Es ist Mittwochabend, 18.30 Uhr und bereits eine halbe Stunde vor Beginn kommt keiner mehr rein. „Die Halle ist voll“, schallt es aus den Lautsprechern im Foyer des Kulturzentrums Kampnagel in Hamburg. Heute macht dort „unsereSPD – die Tour“ Halt und beim 13. Termin wollen mehr als 800 Menschen dabei sein. Schon am Vortag in Berlin hatten sich etwa 3.000 Menschen angemeldet. Inzwischen haben weit mehr als 10.000 Genossinnen und Genossen an „unsereSPD – die Tour“ teilgenommen. Diese Partei lebt. Das meint auch Melanie Leonhard, die Hamburger SPD-Vorsitzende. „Die Tour hat die Partei enorm gestärkt und macht Mut für die Zukunft“, sagt sie.
Die V-Frage
Dieser Abend hält etwas Besonderes bereit. Zum dritten Mal ist bei einem Tourtermin eine bekannte Persönlichkeit vor Ort und darf eine Frage an die Kandidierenden richten. Diesmal ist es Christian Rickens, Wirtschaftsjournalist beim Handelsblatt. Er hat bereits vor elf Jahren ein Buch geschrieben mit dem Titel „Links – Comeback eines Lebensgefühls“. Doch die SPD habe bisher nicht von linken Debatten profitieren können, sagt Rickens. Er moniert: „Mir fehlt die mitreißende Vision. Eine Utopie, die mich begeistert, die man in drei Sätze fassen kann und die dann auch jeder versteht.“ Entsprechend will Rickens von den Kandidierenden ihre Vision für die SPD und das Land wissen. In einer Minute.
Das Los entscheidet, dass Ralf Stegner beginnen darf. Er tritt an diesem Abend alleine auf. Seine Partnerin fehlt aus familiären Gründen. „Gesine Schwan ist eine ganz tolle Frau. Ich wünschte, sie wäre heute hier“, sagt Stegner und knüpft in seiner Vision an Willy Brandt an. Die SPD müsse die Partei der globalen Gerechtigkeit sein, fordert er. „Wir dürfen nicht zulassen, dass wir hier gut leben und anderswo die Menschen flüchten müssen. Es reicht nicht, wenn es den Deutschen gut geht.“
Klara Geywitz, die im Tandem mit Olaf Scholz für den Parteivorsitz kandidiert, definiert den Klimawandel als das „Mega-Thema unserer Zeit“. Sie fordert daher: „Wir Sozialdemokraten müssen es schaffen, dieses Thema zu nehmen und die Gesellschaft wieder zusammenzuführen.“ Denn aktuell drifte diese angesichts des Klimawandels auseinander. Sie spalte sich in diejenigen, denen der Kampf gegen den Klimawandel nicht schnell genug gehe und diejenigen, die Angst um ihre Arbeitsplätze haben. Diese beiden Parteien gelte es zu versöhnen.
Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken plädieren für eine stärkere Wirtschaftspolitik. „Der Markt ist nur dann ein gutes Instrument, wenn er sich an Werte hält“, sagt Walter-Borjans. Deswegen sei es die Aufgabe sozialdemokratischer Politik, dem Markt ein Wertegerüst zu geben. „Sonst kommt eine Situation zustande, in der die Menschen von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennen“, sagt der 67-Jährige.
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius kandidiert zusammen mit der sächsischen Integrationsministerin Petra Köpping. „Wir halten es mit Willy Brandt, der gesagt hat, dass wir ein Volk der guten Nachbarn sein wollen, nach innen wie nach außen“, sagt Pistorius und fügt an: „Wir müssen eine solidarische Gesellschaft schaffen mit einem sozialdemokratischen Leitbild.“ Dieses beinhalte Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Fairness im Umgang miteinander.
Karl Lauterbach und Nina Scheer legen in ihrer Vision den Fokus auf die Energiewende. „Die SPD ist immer die Partei des Fortschritts und der Zukunft gewesen“, sagt Lauterbach. Er fordert daher, dass der Klimawandel und die Energiewende nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Gelegenheit wahrgenommen werden müsse. „Wenn wir die ersten sind, die die Erneuerbaren Energien zum Kernbestandteil einer modernen Volkswirtschaft machen und gleichzeitig die Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft beseitigen, dann wird Deutschland ein Vorbild für viele andere sein.“
„Unsere Vision ist, dass die Menschen wieder mehr Zeit haben. Für Kinder, für die Familie und für das Ehrenamt“, sagt Christina Kampmann, die mit Michael Roth zusammen kandidiert. Viele Menschen fühlten sich überfordert von der Globalisierung, dem Kapitalismus und einer immer schneller werdenden Digitalisierung. Deswegen müsse die SPD – ähnlich wie in der Industrialisierung – gemeinsam mit starken Gewerkschaften an der Seite der Beschäftigten stehen und für kürzere Arbeitszeiten bei gleichem Lohn einstehen.
„Wir sind die erste Generation, die die Armut bekämpfen könnte und die letzte Generation, die den Klimawandel stoppen kann“, zitiert Hilde Mattheis, die mit Dierk Hirschel antritt, den früheren UN-Generalsekretär Ban-Kii Moon. Die SPD stehe national wie international in dieser Verantwortung. Hirschel fügt an: „Die zentrale Frage ist die soziale Frage. Was wir erleben in den letzten Jahrzehnten, ist eine Rückkehr der Klassengesellschaft.“ Dem müsse sich die SPD entgegen stellen.