Yüksel, Walter-Borjans und den Bochumer SPD-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer geschart. „Ihr müsst dat auf Papier bringen, damit wir dat verteilen können“, fordert einer vehement, als es um die Erfolge der SPD geht. Walter-Borjans ist in seinem Element. Vehement weist er darauf hin, welche Partei innerhalb der Bundesregierung tonangebend ist: „Wer kennt denn die Namen der CDU/CSU? Und wenn ja, was ist verbunden mit Namen wie Scheuer oder Spahn? Und was ist mit Frau Karliczek, von der niemand weiß, was sie eigentlich macht? Da brauchen wir uns nicht verstecken.“

Dort, wo einst Willy Brandt stand

Anstatt sich zu verstecken, startet der Tross einen Spaziergang durch die Fußgängerzone. „Der letzte SPD-Vorsitzende, der vor dir an dieser Stelle stand, war Willy Brandt 1987“, berichtet Schäfer Walter-Borjans stolz. Währenddessen weist Yüksel auf die Probleme der Wattenscheider Innenstadt hin. Neben zahlreichen Discountern und Ein-Euro-Läden steht ein Ladenlokal an einer belebten Straßenecke leer. Zu üppig sind die Mietforderungen des Besitzers. Ähnlich sieht es wenige Meter weiter, wo statt einem umzäunten Rasenstück durchaus auch Wohnnungen entstehen könnten.

Die SPD sorgt sich um die Situation der Innenstädte und hat daher kürzlich erst ein entsprechendes Papier verabschiedet, das neben der Tilgung kommunaler Altschulden eine Reihe weiterer Maßnahmen vorschlägt. Um die Details geht es auch am Dienstagvormittag, als Walter-Borjans gemeinsam mit dem dortigen SPD-Abgeordneten Frank Schwabe Vertreter von Gastronomie und Handel auf dem Marktplatz von Recklinghausen zum Gespräch trifft. Es sei nach Monaten des Lockdowns aktuell eine gewisse Euphorie spürbar, berichtet einer von ihnen. Allerdings herrsche auch eine große Ungewissheit, wie es ab Herbst weitergehe.

Eine Schulklasse will Nowabo sehen

Walter-Borjans ist der persönliche Austausch sehr wichtig. Er wolle keine Politik aus dem Elfenbeinturm machen, sagt er. „Jede Stadt ist anders. Es gibt kein Patentrezept für Innenstädte“, bemerkt der SPD-Vorsitzende. Insofern sei ein Besuch vor Ort immer wieder spannend, insbesondere in Nordrhein-Westfalen: „Man kommt in Städte, die man selbst kennt und hat auch einen höheren Bekanntheitsgrad.“ Zu denjenigen, die Walter-Borjans erst noch kennenlernen wollen, zählt eine 25-köpfige Schulklasse der Dietrich-Bonhoeffer-Realschule.

Normalerweise hat ihr Lehrer Gebhard Warmer nur eine Schulstunde pro Woche zur Verfügung, um seinen Schüler*innen Wissen über Politik zu vermitteln, berichtet er. Insofern habe er die Chance nutzen wollen, wenn jemand in der Stadt sei, den die Schüler*innen sonst vielleicht nur aus dem Fernsehen kennen. Walter-Borjans verteilt Rosen, lächelt für ein gemeinsames Foto und diskutiert mit den Schüler*innen über Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. „Das Tragen einer Maske ist verschmerzbar. Schlimmer ist es, wenn Menschen ihre Existenz verlieren“, sagt er.

