Personalwechsel im Bundeskabinett

Verteidigungsministerin Lambrecht bittet den Kanzler um Entlassung

Lars Haferkamp16. Januar 2023
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bei einem ihrer letzten offiziellen Termine: Am 12.01.2023 besuchte sie die Panzergrenadierbrigade 37 Freistaat Sachsen.
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht bei einem ihrer letzten offiziellen Termine: Am 12.01.2023 besuchte sie die Panzergrenadierbrigade 37 Freistaat Sachsen.
Nun ist es amtlich: Christine Lambrecht tritt als Bundesverteidgungsministerin zurück. Das wurde am Montag offiziell in Berlin bestätigt. Über die Nachfolge soll „zeitnah“ entschieden werden, so eine Regierungssprecherin, vermutlich am Dienstag.

Bereits seit Freitagabend pfiffen es die Spatzen von den Dächern der Hauptstadt: Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht stehe kurz vor dem Rücktritt, meldeten mehrere Medien zeitgleich. Am Montag nun ist es offiziell: Die Ministerin hat Bundeskanzler Olaf Scholz um ihre Entlassung gebeten. So heißt es in einer Erklärung aus dem Verteidigungsministerium. Der Kanzler hat der Bitte auf Entlassung unterdessen entsprochen. Vizeregierungssprecherin Christiane Hoffmann erklärte dazu: „Der Bundeskanzler respektiert die Entscheidung von Frau Lambrecht und dankt ihr für die gute Arbeit, die sie in dieser schwierigen und herausfordernden Zeit als Verteidigungsministerin geleistet hat.“

Christrine Lambrecht schreibt in ihrer Erklärung „die monatelange mediale Fokussierung“ auf ihre Person lasse „eine sachliche Berichterstattung und Diskussion“ über Fragen der Bundeswehr „kaum zu“. Sie habe sich deshalb entschieden, ihr Ministeramt zur Verfügung zu stellen. „Die wertvolle Arbeit der Soldatinnen und Soldaten und der vielen motivierten Menschen im Geschäftsbereich muss im Vordergrund stehen“, so die scheidende Ministerin. Ihnen wünscht sie „von Herzen alles erdenklich Gute für die Zukunft“.

Verheerende Berichterstattung von Anfang an

Christine Lambrecht zieht damit die Konsequenz einer verheerenden Berichterstattung über ihre Arbeit als Ministerin. In ihrer Amtszeit hatte sie von Anfang an eine ausgesprochen schlechte Presse. Immer wieder berichteten die Medien über so genannte „Fehltritte“ und „Pannen“. Die Kritik ging teilweise auch in den persönlichen Bereich, etwa ihre Schuhe oder ihre Fingernägel betreffend.

So gab es für die Ministerin keine sonst übliche 100-Tage-Schonzeit im neuen Amt. Als die „Bild“-Zeitung sie nach der Amtsübernahme befragte, ob sie bereits einen Oberleutnant von einem Oberstleutnant unterscheiden könne und die Ministerin ausweichend antwortete, wurde ihr sogleich Motivation und Qualifikation für das Amt abgesprochen. Die von Lambrecht angekündigte Lieferung von 5.000 Schutzhelmen für die Ukraine, um die diese ausdrücklich gebeten hatte, wurde als „Lachnummer“ verspottet.

Leistungen der Ministerin gingen unter

Und so ging es in einem fort. Dass sie ihren Sohn in einem Hubschrauber der Bundeswehr mitnahm und davon ein Foto machte, wurde ihr vorgeworfen – obwohl dies juristisch vollkommen korrekt war und komplett privat bezahlt wurde. Zuletzt dann das private Silvestervideo Lambrechts, das wegen des Lärms der Raketen und Böller akustisch schlecht zu verstehen war. Nun gab es nicht nur Hohn und Spott, sondern sogar die Forderung von CDU und CSU nach der sofortigen Entlassung der Ministerin.

Völlig untergegangen ist in der politischen Berichterstattung dagegen, was Lambrecht in ihrer kurzen Zeit als Bundesverteidigungsministerin erreicht hat: So traf sie schnell die Entscheidung für eine deutlich bessere persönliche Ausrüstung für die Soldat*innen, für das F-35-Kampfflugzeug und den schweren Transporthubschrauber. Entscheidungen, die unter den Verteidigungsminister*innen der Union jahrelang nicht getroffen wurden. Auch ihr Beschaffungsbeschleunigungsgesetz gilt als echter Meilenstein in der Verteidigungspolitik.

