Rezension; Sabine Rennefanz: „Eisenkinder"

Vom Versuch, eine Generation zu verstehen

Dorle Gelbhaar19. Juni 2013

Die Morde des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ist Auslöser für Sabine Rennefanz das eigene Leben auf den Prüfstand zu stellen. Die Redakteurin der „Berliner Zeitung“ gehört der gleichen Generation an wie Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Genau wie sie ist sie in der DDR geboren. Sie fragt danach, was diese Generation geprägt hat.

Eine Jugendliche erlebt, wie sich ihr Heimatland 1989 auflöst. Das gewohnte Leben, die erlernten Werte, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen, die Vorbildwirkung von Eltern und Lehrern – alles steht in Frage. Mit dem Fall der Mauer entsteht eine große Unsicherheit bei den Bürgern der ehemaligen DDR. Sabine Rennefanz fühlt sich kritisch und spöttisch beäugt, als sie Eisenhüttenstädter Internat und Schule verlässt, um an der Freien Universität Berlin Politologie zu studieren.

Auf der Suche nach Werten

In ein anderes Gemeinwesen eingebunden, empfindet sieht sie sich in eine Beobachterperspektive gedrängt. Ihre Eltern, die sich einst in der DDR selbstbewusst behaupteten, stecken plötzlich zwischen Arbeitslosigkeit und Jobs auf Zeit. Das junge Mädchen sucht nach Alternativen, nach Zugehörigkeit. In einer Hamburger Freikirche findet sie diese. Bis sie bei einem Karelien-Einsatz als Missionarin in einer Stadt, die dem vertrauten Eisenhüttenstadt gleicht, das weltfremde und an den Bedürfnissen der Besuchten vorbeigehende Agieren erkennt.

Sie orientiert sich neu und findet als Journalistin Anerkennung. In die Debatten um den NSU-Prozess eingebunden, fragt sie sich, ob sie in ihrer unsicheren Phase statt in einer kirchlichen Sekte auch bei den Neonazis hätte landen können. Das wird zum Auslöser für das Schreiben ihres Buches. „Eisenkinder“ nennt sie ihre Generation, der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehören. Sie bezieht sich auf Eisenhüttenstadt, eine Arbeiterstadt, zu DDR-Zeiten um das Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) herum geplant und gebaut.

Die Mutter Uwe Böhnhardts

Will sie mit sich ins Reine kommen, muss sie sich damit auseinanderzusetzen. Sie lässt sich samt West-Freunden durch die Stadt führen. Der Guide ist ihr ehemaliger Lehrer, Nachwende-Direktor der Eisenhüttenstädter EOS (Erweiterte Oberschule, quasi das DDR-Gymnasium). In der dörflichen Heimat ihrer Kindheit erfährt Rennefanz von der kurzfristigen Begeisterung ihres 14-jährigen Bruders für rechtsextreme Musik.

Rennefanz sucht für ihr Buch die Mutter Uwe Böhnhardts auf und findet eine Frau, die sich gewünscht hätte, dass eine Freundin ihren Sohn von seinem Weg in den Rechtsextremismus hätte abbringen können. Sie hört die Mutter über den beruflichen Absturz ihres Sohnes und seine rechtsextremen Freunde sprechen.

Der Weg zum hemmungslosen Morden ist garantiert von vielen weiteren noch ganz anderen Stationen geprägt. Die kommen bei Rennefanz nicht zur Sprache. Ihre Recherche ist anders angelegt. Was sie beschreibt, ist das Gefühl ausgegrenzt gewesen zu sein. Sie weist auf subtile Diskriminierungsmechanismen hin, denen sie sich (wie andere) als junge Ostdeutsche ausgesetzt sah. Das ist ernst zu nehmen.

Sabine Rennefanz: „Eisenkinder. Die stille Wut der Wendegeneration“ , Luchterhand Literaturverlag, München 2013, 256 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 978-3-630-87405-0