SPD-Zentralorgan im Ersten Weltkrieg

Der Vorwärts-Raub

Carl-Friedrich Höck29. Juli 2014
vorwärts-Titel vom 18. Oktober 1916
Information an die Leser: Im Oktober 1916 wurde der „Vorwärts“ von der Reichsregierung verboten.
Als die SPD im Ersten Weltkrieg in zwei Teile zerfiel, war auch die Redaktion des Vorwärts gespalten. Sie geriet erst mit der Zensur der Militärbehörden aneinander, dann mit der eigenen Parteiführung.

Der Riss, der sich nach dem 1. August 1914 in der SPD auftat und mit den Monaten größer und größer wurde, verlief mitten durch die Redaktion des Vorwärts. Deutschland hatte Russland den Krieg erklärt. Wie sollte die deutsche Sozialdemokratie sich nun verhalten?

Vor dem 1. August war sich die Partei noch einig: Mit zahlreichen Demonstrationen hatte sie gegen den drohenden Krieg protestiert. Auch der Vorwärts war Teil der Kampagne. Nach dem Attentat von Sarajevo schrieb der Reichstagsabgeordnete Hermann Wendel in dem SPD-Zentralorgan: „Es wird mehr fallen als ein Erzherzog, wenn nicht die verblendeten Machthaber durch die Schüsse in Sarajewo gewarnt in letzter, in zwölfter Stunde einlenken“. Und noch am 25. Juli veröffentlichte der Vorwärts einen Aufruf des Parteivorstandes: „Kein Tropfen Blut eines deutschen Soldaten darf dem Machtkitzel der österreichischen Gewalthaber, den imperialistischen Profitinteressen geopfert werden.“ Verurteilt wurde auch das „Treiben der großserbischen Nationalisten“.

Die Internationale fällt zusammen

Doch dann war der Krieg da. Schnell wurde deutlich, dass die Sozialisten in Frankreich und anderen nun befeindeten Ländern sich auf die Seite ihrer Regierungen stellen würden. Innerhalb weniger Tage brach die Internationale zusammen, die einen solchen Waffengang doch eigentlich hatte verhindern wollen.

Im Vorwärts erschien ein Leitartikel von Friedrich Stampfer. Deutschland wolle keinen Krieg, aber es wolle auch niemand Deutschlands Niederlage, die Zusammenbruch und Elend bedeuten würde, schrieb er. Die als „vaterlandslose Gesellen“ verunglimpften Sozialdemokraten würden deshalb „ihre Pflicht erfüllen und sich darin von den Patrioten in keiner Weise übertreffen lassen.“ Der Artikel nahm den Gedanken des sogenannten Burgfriedens vorweg. Die SPD schloss ihn mit den anderen Parteien im Glauben, Deutschland führe einen Verteidigungskrieg. Verstärkt wurde die Waffenbereitschaft durch die tiefe Abneigung vieler Genossen gegen das zaristische Russland, die auch in Stampfers Leitartikel zum Ausdruck kam: „Wir wollen nicht, dass unsere Frauen und Kinder Opfer kosakischer Bestialitäten werden.“

Stampfer sprach jedoch nur für eine Minderheit in der Redaktion. Chefredakteur Heinrich Ströbel reagierte erbost auf den Artikel, auch wenn er dessen Veröffentlichung nicht verhinderte. Als die Reichstagsfraktion der SPD am 4. August 1914 den Kriegskrediten zustimmte, ließ die Redaktion dem Parteivorstand eine Erklärung zukommen – in aller Diskretion: „Ausschließlich die Rücksicht auf die jetzige gefährliche Lage unserer Partei und die Erhaltung der Presse hindert uns, die Bewilligung der Kriegskreditforderungen im Vorwärts einer öffentlichen Kritik zu unterziehen, doch können wir nicht darauf verzichten, den Parteivorstand und der Pressekommission wissen zu lassen, dass wir die Haltung der Fraktion für inkonsequent und in ihren Folgen für parteischädigend halten.“ 

Der Vorwärts kratzt am Burgfrieden

Öffentlich hielt sich der Vorwärts zurück, auch weil er wie alle Zeitungen seit Kriegsbeginn der Zensur des Militärs unterstellt war. Dennoch wurde das SPD-Organ mehrfach für einige Tage verboten, meist wegen „klassenkämpferischer Einstellungen“, die den Burgfrieden zu stören drohten.