Klingbeil würdigt ihre Verdienste

SPD-Chef Lars Klingbeil hebt in seiner Klärung die Verdienste der scheidenden Ministerin hervor. Lambrecht habe das Verteidigungsministerium in einer außen- und sicherheitspolitischen Ausnahmesituation übernommen. „Sie hat gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz dafür gesorgt, dass wir mit dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen die Bundeswehr endlich wieder auf die Höhe der Zeit bringen können“, betont Klingbeil. „Und sie hat viele ganz konkrete Verbesserungen für die Truppe angestoßen, bei der persönlichen Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten etwa oder auch bei den finanziellen Spielräumen für die Kommandeure vor Ort.“ Der SPD-Chef bilanziert: „Christine Lambrecht gebührt unser großer Dank und ebenso unser Respekt für die heutige Entscheidung.“

Lambrecht leitete drei Bundesministerien

Christine Lambrecht war seit Dezember 2021 Bundesverteidigungsministerin, die erste Sozialdemokratin in diesem Amt. In der letzten Regierung Merkel war sie von 2019 bis 2021 Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, seit Mai 2021 zusätzlich noch Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Von 1998 bis 2021 gehörte Lambrecht dem Deutschen Bundestag an. In der SPD-Bundestagsfraktion gehörte sie der Parlamentarischen Linken an. Von 2009 bis 2011 war die Rechtsanwätin rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Sie war von 2013 bis 2017 Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, zuvor von 2011 bis 2013 stellvertretende Fraktionsvorsitzende. 2018 bis Juni 2019 war sie Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesfinanzminister.

Sozialdemokratin seit 1982

1982 trat Christine Lambrecht in die SPD ein. Von 2007 bis 2017 war sie Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bergstraße und Mitglied des Landesvorstands der hessischen SPD. Im SPD-Bezirk Hessen-Süd war sie von 2009 bis 2019 stellvertretende Vorsitzende.

Ihre ersten politischen Ämter übernahm sie in der hessischen Kommunalpolitik: von 1985 bis 2001 als Mitglied der Stadtverordnetenversammlung Viernheim und von 1997 bis 2001 als Vorsitzende. Von 1989 bis 1997 war sie Mitglied des Kreistags des Landkreises Bergstraße.

Da Christine Lambrecht seit 2021 nicht mehr Mitglied des Bundestages ist, endet mit ihrem Rücktritt als Bundesverteidigungsministerin ihre jahrzehntelange Laufbahn als Berufspolitikerin.

Nachfolge soll Dienstag offiziell werden

Bundeskanzler Olaf Scholz werde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der nach dem Grundgesetz die Ernennung und Entlassung der Regierungsmitglieder ausspricht, „zeitnah“ einen Vorschlag für die Lambrecht-Nachfolge machen, so Christiane Hoffmann, die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Aus „Respekt vor der Entscheidung der Ministerin“ zum Amtsverzicht werde die Nachfolgeentscheidung „aller Voraussicht nach“ nicht mehr Montag, sondern am Dienstag offiziell bekannt gegeben. Nach Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) verlässt mit Christine Lambrecht das zweite Kabinettsmitglied die Regierung von Bundeskanzler Scholz, die seit Dezember 2021 im Amt ist.

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Kommentare

Erfahrene Parlamentarierin benötigt eigentlich keine 'Schonzeit'

Frau Lambrecht blickte auf eine lange Zeit als Parlamentarierin zurück und hatte bereits Erfahrung als Bundesministerin. Da musste sie schon wissen, auf was sie sich einliess. Und natürlich kann kein MdB oder Minister so tun, als wüsste er nicht um die Rolle der Medien.

Welche finanziellen und technischen Folgen die Beschaffung des US F-35-Kampfflugzeugs durch Frau Lambrecht für die Bürger Deutschlands hat, wird sich in den nächsten 20 Jahren herausstellen. Gute Journalisten würden solche Fragen jedenfalls längst geklärt haben, oder spätestens jetzt klären.

Christine Lambrecht

Wenn auch ihre Silvesteräußerungen etwas unbedacht waren, so hat sie jetzt für die Fehler ihrer Vorgänger*innen einstehen müssen.

