
Sollen Mitarbeiterinnen in Schulen, Ämtern und Behörden bei uns Kopftuch tragen dürfen? Für christliche Eiferer ist die Antwort vermutlich ebenso klar wie für kämpferische Atheisten. Sie lehnen dies ab. Entweder, weil ein solch sichtbares Bekenntnis dem von vielen bevorzugten christlichen Glauben widerspricht, oder weil solche Religionssignale generell als falsch und als eine Missachtung von Frauenrechten angesehen werden.
Aus laizistischer und säkularer Sicht müssen die Dinge aber etwas differenzierter betrachtet werden.
Grenzen setzen die Grundrechte anderer
Deutschland ist ein säkulares Land, in dem die Weltanschauungs- und Religionsfreiheit der Menschen ebenso wie das Neutralitätsgebot des Staates Verfassungsrang besitzen. Jeder soll und muss seine Entscheidung für oder gegen einen Glauben frei treffen und danach leben können. Grenzen setzen dabei lediglich die Grundrechte anderer. Der Staat muss zugleich Heimstatt aller Bürgerinnen und Bürger ohne Unterschied ihrer Religion und Weltanschauung sein, weshalb er selbst sich nicht bestimmte religiöse oder weltanschauliche Inhalte zu eigen machen darf. Er ist zu einer weltanschaulichen Enthaltsamkeit und Neutralität verpflichtet.
Das Bundesverfassungsgericht hat unlängst ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen für mit der Verfassung nicht vereinbar erklärt. Ich halte diese Entscheidung für nachvollziehbar – eine abgestimmte Meinung der laizistischen Sozialdemokraten, zu deren Sprecherkreis ich gehöre, gibt es dazu aber noch nicht.
Kein Privileg des christlichen Glaubens
Nach dieser Entscheidung kann das Kopftuch für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen oder in Schulbezirken nur dann verboten werden, wenn vom Kopftuch im Einzelfall eine konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgeht. Die bloße Sichtbarkeit der religiösen oder weltanschaulichen Zugehörigkeit einzelner Lehrerinnen und Lehrer verletzt danach das staatliche Neutralitätsgebot noch nicht.
Eine Verletzung beginnt aber, wenn die persönliche Religionsfreiheit des Lehrers oder der Lehrerin im Einzelfall überschritten und er oder sie in werbender oder gar missionierender Art und Weise für seinen oder ihren Glauben an der Schule tätig wird. Ein Unterschied zwischen muslimischer und andersartiger Religiosität besteht dabei ausdrücklich nicht. Es gibt hier auch kein Privileg des christlichen Glaubens gegenüber anderen Religionen.
Kreuze und Kruzifixe müssen verschwinden
Ob und inwieweit sich die hier von den Verfassungsrichtern beschriebene Grenzlinie in der Praxis tatsächlich bewährt, muss sich erst noch zeigen. Auch das schärfere Berliner Neutralitätsgesetz, nach dem im Fall der angehenden Juristin Betül Ulusoy entschieden wurde, wird nach diesem Beschluss aus Karlsruhe auf Änderungsbedarf abgeklopft werden müssen. Das bleibt alles abzuwarten.
Klar und eindeutig ist jedoch, dass überall dort, wo staatliche Stellen, Behörden und Ämter noch immer selbst das weltanschauliche Neutralitätsgebot verletzen, dringend gehandelt werden muss. Kreuze, Kruzifixe und andere religiöse Symbole an den Wänden von Klassenzimmern, Schulen, Gerichten, Rathäusern, Ministerien oder Kabinettsälen sollten allesamt entfernt werden.
Permanenter Verstoß gegen das Neutralitätsgebot
Es ist typisch für unsere verzerrte Wahrnehmung, dass wir mit Emphase über das Kopftuch bei einigen wenigen Lehrerinnen und Angestellten diskutieren, die Kruzifixe und Kreuze in den Amtsstuben aber meist vergessen. Diese Symbole haben mit der Ausübung von Religionsfreiheit nicht das Geringste zu tun. Diese allerdings christlichen Symbole stellen in den Amtsstuben einen permanenten Verstoß gegen das Neutralitätsgebot unseres Grundgesetzes dar. Hier sollten wir beginnen.