
Ende Oktober 1969 gab Willy Brandt ein Versprechen ab. „Wir wollen mehr Demokratie wagen“, sagte Brandt in seiner ersten Regierungserklärung eine Woche nach seiner Wahl zum Bundeskanzler Die Einlösung dieses Versprechens folge ein Dreivierteljahr später: Am 31. Juli 1970 wurde das Wahlalter gesenkt. Statt erst mit 21 Jahren konnten deutsche Staatsbürger*innen von nun an ab 18 wählen. Für Millionen junge Menschen, die heute unter dem Begriff „68er“ zusammengefasst werden, bedeutete das mehr Mitspracherecht.
Alkohol trinken, Konto eröffnen – aber nicht wählen
50 Jahre später ist es wieder Zeit, mehr Demokratie zu wagen. Wer heute 16 ist, darf offiziell Alkohol trinken, die allermeisten Filme anschauen und mit Zustimmung der Eltern ein Konto eröffnen. Eines allerdings dürfen 16-Jährige nicht: den Bundestag wählen. Das muss sich ändern. Das allgemeine Wahlrecht ab 16 ist mehr als überfällig.
Protestierten die 68er gegen starre Gesellschaftsnormen, den Vietnamkrieg und die Nichtaufarbeitung des Nationalsozialismus, gehen junge Menschen heute gegen Rassismus und für einen besseren Klimaschutz auf die Straße. Viele fühlen sich von „der Politik“ zu wenig beachtet, ihre Interessen unzureichend vertreten. Weniger als die Hälfte der Deutschen ist zufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie (in Ostdeutschland sind die Werte noch geringer). Gleichzeitig wünschen sich viele mehr Möglichkeiten der Beteiligung. Das ergab im vergangenen Jahre eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr Rechte, aber auch mehr Pflichte für junge Menschen
Kein Zweifel: Die Demokratie in Deutschland steckt in einer Krise. Sie braucht eine Erneuerung. Gerade junge Menschen wollen mitreden, sich beteiligen und selbst gestalten. Ihre Sicht auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen muss ernster genommen werden. Eine Senkung des Wahlalters wäre das sichtbarste Zeichen dafür. Gleichzeitig würden sie damit aber auch in die Pflicht genommen. Wer wählen darf, trägt gegenüber Staat und Gesellschaft eine stärkere Verantwortung als wenn er oder sie nur auf die Straße geht und die Politik zum Handeln auffordert.
Wie vor 50 Jahren wäre die Absenkung des Wahlalters heute ein richtiger Schritt unsere Demokratie zu beleben. „Die Politik“ würde damit auch signalisieren, dass sie anpassungsfähig ist und die Zeichen der Zeit erkannt hat. 50 Jahre nach Willy Brandt sollten wir mal wieder mehr Demokratie wagen.