In der Reichstagsfraktion der SPD spitzte sich der Konflikt um die Kriegskredite unterdessen immer weiter zu. Mehr und mehr Abgeordnete verweigerten ihre Zustimmung. Im Frühjahr 1916 wurden der SPD-Vorsitzende Hugo Haase und 17 weitere Abgeordnete aus der Fraktion ausgeschlossen, weil sie einen Kriegsnotetat abgelehnt hatten. Die Verstoßenen gründeten die „Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft“. Die Berliner SPD stellte sich zu großen Teilen hinter die Abweichler; genauso wie der Vorwärts, der sich nicht nur als Zentralorgan der SPD, sondern vor allem als Zeitung der Berliner Organisation verstand.

Ein „verwirrendes Bild“ habe die Zeitung in der Folge abgegeben, hält der Vorwärts-Chronist Hermann Schueler fest. Immer wieder wurden Erklärungen des Parteivorstands oder der Fraktion neben denen der oppositionellen „Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft“ abgedruckt.

Der Konflikt spitzt sich zu

Anfang Oktober 1916 wurde der Vorwärts wieder einmal verboten. Er hatte industrielle Kriegsgewinnler kritisiert und damit nach Meinung der Zensur gegen den Burgfrieden verstoßen. Diesmal drohte die Militärbehörde der SPD-Spitze, wenn diese die Redaktion nicht strenger kontrolliere, werde die Zeitung nicht wieder zugelassen. Der Parteivorstand griff nun durch und ernannte zunächst das Parteivorstandsmitglied Hermann Müller zum Chefredakteur und kurz darauf den linientreuen Friedrich Stampfer. Die Positionen der Opposition wurden aus dem Blatt gedrängt.

Es folgten chaotische Zustände. Die mehrheitlich oppositionelle Berliner Parteiorganisation fühlte sich um ihr Presseorgan betrogen und protestierte gegen den „Vorwärts-Raub“. Mehrere Vorwärts-Redakteure sollen sich an Boykottaufrufen gegen die eigene Zeitung beteiligt haben. Sie wurden entlassen, andere verließen die Redaktion auf eigenen Wunsch.

Mitten in diesen Tagen kommentierte Karl Kautsky: „Nicht die Spaltung der Fraktion, sondern der Vorwärts-Konflikt birgt die schlimmsten Gefahren für den organisatorischen Zusammenschluss der Partei.“ Die Einheit war zu diesem Zeitpunkt aber wohl ohnehin nicht mehr zu retten. In den ersten Monaten des Jahres 1917 gründete sich die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD) – um Köpfe wie Haase und Kautsky.

Die Zeitung fordert echte Demokratie

Und der Vorwärts? Zahm wurde er auch in den letzten beiden Kriegsjahren nicht. Auch die Mehrheitssozialdemokraten waren schließlich nicht mit Hurra-Rufen in den Krieg gezogen. Sie betonten immer wieder, dass sie nur die Landesverteidigung unterstützen würden, nicht aber die Annexion neuer Gebiete – und zogen damit den Argwohn der Obersten Heeresleitung auf sich. Der Vorwärts wurde wieder und wieder verboten – nun aber zumeist deshalb, weil die Redaktion konsequent mehr Demokratie forderte.

Im Oktober 1918 sah die Zeitung sich diesem Ziel nahe. Die Oberste Heeresleitung hatte eingesehen, dass der Krieg aussichtslos geworden war. Unter Reichskanzler Max von Baden wurde ein neues Kabinett gebildet, dem erstmals auch Sozialdemokraten angehörten, und das nun Friedensverhandlungen führen sollte. Es war der Anfang vom Ende der alten Kaiserherrschaft. 

Der Vorwärts kommentierte: „Die wenig günstige Kriegslage hat im Reich endlich jener Richtung zum Durchbruch verholfen, die von Anfang an den Schutz der Freiheit des deutschen Volkes als ihr einziges Kriegsziel betrachtet hat.“ Weiter hieß es: „Deutschland soll – das ist unser fester Wille als Sozialisten – seine Kriegsflagge für immer einziehen, ohne sie das letzte Mal siegreich heimgebracht zu haben.“

Sätze wie dieser wurden von den Rechten später herangezogen, als sie die Legende vom „Dolchstoß“ gegen das angeblich unbesiegte deutsche Heer strickten.

 

Literaturtipp
Hermann Schueler: Trotz alledem. Der Vorwärts – Chronist des anderen Deutschland. vorwärts Buch, 2006.

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