100 Jahre Revolution

Der „Vorwärts“ 1918: Eine Parteizeitung schreibt Geschichte

Lars Haferkamp19. November 2018
Bild der Zerstörung: Spartakisten besetzen am 6. Januar 1919 das Verlagsgebäude des „Vorwärts“, die Reichswehr erobert es zurück.
Bild der Zerstörung: Spartakisten besetzen am 6. Januar 1919 das Verlagsgebäude des „Vorwärts“, die Reichswehr erobert es zurück.
Kein Blatt ist während der deutschen Revolution 1918/19 wichtiger und damit auch umkämpfter als das „Zentralorgan“ der SPD. Über Erfolg oder Misserfolg der jungen deutschen Demokratie entscheidet auch der „Vorwärts“.

Revolution bedeutet Kommunikation. Sie ist oft der Motor einer revolutionären Entwicklung, sie entscheidet nicht selten über Erfolg oder Misserfolg. Der arabische Frühling, die im Jahr 2010 beginnende Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt, wäre wohl ohne die Kommunikation via Internet nicht möglich gewesen.

Das zentrale Medium der Revolution

1918 gibt es kein Internet, kein Fernsehen, kein Radio. Das zentrale Medium der Revolution ist die Zeitung der führenden politischen Kraft, der SPD. Das ganze Land blickt in den Wochen und Monaten der Revolution auf den „Vorwärts“, das „Zentralorgan“ der SPD.

Hier wird am 9. November 1918 in einer Extraausgabe zum Generalstreik aufgerufen. Hier wird in der zweiten Extraausgabe desselben Tages in Riesenlettern verkündet „Der Kaiser hat abgedankt!“. An gleicher Stelle der Aufruf „Es wird nicht geschossen!“. Aus der friedlichen Revolution soll – so eines der wichtigsten Ziele der SPD – kein Bürgerkrieg werden, wie zeitgleich in Russland. Dann meldet das Blatt den Sieg der Sozialdemokratie: Ebert soll Reichskanzler werden, die „Ausschreibung allgemeiner Wahlen für eine verfassungsgebende deutsche Nationalversammlung“ wird vorbereitet.

Sechs Extra-Ausgaben am Tag

Weil sich die wichtigen Ereignisse an diesem 7. November überschlagen, gibt es sechs Extra-Ausgaben des „Vorwärts“. In der dritten Extraausgabe jubelt das Blatt: „Arbeiter, Soldaten, Mitbürger! Der freie Volksstaat ist da!“ Mit der Kanzlerschaft Eberts „ist die öffentliche Gewalt in die Hände des Volkes übergegangen“.

In der vierten Ausgabe dient der „Vorwärts“ bereits als Regierungszeitung. Die Soldaten werden aufgefordert, ruhig in ihre Kasernen zurückzukehren. Die überragende Bedeutung des Blattes zeigt der Aufruf „Lest morgen den ‚Vorwärts‘, wo Euch weitere Mitteilungen bekanntgegeben werden!“, unterschrieben mit „Die neue Regierung“.

Der „Vorwärts“ wird besetzt

Am 10. November verkündet der „Vorwärts“ unter der Überschrift „Die Einigung“ die Bildung der neuen Regierung, des Rates der Volksbeauftragten, unter dem Vorsitz von Friedrich Ebert. Er wendet sich an die Bürger: „Ich bitte Euch alle dringend: Verlaßt die Straßen! Sorgt für Ruhe und Ordnung!“

Trotz aller Appelle der SPD eskaliert die Lage doch. Der „Vorwärts“ berichtet am 24. Dezember von einem „Matrosenputsch in Berlin“, nachdem bewaffnete Soldaten den ­sozialdemokratischen Stadtkommandanten Otto Wels gefangen genommen haben. Auch das Gebäude des „Vorwärts“ wird besetzt. Reichskanzler Ebert setzt Militär gegen die aufständischen Soldaten ein, es gibt Tote und Verwundete. Der „Vorwärts“ verurteilt den bewaffneten Aufstand unter der Überschrift „Volksherrschaft oder Verbrecherherrschaft?“ scharf.

Kampf gegen die Kommunisten

Schließlich ruft der kommunistische Spartakusbund zum gewaltsamen Sturz der SPD-Regierung auf: „Gebraucht die Waffen gegen eure Todfeinde, die Ebert-Scheidemann!“ Die Kommunisten besetzen am 6. Januar 1919 erneut das Vorwärts-Gebäude. Gustav Noske, in der SPD-Regierung für Verteidigung zuständig, befiehlt die Niederschlagung des Putschversuches. Am 12. Januar wird der „Vorwärts“ befreit.
Am 13. Januar erklärt das Blatt „das Ende der Spartakus-Herrschaft“. Der „Vorwärts“ begründet den Kampf der SPD: „Wir bekämpfen Spartakus, weil er in seinem tollen Eifer die Gesetze der Demokratie über den Haufen werfen will, weil er die Republik gefährdet, den Frieden untergräbt.“ Das Ziel der Kommunisten, die Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung gewaltsam zu verhindern, ist gescheitert. Sie finden wie von der SPD versprochen am 19. Januar 1919 statt. Damit kann die erste deutsche Demokratie beginnen.

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Geschichte

Wie in diesem Artikel kann man Geschichte natürlich auch schreiben.
Die Volksmarinedivision (VMD) machte keinen Putsch, sie weigerte sich nur ohne die ausstehenden Soldzahlungen das Berliner Schloss zu räumen. Die VMD unterstand dem Polizeipräsidenten in Berlin, Emil Eichhorn, und war mit Sicherungsaufgaben betraut. Noske schickte seine Nazi-Vorläufertruppen in Marsch. Als nach Ende der Januarkämpfe die Matrosen ihren Sold abholen wollten wurden viele von ihnen von diesen Truppen ermordet. Die Vorwärtsbesetzung war keine Aktion allein von "Spartakisten und Kommunisten" sondern es waren auch Sozialdemokraten daran beteiligt. Die Parlamentäre, die die Übergabe des Vorwärtsgebäudes an die Noske-Truppen verhandeln wollten, wurden ermordet. Nach der Erstürmung wollte Noske alle 300 Gefangenen erschießen lassen. Georg Ledebour (USPD) war während des "Spartakusaufstandes" der Vorsitzende des Vollzugsrates der AuS-Räte, nicht Liebknecht, der den Aufstand nicht wollte, sich aber zur Teilnahme gezwungen sah.