„Also dann, Gut Holz!“

Um die Existenz seiner Partei bangt er jedoch nicht. Im Gegenteil: Der SPD-Vorsitzende glaubt an einen Sieg bei der Bundestagswahl und Olaf Scholz im Kanzleramt. „Wir haben gelernt, an wie vielen Stellen in einer Regierung das Kanzleramt eine Bremse sein kann“, sagt Walter-Borjans bei der letzten Station in Gütersloh am Dienstagnachmittag. Entsprechend gibt er das Ziel aus, die 20-Prozent-Marke deutlich zu überschreiten und stärker als die Grünen zu werden. Die Gütersloher SPD-Abgeordnete Elvan Korkmaz-Emre fügt an: „Ich wünsche mir endlich mal einen Kanzler, der gestaltet.“

Walter-Borjans ist zufrieden mit der zweitägigen Tour durch sein Heimatbundesland. Zwei Radfahrer*innen, die am Stand halten, schenkt er zwei Frühstücksbrettchen und signiert sie noch. Als die beiden wieder in die Pedale treten, lächelt er und ruft ihnen hinterher: „Also dann, Gut Holz!“

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Kommentare

Die unbeantwortete Frage nach dem Konzept wird drängender

Zwar gibt es durchaus Unterschiede zwischen verschiedenen Innenstädten doch gibt es ebenfalls übergreifende gleiche politisch gewollte und verschlimmerte Probleme.
Der Lockdown-Irrsinn hat im Zusammenhang mit längerfristigen Fehlstellungen (Abgabenbelastungen) die Innenstädte bundesweit zerstört.
Nun gibt es Bürgermeister (Hallo, Herr Griese), die allen Ernstes "Konzepte" vorlegen, das Geschäfte, die von Laufkundschaft abhängig sind eine nicht bezifferte "Unterstützung" bei den Mietkosten erhalten könnten, aber solcherlei Wirrsinn sichert bestenfalls noch einige Wochen lang die Mieteinnahmen, nicht die Existenz der Geschäfte.

Sich hier aus der Verantwortung zu nehmen mit Hinweis auf die weniger wichtigen Unterschiede schafft kein Vertrauen. Zu Behaupten, eine schon vor der aktuellen GroKo abgestürzte Partei, die sich weiterhin weigert, nach Wählerauftrag und Wählerbedürfnissen statt Wunschdenken der Seeheimer zu agieren, könnte noch irgendwelche bedeutenden Zuwächse in der Wählergunst erreichen ist gerade nach der aktuellen Wahlschlappe schon arg befremdlich.

Konzepte und Glaubwürdigkeit fehlen weiterhin. Ohne diese beiden Grundvoraussetzungen ändert sich nichts.

die Innenstädte

haben sich entwickelt zu Orten, in denen man sich nicht gerne aufhält. Junge Männer mit Tagesfreizeit, besser nicht in die Augen schauen, Blick senken, erledigen, was nur dort erledigt werden kann, und dann schnell wieder weg

Mehrere Ursachen

Im Vergleich Delmenhorst, Oldenburg, Bremen, Hagen (bei Dortmund) und Hameln zeigt sich eher, das die Integration einer Art "shopping Mall Kultur" wie in Oldenburg gelingen kann, wenn die Gegebenheiten eben nicht den vielgepriesenen "Investoren" regellos überlassen werden, was eine der Hauptursachen für das Aussterben der kleinen Geschäfte in Hameln ist. Bei verwinkelten Örtlichkeiten sieht es in Delmenhorst recht gut aus. Bremen weiß seit Jahrzehnten nicht, wie man eine Innenstadt attraktiv macht, da trifft sich eine Hitparade aus unausgegorenen "Konzepten" und produziert ein Durcheinander statt ein koheräntes Erlebnis. Auch ein immer mal wieder durchgesetztes Wegtreiben von Obdachlosen oder anderen optischen "Störfaktoren" hat die grundlegenden Defizite bis heute nicht korrigiert. Im direkten Vergleich dazu hat Hagen langfristig geplant und die zentrale Sternkreuzung untertunnelt, um direkten Zugang zur Einkaufszone, Busverbindungen und Parkgelegenheiten sicherzustellen.
Allen Innenstädten ist aber gemein, das ohne ein Ende der frisch verlängerten "besonderen epidemischen Lage" samt dazugehörigen Zumutungen ein Einkaufsbummel ein wenig attraktiver Streßfaktor bleibt.