Bereits in Tilt 2021 hat Urban Priol gefragt, was v.d.Leyen und AKK mit den Milliarden Euro des Kriegstetats gemacht haben außer für die Restaurierung der Gorch Fock und für Beraterverträge.

Ausgerechnet die Vertreter der "C"-Parteien mit ihren großen Klappen wie Söder, Scheuer, Dobrindt & Co. scheinen sich darauf zu berufen, dass die Fehler von Politikern mit zweierlei Maß zu messen sind, wobei man gerade in Bayern bei den dortigen Skandalen (z.B. Maskendeals) nicht so genau hinschaut. Dies ist doch reinstes Pharisäertum.

Das Problem der SPD ist,

dass sie als Partei ihre Positionen nicht halten kann und deshalb auch ihr politisches Personal nicht mit Erfolg verteidigen kann.

Schon zu Beginn des Ukrainekrieges hat die SPD die Ostpolitik Brandts für obsolet erklärt, ohne auch nur ansatzweise über eine geeignete Ersatzposition zu verfügen. Diese Aufgabe eines sozialdemokratischen Markenkerns wurde von Koalitionspartnern und Gegnern der SPD ohne Dank angenommen, was zu erwarten war. Seitdem befindet sich die Partei auf einer abschüssigen Bahn und keine Position, die sie sich abringt, hält mehr als ein paar Wochen. Kein Wunder!

Was die Person der Ministerin angeht, so konnte sie natürlich auch niemals die gerade erst eliminierten Grundsätze der SPD wahren. Wie sollte sie ihre Standpunkte erklären? Welche Haltelinien konnte sie nutzen? Die waren alle schon vorsorglich von Scholz und Klingbeil abgeräumt.

Das einzige was ihr blieb, war die möglichst schnelle Umsetzung des Zeitwenwende Sonderfonds für die Bundeswehr. Das musste aber scheitern, weil gerade der Beschaffungsbereich der Militärverwaltung bekanntermaßen desolat ist.

Das Erschreckende ist das Maß an politischer Inkompetenz auf Spitzenebene in der SPD.

da muss ich aber energiscvh widersprechen, an Personal (w) mange

lt es nicht. Ich habe die Hoffnung, dass sich Saskia Esken doch noch einen Ruck gibt und die Sache selbst in die Hand nimmt. Als Vorsitzende hat sie mE hervorragende Führungsqualitäten an den Tag gelegt. Sie kann auch Verteidigungsministerin, gerade in zeiten wie diesen müsste die Beste ran- und das ist Esken

Die SPD hat in der Tat viel qualifiziertes weibliches

Führungspersonal. Aber unbeschadet jeder Qualifikation und aller Talente wird das Personal garantiert verheizt, solange die SPD sich den Luxus der selbstverschuldeten Orientierungslosigkeit Marke Klingbeil und Scholz erlaubt. Es genügt eben nicht, die Brandtsche Ostpolitik für obsolet zu erklären, eine Zeitenwende und einen deutschen Führungsanspruch anzumelden. Mal abgesehen davon, dass dieser unüberlegte und opportunistische politische Paradigmenwechsel die außenpolitische Kernprogrammatik der SPD zerstört, bietet er im politischen Betrieb eben auch keine ideologische Orientierung. Was zu den aktuell zu beobachtenden Zerfallserscheinungen der SPD in allen außen- und verteidigungspolitischen Fragen führt.

Allerdings muss ich bei der Lobrede zugunsten Saskia "Covidioten" Esken schon schmunzeln. Ich habe sie seinerzeit gewählt und es vielfach bereut. Speziell sie hat leider nicht das erforderliche Format und eine klare sozialdemokratische Orientierung bietet sie auch nicht.

dann machen Sie sich gerne vertraut mit dem gedanken, ich hörte

aus sehr zuverlässiger Quelle, dass Esken zugreifen wird

Christine Lambrecht

Ihr Rücktritt zeigt, dass sie wenigstens über politischen Anstand verfügt, der vor allem denjenigen fehlt, die ihren Rücktritt gefordert haben.

Denn die lautstarksten Kritiker von Christine Lambrecht haben etliche Skandale und Verletzungen ihres Amtseids, nämlich den Nutzen des Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, zu vertreten. Aber den poltischen Anstand, zurückzutreten, hatten diese sich christlich nennende Leute wie Dobrindt, Seehofer Scheuer & Co. nie.